Freitag, 15. Dezember 2023

Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie.

Max Ernst, Der große Wald, 1927    zu Geschmackssachen

... Kunst steht seit rund anderthalb Jahrhunderten in der Spannung zwischen zwei Bestim-mungspolen - Ästhetik hier und Kunstmarkt dort. Ich habe auch schonmal geschrieben, Kunst sei eben, was Künstler machen. Das läuft faktisch aber auf dasselbe hinaus, eine historische Betrachtung bringt es an den Tag. 

Man könnte nun meinen, der Geschmack ändert sich und die treibende Kraft sei eben der Markt. Es ist aber umgekehrt - der Platz des Ästhetischen ändert sich auf dem Weg aus der industriellen in die postindustrielle Zivilisation, oder anders: mit der kulturellen Entwertung der Erwerbsarbeit. 

Nicht dass der Erwerbsgesichtspunkt in der kulturellen Produktion zurückträte - er tut eher das Gegenteil. Bisher musste der Kunsterwerbler den Preis seiner Werke durch ästhetische Qualitäten rechtfertigen, mindestens zum Schein; 'ist das überhaupt noch Kunst?' fragte der Volksmund, und Heerscharen von Galeristen und Kritikern ließen Hektoliter rhethorischen Dampfs ab. 

Der ästhetische Anteil dagegen tritt paradoxerweise sowohl zurück als auch hervor. Zum einen hört es auf, ein sonntäglich-Feierliches im Leben zu sein und ergießt sich in die schä-bigsten Winkel; und hört auf, die gebildeten Vornehmen auszuzeichnen und macht sich mit Kreti und Plethi gemein. Dabei werden aber nicht unbedingt die Qualitätsanforderungen geringer. Vielmer lösen sich die Genres auf, indem es in jeder Kategorie jetzt IA-Werke gibt und aufdringliches Gestümper. In der - nun ja - ernsten Kunst gib es nicht nur Jeff Koons, sondern gab es auch schon Junge Wilde aus Berlin, und sowohl David Hockney als, nun ja, Gerhard Richter. Und in der unterhaltenden Branche gab es nicht bloß immer Go-Go-Girls wie Sand am Meer, sondern gab es inzwischen das Jahrhundertereignis Michael Jackson und gibt es heute Lady Gaga.

Es ist eine Aufwertung des Ästhetischen, wenn Genres an Bedeutung verlieren und nur noch zählt, wie gut etwas ist. Und ein gewaltiger Fortschritt der Kultur ist es, wenn den Ausschlag dafür, was als gut gilt, nur noch das Geschmacksurteil gibt.

aus Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie. 18. 5. 21 

 

 

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