aus derStandard.at, 5. Jänner 2025
Der Babybauch wölbt sich leicht unter der Kleidung – und schon erfolgt häufig die neugierige Nachfrage: "Was wird es denn?" Lautet die Antwort: "Ein Bub", darf man sich auf mitleidige Blicke einstellen. Ist es der zweite Sohn, kann die Reaktion auch deutlicher ausfallen. "Oje, ihr Armen!", rutschte es beispielsweise dem Nachbarn einer Autorin dieses Artikels heraus. Und die Kinderärztin quittierte die Nachricht mit dem Satz: "Na ja, das dritte wird hoffentlich ein Mädchen!"
Es sind nur einige der Bemerkungen, die Eltern zu hören bekommen, wenn sie einen Sohn erwarten. Auch Kommentare, wonach Buben öfter wilder, lauter, jedenfalls irgendwie anstrengender sind, fallen dann. Sind Buben in gewisser Hinsicht das unbeliebtere Geschlecht – zumindest in manchen Teilen der Welt, in manchen Teilen der Bevölkerung?
Diese Frage dreht sich nicht nur um Hoffnungen und enttäuschte Gefühle Einzelner, sie betrifft etwas viel Größeres, die viel zitierte Krise des Mannes nämlich.
Das Geschlecht der eigenen Kinder hat immer eine wichtige Rolle gespielt, wenn es um Erbschaften, Thronfolgen oder das Verheiraten ging. Generationen von Eltern haben sich einen männlichen Nachfahren gewünscht, einen Stammhalter der Familie. In vielen Kulturen und Teilen der Welt verhält es sich immer noch so. In Indien galten Mädchen wegen der Mitgift, die Familien für Töchter bei der Hochzeit zahlen müssen, die längste Zeit als Belastung. Bis heute sind sie oft weniger erwünscht. Auch in China werden Buben traditionell bevorzugt. In beiden Ländern werden weiterhin Schwangerschaften abgebrochen, wenn es ein Mädchen wird – was zu einem ordentlichen Männerüberschuss geführt hat. Weltweit machen Männer etwas über die Hälfte der Bevölkerung aus.
Kinderwunsch mit Vorliebe
In armen Gesellschaften wünschen sich große Teile der Bevölkerung eher Söhne, da sie bessere Verdienstaussichten haben. Auch in den Vereinigten Staaten wurden die längste Zeit männliche Nachkommen bevorzugt. Bei Männern war diese Tendenz noch stärker ausgeprägt als bei Frauen. Das gilt – unabhängig vom Milieu – nach wie vor auch in Österreich. Und es schlägt sich auch im Engagement der Väter in der Kinderbetreuung nieder: Bei Söhnen sind Väter im Leben der Kinder präsenter, wie eine Studie der Johannes-Kepler-Universität in Linz und der Wirtschaftsuniversität Wien zeigt.
Doch im reichen Westen hat sich das durchaus gedreht. Der Planet teilt sich dadurch in zwei Hälften, wo Eltern in der einen für einen Buben beten und sich die in der anderen unbedingt ein Mädchen wünschen.
Eine klare Präferenz zeigt sich bei Fruchtbarkeitsbehandlungen in den USA: 80 Prozent geben dort in Kliniken mit Option zur Geschlechterwahl bei In-vitro-Fertilisationen seit Jahren an, ein Mädchen zu wollen. Sie werden auch zu 30 Prozent häufiger adoptiert als Buben, wie eine Studie der New York University ergab. Dieser Umfrage zufolge wären Adoptiveltern sogar bereit, für Mädchen mehr zu bezahlen.
Auch in Europa belegen Zahlen einen gewissen Trend: So haben zwei Wissenschafterinnen der Universität Warschau das Fortpflanzungsverhalten in elf ost- und mitteleuropäischen Ländern – ohne Österreich, wo es keine vergleichbaren Studien gibt – untersucht. Ihre Erkenntnis: Die Wahrscheinlichkeit, dass ab dem Jahr 1960 geborene Frauen ein zweites Kind bekommen, ist dann größer, wenn das erste ein Bub ist.
