Montag, 4. Dezember 2023

Kommt Kunst von Ästhetik, oder umgekehrt?

 Kykladen                                                                 zu Geschmackssachen

In der griechischen Mythologie gibt es die Chimären; das sind Zwitterwesen, teils Löwe, teil Ziege, aber auch teils Mensch, teils Vogel; jedenfalls oben etwas anderes als unten, hinten etwas anderes als vorn. Sowas gibt es in der Philosophie auch - vorne Begriff, hinten Bild, oder andersrum; nämlich in den vorwissenschaftlichen Weltanschauungs- und Lebensphilo-sophien. In der akademischen Philosophie haben sie seit Kant nur noch wenig Erfolg - außer natürlich in der Ästhetik. Dort sind sie nach wie vor Mode, Schiller hat sie dort ein-geführt, indem er aus Bildern Argumente konstruierte, so als seien sie Begriffe. Wobei der Fehler natürlich nicht der ist, Sätze zu ästhetischen Dingen, die ja von Anschauungen han-deln, in Bilder zu fassen; sondern darin, sie diskursiv zu verknüpfen, als ob sie etwas bewei-sen könnten. "Anschlussfähig", wie der Rezensent formuliert, sind sie so aber auch in der Ästhetik nicht. In der Ästhetik kann nur ein jeder versuchen, möglichst augenfällig nachzu-zeichnen, was er selber gesehen hat - und hoffen, dass es Andere auch erkennen.

Doch wenn ich die Rezension recht verstehe, geht es bei Christian Menkes "Kraft" und "Vermögen" ja gar nicht um Ästhetik, sondern um Kunst. Wenn sie auch beide "irgendwie" miteinander zu tun haben, sind sie doch nicht dasselbe. Wohl hat in unserer Geschichte erst das Kunstschöne die Augen für das Naturschöne geöffnet, weshalb sich die Landschaftsma-lerei erst im bürgerlichen Zeitalter entfalten konnte. Aber 'das, was' die Kunst an der Natur Schönes zu sehen lehrte, hatte sie nicht selbst gemacht, sondern nur aufgefunden. Sie hat uns ein Auge nicht erst eingesetzt, sondern lediglich unsern Blick gewendet.

Es muss also möglich sein, was Kunst ist, zunächst historisch zu fassen, wo wir diskursiv und zwingend argumentieren dürfen, bevor wir ihr Verhältnis zu 'dem Ästhetischen' be-trachten, über das wir nur in Bildern reden können. Daraus mag erhellen, ob ihr Verhältnis außer einem historisch-kontingenten auch ein sachlich notwendiges ist.

Und hier kann ich mich glücklicherweise kurz fassen: Kunst ist das, was Künstler machen. Kunst wird dann zu einer kulturgemeinschaftlichen Instanz - über die eo ipso öffentlich ge-stritten werden kann -, wenn sich ein gesellschaftlicher Stand ausbildet, der von der Kunst und - da es sie anders nicht gäbe - für die Kunst lebt. Das kann er nur, wenn und weil 'das Ästhetische' in der Kultur neben dem Brauchbaren schon ein eignes Gewicht angenommen hat. Das Ästhetische entsteht nicht aus der Kunst, sondern aus den höheren Bedürfnissen, sobald die niederen Bedürfnisse erst einmal besorgt sind. (Dass die höheren Bedürfnisse zu-nächst nur die Bedürfnisse der oberen Klassen sind, gehört zu den Tücken unserer selbstge-machten Geschichte.) Erst dann kann sich die Produktion des Schönen oder sonstwie äs-thetisch Erheblichen neben der und gegen die Produktion von Brauchbarem als besondere Erwerbsweise festsetzen; als Kunst im Unterscheid und im bestimmten Gegensatz zur Ar-beit.

Und wenn wir von diesem Punkt an die spezifische Tätigkeit des Künstlers zu 'dem Ästheti-schen' genauer betrachten wollten, dann könnten wir, wie immer wir das Ästhetische hinter-her auffassen würden, auf Christopf Menkes Chimären, auf seine Mystifikation von "Kraft" und "Vermögen, verzichten.

aus Kraftlose Chimären JE, 24. 8. 2013

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