Dabei ist Pädagogik ohne Risiko gar nicht zu haben. Knaben müssten gewagt
werden, meinte Joh. Fr. Herbart, der Begründet der wissenschaftlichen
Pädagogik. Und wer alle Risiken vorher "kalkulieren" will, der will keine
– und das ist unter den Risiken der Pädago-gik das größte; da darf er
sich dann nicht beklagen, wenn er’s in diesem Beruf schwer hat.
Pädagogik ist eben keine 'Methode', die man nur noch anwenden muss – das
ist das ganze Problem. Das war schon immer das Problem. Allerdings hat
es sich heute zugespitzt wie nie, und das liegt an den Veränderungen der
Arbeitswelt.
Nicht
so sehr die Veränderungen bei der industriellen Fertigung sind der
Grund. Denn Leitbild der Volksschulpädagogik war im 20. Jahrhundert gar
nicht der Industriearbeiter. Das war er im Neunzehnten, und der damalige
Fabrikarbeiter war typischerweise ungelernt. Entsprechend 'elementar'
konnte seine Bildung sein: ABC, 1×1 und 10 Gebote. Im 20. Jahr-hundert
wurde mit dem Überwuchern der eigentlichen Produktion durch die
Verwaltung der Angestellte auch in der Industrie immer mehr zum
Leitbild. Nicht der Geist der Indu-strie ist es, der seither Alles
durchdringt, sondern der Geist der Bürokratie. Und für die Volksschule hieß das: Schema F.
Das
humanistische Gymnasium war auf den höheren Staatsdienst zugeschnitten.
Die Real-schulen bedienten 'die Wirtschaft'. Als dort an die Stelle des
Unternehmers als Maßstab der Leitende Angestellte trat, wurden die Realien dem (ent humanisierten)
Gymnasium zuge-schlagen, und so konnte es während der 'demokratischen'
Bildungsreform der 70er Jahre zur allgemeinen Norm überdehnt werden –
auf die "Restschule" gehn die Zurückgebliebe-nen.
Ein
Standard für alle – der Traum jeder Verwaltung! Das Bildungssystem
'normalisierte' sich zu einer großen Administration – mit dem Gymnasium
als ihrem 'höheren Dienst'. Daran wird die Grundschule
seither gemessen. Die Neigung unserer Schulen zum Zergliedern der Welt
in 'Fächer' und des Lebens in 'Schritte' stammt nicht, wie man meinen
mag, aus der Ar-beitsteilung in der Fabrik, sondern aus den 'Vorgängen'
der bürokratischen Apparate. Das Wie ist dort Substanz, das Was nur
Akzidenz, und der Routinier ist König.
Dass
aber die Verwaltung neben der Zivilgesellschaft steht (d.h. wie ein
Mühlstein an ihrem Hals hängt), war mittelbar durchaus ein Resultat der
industriellen Arbeitsteilung. Je weiter die Produktion in Fächer und
Abteilungen aufgesplittert wurde, umso mehr Spezialisten fürs
Koordinieren wurden gebraucht, um die Einzelteile schließlich zueinander
zu fügen: Das Vermitteln wurde selbst zu einem 'Fach'! Mit dem
Niedergang der Industriegesellschaft geht auch die Zeit der
Fachleute-für-Vermittlung zu Ende. Lean management ist angesagt. Das Vermitteln wird in der medialen Zivilisation (daher der Name) wieder zum genuinen Bestandteil der Schaffens- prozesse selbst; online.
Wozu
also optimieren, was schon jetzt ein Anachronismus ist? Die Arbeitswelt
der Zukunft wird immer weniger von Leitenden Angestellten geprägt sein
und immer mehr von selbst-entwerfenden und selbst-realisierenden
'Unternehmern'. Wozu hätte sich ein heutiger Abi-turient durch einem
Notendurchschnitt von 1,0 denn 'qualifiziert'? Für eine eigne
Perfor-mance in den globalen Netzen ja nicht gerade. Eher doch für eine
leitende Stelle im höhe-ren Staatsdienst. Nur – eine sehr realistische
Berufswahl ist das bald nicht mehr.
Wie oder was
Es
geht gar nicht mehr darum, wie man sich das 'Lernen' vorstellt, sondern
darum, was man unter ‚Wissen’ versteht. Die hergebrachte Lernschule
stellt sich das Wissen als ein gut sortiertes Regal von eingeweckten
Wahr- heiten ('Informationen') vor, auf die "zuzugreifen"
nur noch geübt werden müsste. Das entspricht keiner indu- striellen,
sondern einer büro-kratischen Weltsicht. Ein "Offener Unterricht", der
darauf beruht, ist allerdings ein Paradox, und die Schüler boykottieren
in zu Recht.
Wer
glaubt, dass die Welt schon entdeckt ist, dem werden die Kinder nicht
abnehmen, dass es für sie da was zu entdecken gäbe. Er versäumt nicht
etwa, sie zu "motivieren", sondern er bricht geradezu ihr ureigenes originäres Motiv. Bei ihm sind sie immer zu spät gekommen. Aber das ist nicht wahr, das sind sie nicht. Die Welt ist nicht entdeckt, es entwirft ein jeder 'seine' Welt.
Dass
es darüber hinaus eine 'objektive' Welt gibt, zu welcher die Einzelnen
ihre Privatwelten 'ins Verhältnis setzen', liegt daran, dass sie in
ihrem Alltag miteinander auskommen müssen. Unsere gemeinsamen Ansichten
von der Welt stammen aus gemeinsamen Absichten in der Welt – die nämlich
zu gemeinsamen Hinsichten auf die Welt veranlassen. Und da wir nicht
alle unsere Absichten mit andern teilen, teilen wir auch nicht alle
unsere Ansichten. Ob oder ob nicht, das weiß man nicht im Voraus, man
muss es drauf ankommen lassen. Darum kann man die Risiken der Pädagogik nicht "kalkulieren"!
Über
die ‚wahren’ Ansichten entscheiden also die Hinsichten und die
Absichten. Es ist eine Sinn-Frage, und sie ist keine theoretische, die
sich durch 'Lernen' beantworten ließe, sondern eine praktische, die "aus
Freiheit" zu entscheiden ist; nämlich jedes Mal aufs Neue. Aufs
Ur-teilsvermögen kommt es an.
Das bedeutet, dass der Grund der
Schule – das, worauf sie aufbaut – nicht Wissensbevorra-tung und
Methodenturnen ist, sondern die Unterhaltung (!) der Einbildungskraft
und das Wagen des eigenen Urteils. Die Daseinsberechtigung der
Grund-Schule ist Bildung. Um es ganz genau zu sagen: Geschmacks-Bildung.
Und wer!
Der Lehrer muss selber gesehen haben, was er den Kindern zeigen will. Das ist nicht die Frage, wie er’s macht, sondern wer er ist; nämlich was er aus sich gemacht hat. Das macht gerade den Unterschied aus zwischen dem Pädagogen und den Vielen, die ihren Beruf verfehlt haben. Pädagogik ist eine Kunst. Sie besteht darin, dass ein Alter in die Welt mit den Augen der Neuen sehen kann und trotzdem nicht vergisst, was er alles vorher selber schon gesehen hat – und es den Neuen zeigt. Das muss man können. Und wer es nicht kann, dem wird auch die beste "Methode" nix helfen. Kunst kommt ja von Können. Denn käm’s von Wollen, hat Max Liebermann gesagt, dann hieße es Wulst. Das gilt für unsere Kunst noch mehr als für die andern.
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