Zuweilen nimmt die Mädchenpräferenz extreme Formen an: "Als in der 19. Schwangerschaftswoche der Arzt einen Zipfel zwischen den Beinchen gesehen hat, brach für mich ein Stück Welt zusammen", schreibt etwa eine Userin im deutschsprachigen Eltern-Onlineforum Urbia. Abgesehen von der Sorge, dass Buben schwer zu erziehen sind und mehr Probleme machen werden, gibt es auch rein egoistische Gründe: Der Tochter wird längst zugetraut, den Hof oder den Betrieb des Vaters zu übernehmen. Gleichzeitig geht man bei weiblichen Nachkommen eher davon aus, dass sie sich auch um Geschwister und später einmal um die Eltern kümmern werden.
Hormonelle Achterbahnfahrten
Wer nur Söhne hat, droht im Alter im Heim zu enden. Aber basieren diese Erwartungen auf echten Erfahrungswerten, oder sind das kulturell geprägte Vorurteile?
Beginnen wir bei der Frage, worin sich Buben und Mädchen unterscheiden. Entwicklungspsychologen und Neurowissenschafterinnen verweisen einerseits auf biologische Faktoren wie den Gehirnaufbau und Hormone, die für die Neigungen von Kindern verantwortlich sind. So können Mädchen besser mit Sprache umgehen, während Buben ein besseres räumliches Verständnis haben. In der Pubertät verhalten sich Buben zudem risikobereiter als Mädchen (siehe Seite 5).
Die Wissenschaft sagt aber andererseits auch, dass die angeborenen Unterschiede erstens nicht so groß und zweitens ebenso durch das Verhalten von Eltern, durch die Inszenierung von Geschlechtern in Werbung und Medien, durch gesellschaftliche Rollenbilder und Normen vergrößert werden können.
Unter anderem argumentiert auch die US-Neurobiologin Lise Eliot so, die bei dem berühmten Gedächtnisforscher Eric Kandel ausgebildet wurde: Sie schreibt in ihren Bestsellern über die Gehirnentwicklung kleiner Kinder, dass unreife Gehirne von Beginn an Einflüssen ausgesetzt sind. Im Säuglingsalter entwickelt sich ihr zufolge Hören, Sehen und Riechen bei beiden Geschlechtern nicht ganz im selben Rhythmus.
Vieles in der Erziehung passiert demnach unbewusst. Gezielte Förderung wiederum nehme Einfluss auf die Bildung neuer Nervenzellen und das Knüpfen synaptischer Verbindungen. In gesellschaftlich progressiven Ländern wie Schweden beispielsweise schneiden Mädchen schon seit Jahren gleich gut in Mathematik ab wie Buben.
Studien aus Norwegen zeigen, dass Mädchen schon als Kleinkinder tendenziell selbstständiger spielen und sich sozialer verhalten. Sie lernen demnach schneller, alleine zu essen, aufs Töpfchen zu gehen und sich anzuziehen. Erhebungen zeigen außerdem, dass sie mehr mit Gleichaltrigen spielen.
Umgekehrt wird viel mehr Burschen die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, gestellt. Inzwischen ist allerdings auch bekannt, dass ADHS bei Mädchen oft unbemerkt bleibt, weil sie anders verläuft: Bei ihnen führt sie häufiger zu depressiven Symptomen, was sich nach außen hin weniger auffällig äußert.Autismus wird bei Buben ebenfalls öfter diagnostiziert – hier wird auch vermutet, dass ihr Verhalten deutlicher darauf hindeutet.
Die Zahlen belegen auch: Ein Mann zu sein bringt durchaus einige Risiken mit sich. Männer sterben früher, landen eher im Gefängnis und begehen öfter Suizid.
Krise? Historischer Umbruch?
