In
der griechischen Mythologie gibt es die Chimären; das sind
Zwitterwesen, teils Löwe, teil Ziege, aber auch teils Mensch, teils
Vogel; jedenfalls oben etwas anderes als unten, hinten etwas anderes als
vorn. Sowas gibt es in der Philosophie auch - vorne Begriff, hinten
Bild, oder andersrum; nämlich in den vorwissenschaftlichen
Weltanschauungs- und Lebensphilo-sophien. In der akademischen Philosophie
haben sie seit Kant nur noch wenig Erfolg - außer natürlich in der
Ästhetik. Dort sind sie nach wie vor Mode, Schiller hat sie dort
ein-geführt, indem er aus Bildern Argumente konstruierte, so als seien
sie Begriffe. Wobei der Fehler natürlich nicht der ist, Sätze zu
ästhetischen Dingen, die ja von Anschauungen han-deln,
in Bilder zu fassen; sondern darin, sie diskursiv zu verknüpfen, als ob
sie etwas bewei-sen könnten. "Anschlussfähig", wie der Rezensent formuliert, sind sie so aber auch in der Ästhetik nicht. In der Ästhetik
kann nur ein jeder versuchen, möglichst augenfällig nachzu-zeichnen, was
er selber gesehen hat - und hoffen, dass es Andere auch erkennen.
Doch
wenn ich die Rezension recht verstehe, geht es bei Christian Menkes
"Kraft" und "Vermögen" ja gar nicht um Ästhetik, sondern um Kunst. Wenn
sie auch beide "irgendwie" miteinander zu tun haben, sind sie doch nicht dasselbe. Wohl hat in unserer Geschichte erst das Kunstschöne die Augen für das Naturschöne geöffnet, weshalb sich die Landschaftsma-lerei
erst im bürgerlichen Zeitalter entfalten konnte. Aber 'das, was' die
Kunst an der Natur Schönes zu sehen lehrte, hatte sie nicht selbst
gemacht, sondern nur aufgefunden. Sie hat uns ein Auge nicht erst
eingesetzt, sondern lediglich unsern Blick gewendet.
Es
muss also möglich sein, was Kunst ist, zunächst historisch zu fassen,
wo wir diskursiv und zwingend argumentieren dürfen, bevor wir ihr
Verhältnis zu 'dem Ästhetischen' be-trachten, über das wir nur in Bildern
reden können. Daraus mag erhellen, ob ihr Verhältnis außer einem
historisch-kontingenten auch ein sachlich notwendiges ist.
Und hier kann ich mich glücklicherweise kurz fassen: Kunst ist das, was Künstler machen. Kunst wird dann zu einer kulturgemeinschaftlichen Instanz - über die eo ipso öffentlich ge-stritten werden kann -, wenn
sich ein gesellschaftlicher Stand ausbildet, der von der Kunst und - da es sie anders nicht gäbe - für
die Kunst lebt. Das kann er nur, wenn und weil 'das Ästhetische' in der
Kultur neben dem Brauchbaren schon ein eignes Gewicht angenommen hat. Das Ästhetische entsteht
nicht aus der Kunst, sondern aus den höheren Bedürfnissen, sobald die
niederen Bedürfnisse erst einmal besorgt sind. (Dass die höheren
Bedürfnisse zu-nächst nur die Bedürfnisse der oberen Klassen sind, gehört
zu den Tücken unserer selbstge-machten Geschichte.) Erst dann kann sich
die Produktion des Schönen oder sonstwie äs-thetisch Erheblichen neben
der und gegen die Produktion von Brauchbarem als besondere Erwerbsweise
festsetzen; als Kunst im Unterscheid und im bestimmten Gegensatz zur Ar-beit.
Und
wenn wir von diesem Punkt an die spezifische Tätigkeit des Künstlers zu
'dem Ästheti-schen' genauer betrachten wollten, dann könnten wir, wie
immer wir das Ästhetische hinter-her auffassen würden, auf Christopf
Menkes Chimären, auf seine Mystifikation von "Kraft" und "Vermögen,
verzichten.
aus Kraftlose Chimären JE, 24. 8. 2013
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