aus scinexx zu Jochen Ebmeiers Realien
Voreingenommenheit zeigt sich am Gehirn
Alphawellen in den Hirnströmen verraten kognitive Verzerrung bei Entscheidungen
Verzerrte Sicht? Ob wir
voreingenommen entscheiden oder nicht, lässt sich an unserem Gehirn
ablesen. Wie Experimente zeigen, deutet die Ausprägung so-genannter
Alphawellen darauf hin. Die Stärke dieser Hirnwellenmuster legt demnach
nahe, ob wir auf Grundlage persönlicher Voreingenommenheit agie-ren –
oder diesen „Bias“ überwinden. Damit ergeben sich neue Einblicke in die
neuronalen Grundlagen subjektiver Wahrnehmung, berichten die Forscher.
Ob wir es wollen oder nicht: Unser Gehirn ist aus Prinzip voreingenommen. Es verleitet uns zum Beispiel dazu, Muster zu erkennen,
wo keine sind oder hartnäckig an einer alten Überzeugung festzuhalten,
obwohl neue Informationen dieser eindeu-tig widersprechen. Dieselben
Prozesse sind verantwortlich dafür, dass Vorurteile unseren Eindruck von Gesichtern prägen oder Menschen mit Essstörungen ihren Körper verzerrt wahrnehmen.
„Das Gehirn generiert systematisch verzerrte Wahrnehmungen der Welt,
sodass wir unsere eigene, subjektive Realität entwickeln“, erklären
Laetitia Grabot und Christoph Kayser von der Universität Bielefeld.
Fachleute sprechen von kognitiver Verzerrung – ein in der Regel
unbewusstes Phänomen. Trotzdem kön- nen wir unseren persönlichen „Bias“
unter bestimmten Bedingungen überwinden. Wie aber lässt sich er- kennen,
ob jemand gerade durch eine solche Verzerrung beeinflusst agiert oder
nicht?
Alphawellen als Indiz
Die Auswertungen der Elektroenzephalografie-Messungen (EEG)
enthüllten: Tatsächlich ließ sich am Gehirn ablesen, ob die
Studienteilnehmer im Test ihrer persönlichen Neigung folgten – also
verzerrt agierten – oder diese Voreingenommenheit überwanden. Schon
bevor der erste Stimulus präsentiert wurde, lieferten demnach die
sogenannten Alphawellen einen Hinweis darauf.
Von diesem im Rhythmus von acht bis 13 Hertz schwingenden Hirnströmen
ist schon länger bekannt, dass sie mit Entscheidungen und subjektiven
Eindrücken in Zusammenhang stehen und zum Beispiel beeinflus- sen, wie
Menschen im Nachhinein über ihre Wahrnehmung einer Situation berichten.
Auch für das Lernen spielen diese Hirnströme eine wichtige Rolle.
Schon vor der eigentlichen Entscheidung
Bei der Frage, wie voreingenommen das Gehirn reagiert, war die
Ausprägung dieser Hirnmuster im vorderen Teil des Denkorgans
entscheidend, wie die Tests ergaben: Schwächere Alphawellen bedeuteten,
dass der Proband seinem „Bias“ widerstand. Stärkere Alphawellen tauchten
auf, wenn die Person ihrer persönlichen Neigung entsprechend entschied.
Ob die Studienteilnehmer objektiv betrachtet richtig oder falsch
antworteten, ließ sich an den Hirnströmen dagegen nicht ablesen, wie die
Forscher berichten. Ihnen zufolge scheint die spontane
Alphawellen-Aktivität daher ein spezifisches Indiz für die kognitive
Verzerrung zu sein – und zwar schon bevor die eigentliche Entscheidung
fällt.
Persönlichen „Bias“ überwinden
„Wir zeigen, dass die Alphawellen den Grad der Verzerrung bei
Entscheidungen in einer Zeitwahrneh- mungsaufgabe vorhersagen können. Dies
legt nahe, dass ihre Aktivität Prozesse nachweist, die nötig sind, um
die persönliche Voreingenommenheit eines Individuums zu überwinden“, so
das Fazit der Wissenschaftler.
Diese Erkenntnis liefert nicht nur neue Einblicke in die neuronalen
Grundlagen der subjektiven Wahrnehmung. Sie eröffnet auch die
Möglichkeit den persönlichen „Bias“ von Probanden in Studien zu messen
oder gezielter u manipulieren. (The Journal of Neuroscience, 2020; doi: 10.1523/JNEUROSCI.2359-19.2020)
Quelle: Society for Neuroscience
- von Daniela Albat
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