Dass Burschen und junge Männer in immer größerer Anzahl und in gleich mehreren Bereichen stetig abgehängt werden, stellten in der jüngeren Vergangenheit sowohl das britische Magazin Economist als auch die New York Times fest. Und auch die deutsche Wochenzeitung Die Zeit konstatierte kürzlich gar eine "Jungenkrise" und einen "historischen Umbruch". Die Sorge, dass Buben ins Hintertreffen geraten, wird seit Jahrzehnten geäußert, insbesondere in konservativen Kreisen.
So wurde etwa immer wieder gewarnt, dass "jungentypische Spaßkämpfe" schon als Verhaltensstörung gälten, während "Temperament bei Mädchen" bewundert werde – so war es vor 22 Jahren im Spiegel zu lesen. Damals wie heute zeigt sich allerdings: Eine veritable Krise der Buben lässt sich nicht so eindeutig ablesen. Aber: Bereiche, in denen es kriselt, die gibt es schon.
In der Wissenschaft wird seit Jahrzehnten untersucht, ob Mädchen im Bildungssystem besser abschneiden. Sie wurden in der Vergangenheit gezielt gefördert, um sie für Technik und Naturwissenschaften zu interessieren. In den 1980ern überholten sie erstmals in der Maturastatistik ihre männlichen Schulkollegen. Seither machen sie jährlich deutlich mehr als die Hälfte der Absolvierenden aus.
Die Frage, die sich in dem Zusammenhang oft aufdrängt: Ob der Mangel an männlichem Betreuungs- und Lehrpersonal für Buben von Nachteil ist. In der Kleinkindbetreuung und in Kindergärten arbeiten in Österreich zu 98 Prozent Pädagoginnen. In Volksschulen lehren zu über 91 Prozent Frauen.Erst ab der Oberstufe gleicht sich das Verhältnis allmählich aus.
Johann Bacher hat in den Jahren nach der Jahrtausendwende als Professor für Soziologie und Empirische Sozialforschung an der Johannes-Kepler-Universität Linz viel zu Geschlechterunterschieden auf dem Bildungsweg geforscht. Seit heuer ist er im Ruhestand. Ihm zufolge hat das Geschlecht der Lehrperson keinen Einfluss auf den Lernerfolg von Buben oder Mädchen: "Es kommt vielmehr darauf an, ob die Lehrkraft im Unterricht die typisch männlichen oder weiblichen Verhaltensweisen verstärkt", erklärt Bacher.
Was Schülerinnen und Schüler selbst als stereotype Eigenschaft werten, wurde 2009 erhoben – ergänzend zu den internationalen Pisa-Schulleistungsstudien der OECD. Das Resultat: "Abenteuerlustig, sportlich, durchsetzungsfähig" beschrieben die befragten Jugendlichen damals als männlich. Dagegen definierten sie "hilfsbereit, einfühlsam, fleißig" als weiblich, erinnert sich Bacher.
Etwa mit zwölf Jahren geht die Bildungsschere auf, führt er aus. Buben verlassen dann eher die Schule. Denn: In dem Alter suchen junge Menschen stärker ihre eigene Identität. Dieser Prozess geht bei Burschen eher mit einem Freizeitverhalten einher, das sich negativ auf den Schulerfolg auswirkt – und was abseits der Schule passiert, so Bacher, das gilt als Schlüsselfaktor für das, was auch in der Schule passiert. Weniger gut sind Buben in der Schule laut Bacher insbesondere dann, wenn sich Buben mit männlichen Stereotypen identifizieren: weil sie also eher Zeit mit Computerspielen verbringen oder Alkohol trinken, während Mädchen sich gerne kreativ betätigen oder lieber lesen.
Wer mehr Förderbedarf hat
Auch in bestimmten Fächern zeigen sich bei den Noten merkbare Unterschiede bei den Geschlechtern: So schneiden Buben seit jeher und bis heute in Mathematik und Naturwissenschaften besser ab als Mädchen. Beim Pisa-Test 2022 ging die Schere in beiden Bereichen noch ein wenig weiter auf. Hier spielt hinein: Schon Kinder schreiben Buben in Studien mehr technische Fähigkeiten zu als Mädchen. Ein Vorurteil, das Burschen in ihrem späteren Leben verstärkt in die Mint-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik bringt. Umgekehrt übertreffen Schülerinnen Schüler in Sachen Lesekompetenz – was auch in anderen Fächern dienlich ist.
