Die Frage ist nicht, ob
"man" die Wissenschaften trennen kann, sondern ob nicht gewisse
Wissenschaften "von selbst" von andern Wissenschaften getrennt sind.
Gewiß,
wenn man von vorneherein alle Gegenstände, die man möglicherweise
vor-finden kann, dogmatisch in die Rubriken "Geisteswissenschaften" und
"Naturwis-senschaften" einteilt, verfällt man in einen logischen Zirkel,
indem man das, was man vorher hineingesteckt hat, notwendigerweise
hinten wieder heraus analysiert.
Darum wurde vorgeschlagen,
die Wissenschaften in "nomothetische" (=solche, die auf die
Formulierung allgemeiner Gesetze abzielen) und in "idiographische"
(=sol-che, die das je einzeln Gegebene beschreiben) zu unterteilen. Aber
das ist keine Un-terscheidung der Gegenstände "a priori", von
vornherein und durch bloße logische Konstruktion, sondern eine
Unterscheidung im nachhinein: Welche Gegenstände haben sich tatsächlich
für die Behandlung nach der einen Methode, und welche ha-ben sich für die andere Methode tauglich erwiesen?
... Denn natürlich geht es den Naturwissenschaften um das Formulieren allgemein-gültiger Gesetze und nicht um die Darstellung eines tatsächlich vor ihr liegenden ("Natur"-) Objekts. Darum löst sie ja die Gegenstände zuerst aus ihrer natürlichen Umgebung heraus und versetzt sie in eine künstliche Labor-Situation, wo ein jedes Ding nicht mehr als es selber, sondern bloß als Vertreter seiner Gattung erscheint. Man hat es also durch das bloße experimentelle Verfahren definiert als eines, das... einer Gattung zugehört!
Das kann man mit historischen Ereignissen, mit gedanklichen Gebilden (also mit philosophischen "Systemen"), mit Kunstwerken und sozialen Situationen nicht ma-chen. Die kann man höchstens, nach erschöpfender "idiographischer" Bearbeitung, je nach den Ergebnissen wegen ihrer mehr oder weniger großen Ähnlichkeiten in Gruppen zusammenfassen. Aber daraus lassen sich nachträglich keine "Gesetze" rekonstruieren, denn die könnten ja nur... die eigene Vorgehensweise betreffen!
Wenn irgendeine Denkfigur oder ein Vorstellungsschema aus einer Geisteswissen-schaft (z.B. Philosophie) in einer naturwissenschaftlichen Disziplin (z.B. Mikrophy-sik) wiederauftaucht, oder umgekehrt: dann handelt es sich immer nur um eine Ana-logie, die unser Vorstellungsvermögen zum Weiterdenken anregen mag, aber nie um eine Identität, aus der sich ihrerseits wissenschaftliche Schlüsse ziehen ließen.
Das Problem war, daß sich damit eine klare Grenzlinie gar nicht, wie er dachte, ziehen ließ.* Auch Dilthey hatte seinen Kant gelesen und mußte zugeben, daß sich in den "Naturwissenschaften" der Mensch nicht mit den Dingen beschäftigt, wie sie an sich sind, sondern mit den Dingen, wie er sie sich zurechtkonstruiert hat. Durchführen läßt sich seine Unterscheidung nur dann, wenn man das, was man herausfinden will, klammheimlich vorneweg schon vorausgesetzt hat.
Darum hat der Neukantianer Wilhelm Windelband die Unterscheidung von Nomo-thetisch und Idiographisch eingeführt. Natürlich hatte er dieselben (bestehenden) Wissenschaften im Auge wie Dilthey: Was haben Chemie und Physik gemein, und was unterscheidet sie gemeinsam von Philosophie und Geschichte - und was haben letztere gemeinsam? Natürlich kann man die Liste ausweiten, aber um wen es geht, weiß man schon irgendwie.
Die neue Formulierung Windelbands bezog sich daher nicht auf die Gegenstände (die man so sauber gar nicht trennen kann), sondern auf die Erkenntnisziele und die jeweils ihnen entsprechenden Verfahren.
aus einem Online-Forum, 24..9.. 07
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