Montag, 13. Januar 2025

Gemeinsam lernen oder gemeinsam langweilen?

R. Doisneau
aus scinexx                                                                                                          zu Levana, oder Erziehlehre

Begabte Kinder haben es oft schwer

Bisher umfangreichste Langzeit-Studie unterstreicht Bedeutung gezielter Förderung

Hochbegabte Kinder brauchen genauso eine gezielte Förderung wie minderbe-gabte. Sonst bleiben viele von ihnen trotz ihrer hohen Intelligenz auf der Strecke oder entfalten zumindest nicht ihr volles Potenzial. Das ist das Fazit der bisher umfangreichsten Langzeitstudie zu Hochbegabten und ihrem Lebensweg. Vor allem in der Schulzeit sei es wichtig, diesen Kindern zusätz-liche Lernmöglichkeiten anzubieten, um Unterforderung und Frustration entgegenzuwirken, so die Forscher im Fachmagazin "Psychological Science".

"Begabte Kinder sind eine wertvolle Ressource der Menschheit", erklärt Studien-leiter David Lubinski von der Vanderbilt University in Nashville. Denn sie seien die Triebkräfte für künftige Fortschritte in Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft. Den-noch scheinen es einige dieser besonders intelligenten Kinder nicht zu schaffen, ihr volles Potenzial zu entwickeln und schneiden in der Schule sogar unterdurchschnitt-lich ab. Ob das tatsächlich so ist und warum, haben Forscher in einer 30 Jahre dau-ernden Langzeitstudie untersucht.

Erfolgreich trotz, nicht wegen schulischer Erfahrungen

Für die Studie verfolgten die Forscher den Werdegang von 320 Kindern, die mit 13 Jahren überdurchschnittliche Leistungen in verbalen und mathematischen Tests ge-zeigt hatten. Dabei zeigte sich, dass diese Hochbegabten zum größten Teil Schule und akademische Karriere erwartungsgemäß erfolgreich absolvierten. Die Forscher stellten aber auch fest, dass die Teilnehmer in ihrem Fortschritt oft eher gehindert als unterstützt wurden und viele nicht ihr volles Potenzial entfalten konnten.


Immerhin schafften 203 der 320 Hochbegabten ihren Masterabschluss, 142 von ihnen promovierten - das ist rund 20 Mal so viel wie im Bevölkerungsdurchschnitt der USA. Die meisten Teilnehmer machten erfolgreich Karriere und wurden Füh-rungskräfte in der Wirtschaft, politische Berater, Anwälte, Mediziner oder Wissen-schaftler. Aber: Oft gelang ihnen das nicht dank ihrer Lehrer und Schulen, sondern eher trotz der Hindernisse, die diese ihnen in den Weg legten, wie die Wissenschaft-ler berichten.

Gezielte Förderung meist Fehlanzeige


In den meisten Fällen waren die Schulen und Lehrer nicht darauf eingestellt, mit Hochbegabten umzugehen und diese entsprechend ihren Bedürfnissen zu fördern. Stellten die Lehrer fest, dass die hochbegabten Kinder den Unterrichtsstoff schon von Beginn an beherrschten, ließen sie sie meist links liegen, um sich um die andern zu kümmern. Das führte zu Langeweile, Frustration und Unterforderung bei den Hochbegabten.

"Noch immer herrscht die Meinung vor, dass begabte Schüler keine große Hilfe benötigen", erklärt Harrison Kell von der Vanderbilt University. "Doch diese Studie belegt, dass das nicht der Fall ist." Zwar schneiden Kinder mit hohen IQ meist den-noch gut ab, aber wenn sie nicht gezielt mit zusätzlichem Lernstoff gefördert wer-den und Möglichkeiten erhalten, ihren Wissensdurst zu stillen, hemmt sie dies da-bei, ihr ganzes Potenzial zu entfalten. Es seien daher mehr Programme nötig, die Eltern und Lehrer dabei unterstützen, diese Kinder zu fördern. "Fähigkeiten, Moti-vation und Gelegenheit spielen alle drei eine Rolle dafür, ob ein hochbegabtes Kind sich voll entfalten kann", so Lubinski.

In Deutschland herrscht zwar weitgehend Einigkeit darüber, dass hochbegabte Kinder eine entsprechende Förderung benötigen. Möglich sind unter anderem das Überspringen einzelner Klassen, aber auch zusätzliche Aufgaben und Kurse oder spezielle Wettbewerbe. In der Praxis werden diese Möglichkeiten aber nur selten umgesetzt. Allerdings gibt es in Deutschland inzwischen einige Schulen und In-ternate für Hochbegabte. Noch aber setzt all dies vor allem die Initiative der Eltern voraus. (Psychological Science, 2013; doi: 10.1177/0956797612457784)

(Vanderbilt University, 07.01.2014 - NPO)


Nota. - Als ich mit dreizehn, vierzehn Jahren las, wie in einer Komödie von George Bernhard Shaw die Qualen der Hölle als Langeweile beschrieben war, musste ich sehr lachen: "Der Mann ist einmal zur Schule gegangen!"

Das kann man drehen und wenden wie man will: Ein Lehrer, der es mit zwanzig, dreißig Schülern zu tun hat, kann gar nicht anders, als sich am Durchschnitt orien-tieren. Und wenn er noch so sorgsam darauf achtet, sowohl den schwächeren als auch den besonders fähigen Schülern das ihnen zustehende Maß an Aufmerksam-keit zu widmen: Vor seinem geistigen Auge steht der Durchschnittsschüler im Vor-dergrund. Und solange jedesmal, wenn er das Wort Erziehung hört, die Schule im Hintergrund steht, ist das auch nicht zu ändern.

Es mag sein, dass die Schule ein notwendiges Übel ist. Aber das macht sie nicht weniger übel. Stundenlang stille sitzen und nichts tun - welche Sorte Kindesmiss-brauch wäre perverser!

Ach, und da fällt mir ein, was ein neunjähriger Engländer mal antwortete auf die Frage, was ihm an der Schule denn missfalle: "Man verliert wo viel Zeit."
JE, 7. 1. 14

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