Einige Zahlen deuten darauf hin, dass Buben im Bildungssystem momentan insgesamt schlechter zurechtkommen. So sind fast zwei Drittel der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf männlich. Zudem lohnt ein genauerer Blick auf die Zahl der 15- bis 24-Jährigen, die in die Gruppe "Not in Education, Employment or Training" (Neet) fallen, also Jugendliche und junge Erwachsene, die keine Schule besuchen, keiner Arbeit nachgehen und auch keine Ausbildung machen.
Zwar sind hier beide Geschlechter in etwa gleichauf, doch würde man jene Frauen herausrechnen, die wegen Kinderbetreuung zu Hause sind, "wäre eindeutig die Zahl junger Männer unter den Neets höher", ist Bacher überzeugt. Elli Scamborvom Institut für Männer- und Geschlechterthemen in Graz, warnt vor Pauschalierungen: "Wir müssen genau hinschauen: Von welchen Buben reden wir? Buben sind nicht per se benachteiligt."
Genauer Blick auf die Abgehängten
Buben mit Migrationshintergrund würden im Bildungssystem jedoch klar verlieren. In dieser Gruppe findet sich ein rund viermal so hoher Anteil von Schulabgängern. Ein geringer Bildungsstand der Eltern, Arbeitslosigkeit, und ein schlechterer sozioökonomischer Status erhöhen generell die Wahrscheinlichkeit, dass die Schule früh verlassen wird. Das seien, so die Soziologin Scambor weiter, stärkere Marker für schlechte Schulperformance als das Geschlecht.
"Migrantische Buben werden derzeit als totale Störfaktoren gesehen", ergänzt auch Philipp Leeb, Gründer und Obmann von Poika, ein Verein zur Förderung gendersensibler Bubenarbeit in Erziehung und Unterricht. Grundsätzlich greife das patriarchale System Buben noch immer unter die Arme, meint Leeb. Aber eben nicht allen Burschen gleichermaßen. Jene mit Migrationshintergrund würden durch Vorurteile deutlich mehr benachteiligt als andere Burschen, die sich in der Schule womöglich nicht anstrengen – aber dann trotzdem aufsteigen.
Es könne auch sein, dass das Abwerten von Bildungserfolg und Schule ins Männlichkeitsbild passt und zugleich als eine Art Resouveränisierungsstrategie, als "selbstwerterhaltende Maßnahme" dient, um Protest auszudrücken, fügt die Soziologin Scambor an.
Aufmüpfig sein, sich mit dem Lehrpersonal anlegen, das möge dieser Gruppe Buben zwar im Schulsystem schaden, erklärt Scambor: Sie würden dabei aber zugleich oft beklatscht und erlangten damit soziales Kapital in ihrer "Peergroup", also unter Gleichaltrigen. Und das könne ihnen am Arbeitsmarkt auch dienlich sein – trotz schulischer Schwierigkeiten.
Klar ist: Feminismus, Krisen und starke Einflüsse aus digitalen Medien haben die Ansprüche an Burschen verkompliziert. Die Erwartungen seien oft widersprüchlich, sagt Leeb. Buben sollen einerseits "richtige Buben sein", aber bitte nicht mehr, sobald genau das ihnen Schwierigkeiten zu machen scheint.
Das Spannungsfeld ist groß: Da sind einerseits Influencer im Netz, die für ihr betont konservatives Männlichkeitsbild gefeiert werden. Sie propagieren mitunter offen Frauenhass und verbreiten sehr erfolgreich die alte Idee einer vermeintlich natürlichen Überlegenheit des männlichen Geschlechts. Auf der anderen Seite des Spannungsfelds findet ein Diskurs statt, der sich in weiten Teilen der Gesellschaft – zum Teil auch bei Buben – durchgesetzt hat, in dem "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" alte Denke sind – und Feminismus eine Selbstverständlichkeit ist.
