westgateevents zu Philosophierungen
Es gibt gar keinen Egoismus, der bei sich stehenbliebe und nicht
übergriffe, – es gibt folg-lich jenen »erlaubten«, »moralisch
indifferenten« Egoismus gar nicht, von dem ihr redet.
»Man fördert sein Ich stets auf Kosten des
andern«; »Leben lebt immer auf Unkosten andern Lebens« – wer das nicht
begreift, hat bei sich auch nicht den ersten Schritt zur Redlichkeit
getan.
[369]
Der Wille zur Macht interpretiert (– bei der Bildung eines
Organs handelt es sich um eine Interpretation): er grenzt ab, bestimmt
Grade, Machtverschiedenheiten. Bloße Machtver-schiedenheiten könnten sich
noch nicht als solche empfinden: es muß ein wachsenwollen-des Etwas da
sein, das jedes andre wachsen-wollende Etwas auf seinen Wert hin
interpre-tiert. Darin gleich – – In Wahrheit ist Interpretation
ein Mittel selbst, um Herr über etwas zu werden. (Der organische Prozeß
setzt fortwährend Interpretieren voraus.)
[643]
Der Wille zur Macht. – Wie die Menschen beschaffen sein müßten,
welche diese Umwer-tung an sich vornehmen. Die Rangordnung als
Machtordnung: Krieg und Gefahr die Vor-aussetzung, daß ein Rang seine
Bedingungen festhält. Das grandiose Vorbild: der Mensch in der Natur –
das schwächste, klügste Wesen sich zum Herrn machend, die dümmeren
Ge-walten sich unterjochend.
[856]
Daß der Wert der Welt in unserer Interpretation liegt (– daß
vielleicht irgendwo noch andre Interpretationen möglich sind als bloß
menschliche –), daß die bisherigen Interpretationen perspektivische
Schätzungen sind, vermöge deren wir uns im Leben, d. h. im Willen zur
Macht, zum Wachstum der Macht, erhalten, daß jede Erhöhung des Menschen
die Über-windung engerer Interpretationen mit sich bringt, daß jede
erreichte Verstärkung und Machterweiterung neue Perspektiven auftut und
an neue Horizonte glauben heißt – das geht durch meine Schriften. Die
Welt, die uns etwas angeht, ist falsch, d. h. ist kein
Tatbe-stand, sondern eine Ausdichtung und Rundung über einer mageren
Summe von Beobach-tungen; sie ist »im Flusse«, als etwas Werdendes, als
eine sich immer neu verschiebende Falschheit, die sich niemals der
Wahrheit nähert: denn – es gibt keine »Wahrheit«.
[616]
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Nietzsche, Aus dem Nachlass (XII)
Eigentlich ist er aber der philosophisch tiefere Teil - und zwar gerade durch das Anstößigste daran: den "Willen zur Macht". Endlich hatte er sich dazu durchgerungen, unterm aphori-stischen Glitzern nach festerem Stoff zu bohren, doch so ergab sich zwanglos die Erforder-nis nach Systematisierung - nämlich die, seine Untersuchungen einem verallgemeinernden Zweck zuzuordnen.
'Es ist ja alles Lüge, aber nützliche Fiktion zum Besten des Lebens!' Und dieser blasse Allge-meinplatz sollte allein keine Fiktion sein? Wenigstens emphatisch musste 'das Leben' so überhöht werden, dass es einen bestimmten Sinn vorstellen konnte, der all die andern Fik-tionen immerhin überstrahlen würde. Was Besseres als der Wille zur Macht ist ihm da nicht eingefallen.
Es ist aber etwas, das man glauben muss - wenn man will; oder einfach ignorieren kann. Will sagen, irgendeine Verbindlichkeit, es zu denken, kann es nicht geltend machen. Er ist schlicht und einfach zu Schopenhauers Willen zurückgekehrt, aber im Trotz, nein, die Vorstellung war ihm zu schwächlich, zu unehrlich, überall, wo er im Nachlass endlich auf das philosophische Erbe eingeht, stichelt er doch, selbst wenn er "Kant" sagt, gegen den Schopenhauerschen Quietismus, der überall 'das Leben' hinwegsubtilisiert, um bei seinem vorstellenden kleinen Ich traut hinterm Ofen zu liegen.
Da setzt er noch einen obendrauf, macht aus Leben einen Willen zur Macht, welcher, da hat er völlig Recht, nur ein Wille zur Macht über andere sein kann, und hat schließlich herausge-bracht, was er bei allen andern moniert: ein absolutes Subjekt. Und damit liegt er nun wirk-lich schief. 'Absolut' kann schlechterdings kein reales Subjekt sein; das ist eo ipso bedingt. Absolut kann überhaupt nur ein Transzendentales sein: im Denken; es kann als absolut gedacht werden (wenn auch nicht so recht).
Und am Schluss bemerkt man: Der ruppige Ton, den er zeitlebens gegen die Schulphiloso-phen angeschlagen hat, stand ihm gar nicht zu. Er blieb hinter ihnen zurück; daher das Ge-töse.
JE, 30. 12. 18
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