Wo Männer weiter im Vorteil sind
Welche Männlichkeitsvorstellungen Buben behindern oder voranbringen, ist also stark vom jeweiligen Milieu und der eigenen Umgebung abhängig. Wenn Burschen nicht dem typischen Klischee entsprächen und zum Beispiel gerne lesen würden, sich aber in einem Umfeld bewegten, in dem traditionelle Männlichkeitsvorstellungen vorherrschen, würden sie dort nicht akzeptiert, sagt Scambor. Das könne zu Mobbing führen und dazu, dass die Ausgegrenzten sich schwertun, sich überhaupt als Bub wahrzunehmen. Sie bräuchten dann einen Vertrauten als Role-Model.
Bleibt die Frage: Wenn es Buben also schwerer haben, ihre Rolle zu finden, und sie im Bildungssystem schlechter vorankommen als Mädchen, warum verdienen Mädchen am Ende schlechter? In den USA ist das zwar immer weniger der Fall, sehr wohl aber in Europa – und ganz besonders in Österreich. Obwohl mehr Frauen in diesem Land ein Studium abschließen, verdienen sie weniger und besetzen weniger Leitungspositionen. Das liegt vor allem an den Branchen, in denen Männer und Frauen mehrheitlich arbeiten.
Der Handel, die Pflege oder auch der Gesundheits- und Bildungsbereich sind relativ schlecht bezahlte Bereiche, in denen zum weitaus größten Teil Frauen beschäftigt sind – während man in männerdominierten Jobs wie im Ingenieurwesen finanziell besser aussteigt. Lediglich neun Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss steigen in einen Mint-Beruf ein, bei Männern sind es 51 Prozent.
Frauen mit Hochschulabschluss verdienen hierzulande weniger als zwei Jahren nach Berufseinstieg im Schnitt schon elf Prozent weniger als Männer. Bei der Lohnschere zwischen Frau und Mann liegen wir in EU-Rankings ebenso auf den hinteren Plätzen wie bei den Unterschied bei den Pensionen.
Und wenn man auf Spitzen- und Machtpositionen schaut, stellt sich heraus: Dort gibt es offenbar kein Männerproblem. Nur ein Drittel der Leitungspositionen haben Frauen inne, obwohl sie gut die Hälfte der Arbeitskräfte stellen. In Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen schraubte eine verpflichtende Quote den Frauenanteil nach oben: Seit 2018 sind dort 30 Prozent Frauen vorgeschrieben. Damals, bei Einführung der Quote, lag er bei 16 Prozent. 2024 waren es über 36 Prozent.
Trump und die Mannosphäre
Bei der politischen Repräsentation verändert sich das Verhältnis allmählich, zumindest teilweise: Im Nationalrat waren mit Ende des Jahres 2024 40 Prozent der Abgeordneten weiblich. Aber: Nur elf Prozent Frauen hatten zu dem Zeitpunkt ein Bürgermeisterinnenamt in Österreich inne.
Hinzu kommt, dass sich Frauen oft selbst als weniger gut einschätzen, als es Männer tun. Bei sozial benachteiligten Frauen ist das nochmal stärker der Fall. Die Zuschreibungen soziale und kommunikative Kompetenz oder Empathiefähigkeit kosten Frauen in ihrem Leben also einiges an Geld. Zumal sie bis heute auch mehr unbezahlte Sorgearbeit leisten, sich um die Kinder oder Eltern kümmern.
Welche Konsequenzen die Veränderungen im Selbstbild junger Männer haben können, zeigt sich dieser Tage in den USA besonders deutlich. Junge Männer galten schon im Vorfeld der Präsidentschaftswahl als Schlüssel zu Donald Trumps Wahlsieg. Rückblickend sollten diese Prognosen recht behalten. Trump konnte nicht nur insgesamt mehr Menschen für sich begeistern, sondern besonders bei Erstwählern und bei Männern zwischen 18 und 29 Jahren punkten.
Mit stundenlangen lockeren Gesprächen mit reichweitenstarken Influencern wie Adin Ross und Joe Rogan gelang es Trump, Millionen junger Männer zu erreichen, die sich für gewöhnlich weniger für Politik interessieren als für Kampfsport, Krypto und Technologien. Noch etwas beschäftigt viele Männer der zwischen 1997 und 2012 geborenen Gen Z: Sie spüren zunehmend Druck, dem traditionellen Männerbild nicht mehr gerecht zu werden, wie es Psychologe Adam Stanaland von der Universität Richmond, Virginia, jüngst in einem Artikel in der Fachzeitung Scientific American erklärt.
Er nimmt an, dass es in unserer kollektiven Vorstellung immer noch so sei, dass Männern die Rolle zukomme, eine Familie erhalten und beschützen zu müssen – das gelte ebenso für die Erwartungen der meisten jungen Frauen. Fast zwei Drittel von Männern unter 30 sind laut Pew-Research-Studie Single – doppelt so viele wie gleichaltrige Frauen. Junge Frauen suchen demnach vermehrt in anderen Altersgruppen nach Partnern.
Diese Entwicklung und das Gefühl, abgehängt zu werden, sieht die Fachwelt als Grund für das Erstarken der sogenannten Mannosphäre, eines losen antifeministischen Netzwerks im Internet. Zu den bekanntesten Vertretern gehören auch ebenjene Podcaster, die von Trump und dessen Unterstützer Elon Musk als Förderer der ihnen zufolge unterdrückten Männer gefeiert werden. Zelebriert werden dabei Bilder von betont harten, dominierenden Männern, wobei mitunter auf historische und mythische Figuren etwa der römischen Antike zurückgegriffen wird.
Allerdings: Bei der vergangenen Wahl haben auch deutlich mehr Frauen für Trump gestimmt als bei jenen zuvor. Dass Frauen eher links wählen als Männer, ist nicht mehr so eindeutig der Fall – auch über die USA hinaus.
Das Lernfeld Familie
Laurenz Ennser-Jedenastik, Politikwissenschafter am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien, warnt davor, die Lage in den USA allzu sehr mit jener in Österreich zu vergleichen. Dafür sei die empirische Datenlage zu den politischen Auswirkungen des veränderten Männerbildes hier zu dünn. Und er gibt zu bedenken, dass bei der vergangenen Nationalratswahl die bei Männern immer schon beliebte FPÖ in allen Wählergruppen Zugewinne verzeichnen konnte – bei Jungen und Alten genauso wie bei Männern und Frauen. Dennoch berge der gesellschaftliche Wandel auch in Österreich Konfliktpotenzial. Der Aufstieg von Frauen und die Veränderung des Status von Männern könnten Unsicherheiten oder Frust hervorrufen. "Und was wir klar sehen", sagt Ennser-Jedenastik, "ist, dass Politikerinnen und Politiker in vielen Ländern versuchen, davon zu profitieren."
Was kann eine Gesellschaft, was können Eltern gegen destruktive Rollenbilder tun? Am Institut für Männer- und Geschlechterforschung in Graz entwickelte Scambor mit anderen das Konzept der "Caring Masculinities", das über Bücher und Lieder in Kindergärten und Schulen Sensibilität für Vorurteile schaffen soll. Scambor plädiert außerdem für mehr Assistenzpersonal und Förderprogramme für sozial benachteiligte Familien an Schulen.
Botschaft "falsch und schädlich"
Aber auch außerhalb der Bildungsinstitutionen kann man freilich ansetzen: "Familie ist ein wichtiges Lernfeld", erklärt Erziehungswissenschafter Jürgen Budde von der Europa-Universität im norddeutschen Flensburg. "Hier erlangen Kinder soziale Kompetenz und übernehmen Normen und Werte." Ein Blick nach Skandinavien zeigt laut Budde, dass etwa das Engagement von Vätern in frühkindlicher Sorge und gesellschaftliche Geschlechtergerechtigkeit direkt miteinander zusammenhängen. "Um Normalitäten zu verändern, sind auch die vermeintlich kleinen Dinge des Aufwachsens wichtig", sagt Budde.
Solche Fragen zum Beispiel: Wer übernimmt die Sorgearbeit? Wer kümmert sich um kranke Angehörige? Wer steht nachts auf und tröstet? Die wichtigste Frage, so Budde, sei: Wie gelingt es uns, Buben für gesellschaftliches Engagement zu interessieren? Wie bringt man ihnen bei, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen? "Gesellschaftlich scheint mir das fast das größere Problem zu sein als Schulnoten", sagt er.
Eltern müssten deswegen ihren Söhnen das Gefühl geben, ein wertvoller Teil einer Gruppe zu sein. So müsse es vielleicht nicht immer nur der Fußballverein sein, wo Wettkampf im Vordergrund steht, sondern auch mal der Umweltschutzverein oder die Pfadfinder. "Lassen Sie die Jungen im Kindergarten vorlesen oder Haushaltsaufgaben übernehmen", rät er. Dieses gesellschaftliche Engagement stärke den Selbstwert von Burschen und lege den Grundstein dafür, dass aus ihnen psychisch gesunde, anständige Männer werden.
Mit der Erziehung von Buben in der heutigen Welt beschäftigt sich auch die britisch-amerikanische Feministin und Autorin Ruth Whippman. Sie war gerade mit ihrem dritten Sohn schwanger, als die #MeToo-Bewegung Fahrt aufnahm – und sich alles um die sogenannte toxische Männlichkeit drehte und um den Schaden, den Männer durch unsoziales Verhalten in der Welt anrichten können.
Umgang mit Emotionen
"Ich habe mich gefragt, zu was wir eigentlich unsere Buben erziehen", erzählt sie. "Was macht es mit der Generation von Jungen, die mit der Botschaft aufwachsen, dass sie falsch und schädlich sind?" Für ihr neues Buch Boy Mum analysierte sie Studien, sprach mit Fachleuten und führte zahlreiche Interviews. Sie kam zum Schluss: Den Buben gehe es nicht gut. Die Art, wie wir Buben erziehen, schade nicht nur Mädchen und Frauen, sondern vor allem den jungen Männern selbst. "Jungen stecken in einer Beziehungskrise, ihnen fehlt emotionale Kompetenz, die Fähigkeit, innige Bindungen zu bilden und auch einmal Schwäche zu zeigen." Daran hindern würden sie, schlussfolgert Whippman, immer noch existierende Männlichkeitsbilder.
Während Geschlechterstereotype für Mädchen nach und nach abgebaut werden, würden sich die Normen und Erwartungen bei den Buben kaum verändern. "Egal, mit wem ich gesprochen habe: Schulkind, Student oder Frauenhasser – sie alle haben Angst davor, als schwach, verletzlich oder weiblich zu gelten", erzählt Whippman.
Sie zitiert Studien, wonach Buben von klein auf weniger emotionale Wärme geschenkt wird als Mädchen, wonach Erwachsene mit Buben seltener über Gefühle sprechen, sie seltener trösten. Das mache Buben oft einsam: "Sie selbst sprechen mit Freunden kaum über Gefühle – sie wissen oft gar nicht, wie das geht." Whippman zieht folgendes Resümee: Eltern sollten ihre Buben "mehr so erziehen wie Mädchen", ihnen von Beginn an mehr Zuneigung und Verständnis entgegenbringen.
Wenn das gelingt, sollten Buben ihren Schrecken verlieren. Und vielleicht kommt dann der Tag, an dem von Neu-Delhi über New York bis nach Wien werdende Eltern auf die Frage, was sie sich wünschen, einen Bub oder ein Mädchen, ganz gelassen antworten: "Ganz egal, wir freuen uns über beides."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen