Sonntag, 31. August 2025

Der Untergang der Ritter.

The Battle of Crecy, Edward III of England defeats Philip VI of France, August 26, 1346
aus welt.de, 26. 8. 2025           Bogenschützen entschieden die Schlacht von Crécy             zu öffentliche Angelegenheiten 

Englischer Langbogen: Ein Pfeilhagel dezimierte Frankreichs Ritterschaft
Ein Pfeilhagel „dicht wie Schnee“ dezimierte Frankreichs Ritterschaft

Als Eduard III. von England 1346 bei Crecy auf die Franzosen traf, brach er mit dem ritterlichen Ehrenkodex. Seine Kavallerie kämpfte zu Fuß und seine Schützen mit einer fürchterlichen Waffe: Ihre Langbögen durchschlugen jede Rüstung.

Für seine Zeitgenossen kam König Johann von Böhmen (1296–1346) dem Ideal des edlen Ritters sehr nahe. Der Sohn des Kaisers Heinrich VII. glänzte in Turnieren, machte sich als Kreuzfahrer wie Feldherr einen Namen und erfüllte in gefährlichsten Situationen seinen Eid, selbst nachdem er auf beiden Augen erblindet war. Weil Johann Frankreichs König Philipp VI. (1293–1350) die Gefolgschaft versprochen hatte, ließ er sich am 26. August 1346 bei Crécy von seiner Leibgarde in die Schlacht gegen Eduard III. von England führen. „Sie wagten sich so weit vor, dass sie dort alle erschlagen wurden, und am nächsten Tag fand man sie ..., und alle ihre Pferde waren aneinandergebunden“, berichtet der Chronist Jean Froissart.

Die Schlacht von Crécy ist die erste große Schlacht des sogenannten Hundertjährigen Krieges (1337–1453). Darin ging es nach dem Aussterben der französischen Kapetinger um die Frage, ob den Nebenlinien der Valois in Frankreich oder der Anjou-Plantagenêt in England die Nachfolge zukam. Wiederholt musste Frankreich vernichtende Niederlagen – nach Crécy bei Maupertuis (Poitiers) 1356 und Azincourt (1415) – und sogar die Eroberung von Paris hinnehmen. Aber am Ende ging die französische Krone gestärkt aus dem Konflikt hervor, der England fast alle Besitzungen auf dem Festland kostete.

Auch militärgeschichtlich markierte der Hundertjährige Krieg einen tief greifenden Wandel. Denn ihre großen Siege gegen zahlenmäßig überlegene Heere verdankten die Engländer dem Einsatz einer Waffengattung, die bis dahin eine untergeordnete, ja verachtete Rolle auf den Schlachtfeldern des Mittelalters gespielt hatte: Leicht bewaffnete Fußsoldaten verdrängten den adligen Panzerreiter. Distanzwaffen wie Bogen, Armbrust und Kanone sollte die Zukunft gehören.

Nachdem Philipps Truppen 1337 Eduards Besitzungen in Aquitanien besetzt hatten, antwortete dieser mit der Annahme des französischen Königstitels. Im Juli 1346 landete der Engländer nach umfangreichen Vorbereitungen mit 15.000 Mann in der Normandie. Um sich eine Basis für weitere Kämpfe in Nordfrankreich zu schaffen, zog Eduard zur Seine, die er nördlich von Paris überquerte und sich von dort Richtung Norden, zur Somme wandte. Mit etwa 25.000 Mann nahm Philipp die Verfolgung auf, darunter 6000 genuesischen Armbrustschützen.

Als Eduard erkannte, dass er Philipp nicht abschütteln konnte, nahm er am 26. August am Wald von Crécy-en-Ponthieu, 17 Kilometer nördlich von Abbeville, eine Defensivposition ein. Das Heer wurde auf einem Hügel quer zur Straße aufgestellt. Dabei brach er gleich doppelt mit überkommenen ritterlichen Traditionen. Zum einen konzentrierte er seine 6000 Bogenschützen vor dem Zentrum und an den Flanken. Zum anderen befahl er seiner schweren Kavallerie, vom Pferd zu steigen und die leicht bewaffneten Schützen zu Fuß zu sichern, damit diese nicht von einer feindlichen Attacke niedergeritten werden konnten.

Mit was für einer Waffe der Engländer die Entscheidung suchen wollte, hat der britische Feldmarschall und Militärhistoriker Bernhard Montgomery beschrieben: „Die englischen langen Bogen waren 193 Zentimeter hoch. Die Zugkraft beim Spannen betrug etwa einen Zentner. Gewöhnlich waren sie aus Eiben- oder Ulmenholz. In der Mitte waren sie etwa vier Zentimeter breit, rund drei Zentimeter dick, außen flach und innen rund. Sie liefen spitz zu und endeten mit für die Sehne durchbohrten Hornspitzen. Die Sehne bestand aus Hanf- und Leinenfasern. Der Pfeil war etwa 94 Zentimeter lang, hatte eine kleine, nicht besonders scharfe, rautenförmige Spitze und trug am Ende drei halbe Gänsefedern. Die Sehne wurde in einem Zug bis zum Unterkieferwinkel zurückgezogen, der Schütze zielte und ließ den Pfeil fliegen. Bis auf etwa 240 Meter ließ sich ein gezielter Schuss abgeben, die äußerste Reichweite betrug etwa 350 Meter.“

2-M65-P3-1450-1 Bogenschuetze 15.Jh. / Holzstich 1847 Militaer / Waffen / Pfeil und Bogen. - '(XVe SIECLE.) / ARCHER ANGLAIS'. - / (Englischer Bogenschuetze des 15. Jahrhunderts. Holzstich, altkoloriert, anonym, nach zeitgenoessischer Vorlage. Aus: (Jacques Joseph van Beveren und Charles Du Pressoir), Costume du Moyen Age d'apres les manuscrits, les peintures et les monuments contemporains, Bd.2, Bruessel (Librairie Historique-Artistique) 1847. Privatsammlung.
Bis zu zehn Pfeile pro Minute: Schütze mit Langbogen

Experimente mit Nachbauten haben die Überlieferung bestätigt, dass ein Schütze bis zu zehn Schuss pro Minute abgeben konnte. Denn sie waren darin geübt. In der umfangreichen Literatur, die sich mit dem englischen Langbogen beschäftigt, finden sich zahlreiche Beschreibungen von Experimenten. Demnach konnte ein Pfeil noch auf 200 Metern Entfernung ein 2,5-Zentimeter starkes Brett durchschlagen.

Eduard hatte noch ein weiteres Ass im Ärmel: Disziplin. Seine Bogner waren keine fremdländischen Söldner, sondern freie Untertanen, die zum regelmäßigen Schusstraining verpflichtet und dafür vom Besuch der Sonntagsmesse freigestellt waren. Sie gehörten keinem Aufgebot eines Adligen an, sondern ein Vertrag, in dem Pflichten und Leistungen festgelegt waren, verband sie mit dem König. Bemerkenswert ist, dass Eduards Autorität stark genug war, um seine Ritter zur Aufgabe ihrer Pferde zu bewegen.

The Battle of Crecy, 26 August 1346, (1910). The English forces under Edward III defeat Philip VI's French army. (The Print Collector / Heritage-Images / Heritage Images)
„Die scharfen Pfeile durchbohrten die Soldaten und ihre Pferde

Das war Philipp nicht vergönnt. Als die Franzosen am Nachmittag das englische Heer erreichten, wurden zunächst die Genuesen vorgeschickt. Ihre Armbrüste erlaubten nur eine Schussfolge von zwei Schuss pro Minute, die durch den einsetzenden Regen noch deutlich reduziert wurde. Als ihr Angriff im Pfeilhagel der englischen Bogenschützen liegen blieb, kannten die französischen Ritter kein Halten. Ohne auf taktische Kommandos oder Notwendigkeiten zu achten, gingen die Ritter ungeordnet in die Offensive, wobei sie ihrer Verachtung für die eigenen Söldner freien Lauf ließen, indem sie sie einfach niederritten.

In drei Wellen setzten die französischen Ritter zur Attacke an und wurden durch die Pfeile der Langbogen zurückgeworfen. Sie flogen „so dicht an dicht, dass es wie Schnee war“, schreibt Jean Froissart: „Die scharfen Pfeile durchbohrten die Soldaten und ihre Pferde.“ Da auch die englischen Ritter zu Fuß ihre Position hielten und damit Einbrüche in die Linie verhinderten, türmten sich vor ihnen gestürzte Franzosen. „Unter den Engländern gab es Schurken, die mit großen Messern zu Fuß unterwegs waren, und sie töteten und ermordeten viele, die am Boden lagen, sowohl Grafen, Barone, Ritter als auch Knappen“, klagte der Chronist.

Rund 1500 Ritter fielen, neben dem König von Böhmen auch zahlreiche Hochadlige. Das Gros der Verluste, 8000 Mann oder mehr, entfiel jedoch auf namenlose Fußsoldaten, während die Engländer nur einige hundert Mann verloren haben sollen. Dennoch erwies sich Crécy nicht als die erhoffte Entscheidungsschlacht. Zwar konnte Eduard in der Folge das strategisch wichtige Calais erobern. Aber seine Kräfte reichten nicht aus, um Nordfrankreich zu einer sicheren Position auszubauen.


 

Samstag, 30. August 2025

Der aufrechte Gang.

menschliches Becken  
 aus scinexx.de, 28. August 2025                                          Unsere Beckenanatomie ist einzigartig unter den Primaten – erst sie ermöglicht uns den aufrechten Gang.                                                               zu Jochen Ebmeiers Realien
 
In zwei Schritten zum aufrechten Gang
Zwei fundamentale Veränderungen schufen unser einzigartig menschliches Becken

Einzigartig menschlich: Kein anderes Tier beherrscht den aufrechten Gang wie wir Menschen. Jetzt enthüllt eine Studie erstmals, wie eine entscheidende Anpassung dafür entstanden ist – unser Becken. Seine einzigartige Schaufelform entwickelte sich demnach in zwei Schritten: Der erste ist eine 90-Grad-Drehung und Verkürzung des Darmbeinknochen, der zweite eine grundlegender Wandel im Verknöcherungsmuster der Beckenschaufel, wie das Team in „Nature“ berichtet. Erst beides zusammen ermöglichte unseren Vorfahren den aufrechten Gang.

Der aufrechte Gang war ein entscheidender Durchbruch in der menschlichen Evolution – vollzog sich aber nur allmählich: Vor rund 4,4 Millionen Jahren bewegte sich der Vormensch Ardipithecus zwar schon sporadisch auf zwei Beinen, doch erst der Australopithecus hat vor rund 3,2 Millionen Jahren den aufrechten Gang perfektioniert. „Lucy“ und ihre Nachfolger hatten dadurch die Hände frei, um immer komplexere Werkzeuge zu entwickeln und ihre Fähigkeiten zu erweitern – der Weg zum Menschen war geebnet.

Becken bei Affe und Mensch
Anatomie des Beckens bei Affe und Mensch. 
Unser Becken ist einzigartig

Eine Kernvoraussetzung für unseren aufrechten Gang ist die einzigartige Anatomie unseres Beckens. Die breite Schaufelform unseres Darmbeinknochens stützt unsere inneren Organe und bietet den Muskeln von Oberschenkeln, Gesäß und Rumpf genug Ansatzfläche, um uns aufrecht zu halten und uns beim Gehen auszubalancieren. Menschenaffen und alle anderen Säugetiere haben dagegen ein schmales Becken mit nach hinten zeigendem Darmbein. Dadurch können sie sich nur kurze Zeit und auch nicht perfekt senkrecht aufrichten.

Doch wie hat sich unser einzigartig menschliches Becken entwickelt? Das haben nun Gayani Senevirathne von der Harvard University und ihre Kollegen erstmals umfassend untersucht und aufgeklärt. Dafür kombinierten sie histologische, genetische und anatomische Analysen von Gewebeproben menschlicher Embryos in verschiedenen Entwicklungsstadien sowie von in Museen konservierten Primatenembryos. Dadurch konnte das Team nachverfolgen, wie und wann sich die menschentypische Form des Darmbeinknochens ausbildet.

Erster Schritt: Das Darmbein kippt um 90 Grad

Die Analysen enthüllten: Die Beckenform des Menschen entstand in zwei entscheidenden Schritten. Diese zeigen sich bis heute in der Embryonalentwicklung, spiegeln aber auch die Evolution unserer Vorfahren wider. Der erste Schritt erfolgt im frühen Embryonalstadium, rund 53 Tage nach der Befruchtung. Das bis dahin säugetiertypisch nach hinten gerichtete Knorpelgerüst des Darmbeins verändert plötzlich seine Richtung. Statt sich parallel zur Körperachse zu verlängern, wächst die Darmbeinplatte nun zur Seite.

Diese abrupte Drehung überraschte selbst die Forschenden: „Ich hatte eine allmählich Veränderung erwartet. Aber die Histologie zeigt, dass sich die Darmbeinplatte um 90 Grad dreht“, erklärt Seniorautor Terence Capellini von der Harvard University. „Dadurch wird das Darmbein kurz und gleichzeitig breit.“ Am 72. Tag nach der Befruchtung ist dieser Wandel abgeschlossen – der menschliche Fötus hat nun typisch menschliche Beckenschaufeln.

Verknöcherung
Verknöcherungsmuster des Darmbeins (Ilium) und des Oberschenkelknochens bei Affen und Mensch. Weiß kennzeichnet Knochen, grau Knorpel. 
Zweiter Schritt: Die Verknöcherung wandelt sich

Der zweite entscheidende Schritt betrifft die Verknöcherung des Darmbeins. Normalerweise reifen die Knochenzellen zuerst in der Mitte jedes Knochens aus und wachsen dann langsam in Richtung der Knochenenden. Dadurch wandelt sich der Knorpel allmählich in stabilen Knochen um. „Alle nichtmenschlichen Primaten und auch die Maus haben Darmbeinknochen, die diesem typischen Verknöcherungsmuster folgen“, erklären Senevirathne und ihre Kollegen.

Doch beim menschlichen Embryo zeigt sich ein ganz anderes Bild: „Die Bildung des Darmbeinknochens beginnt einseitig am hinteren Rand nahe des Kreuzbeins statt in der Mitte“, berichtet das Team. Diese Verknöcherungsfront bewegt sich dann entlang des Rands weiter und lässt die Mitte des schaufelförmigen Darmbeins aus. „Dieses Muster ist einzigartig und kommt nur beim menschlichen Darmbein vor“, erklären die Forschenden.

Ungewöhnlich auch: Die Darmbeinmitte verknöchert bei uns Menschen erst mit 16 Wochen Verzögerung. Dadurch bleibt dieser Teil des Beckens noch bis in die 24. Woche knorpelig – das ist bei keinem anderen Primaten der Fall. Doch diese Verzögerung hat einen Grund, wie die Analysen enthüllten: In dieser Zeit bilden sich im knorpeligen Teil des Beckens Ansatzstellen für die Sehnen und Muskeln, die unser Becken und unseren Oberkörper beim aufrechten Gang stabilisieren.

„Kompletter mechanischer Wandel“

Erst diese beiden Schritte formen unser typisch menschliches Becken und unterscheiden uns von allen anderen Primaten und Säugetieren. „Diese Erkenntnisse demonstrieren, dass die menschliche Evolution hier einen kompletten mechanischen Wandel vollzog“, erklärt Capellini. „Es gibt hierfür keine Parallele bei einem der anderen Primaten.“

Dieser tiefgreifende Wandel spiegelt sich auch in den Genen wider: Analysen der Genaktivität enthüllten, dass mehr als 300 Gene an der menschlichen Beckenentwicklung beteiligt sind. Die wichtigste Rolle spielen dabei drei Gene: SOX9 und PTH1R kontrollieren die 90-Grad-Drehung des Darmbein-Knorpelgerüsts. Sind diese Gene defekt, kommen Menschen mit anomal schmalen, fehlgebildeten Becken zur Welt. Das dritte Gen, RUNX2, ist für das ungewöhnliche Verknöcherungsmuster des menschlichen Darmbeins verantwortlich.

Vom Vormenschen zur Gattung Homo

Aber wie lässt sich all dies auf die Menschheitsgeschichte übertragen? Wie Senevirathne und ihre Kollegen erklären, entwickelten sich die beiden Hauptschritte zum menschlichen Becken wahrscheinlich nacheinander. Den Anfang machte vor acht bis fünf Millionen Jahren die Drehung des Darmbeins. „Dies ereignete sich, als sich die Fortbewegung der Homininen von einem affentypischen Gang zur fakultativen Zweibeinigkeit wandelte“, schreiben die Forschenden. Am nun verbreiterten Darmbein fanden die stabilisierenden Muskeln besseren Halt.

Als dann unsere Vorfahren vor fünf bis zwei Millionen Jahren dauerhaft aufrecht gingen, optimierte sich das Zusammenspiel von Knochen und Muskeln. Weitere anatomische Anpassungen kamen hinzu, darunter der schon „moderne“ Fuß des Australopithecus. Vor rund zwei Millionen Jahren kam dann auch das einzigartige Verknöcherungsmuster und seine Verzögerung dazu – etwa um die Zeit, als die ersten Vertreter unserer Gattung Homo entstanden. 

„Damit eröffnet diese Studie uns einen faszinierenden Einblick darin, wie der Mensch im Laufe der Evolution ein so einzigartiges Becken entwickelt hat“, kommentiert die nicht an der Studie beteiligte Genetikerin Camille Berthelot vom Pasteur Institut in Paris. (Nature, 2025; doi: 10.1038/s41586-025-09399-9)

Quelle: Nature, Harvard University; 28. August 2025 - von Nadja Podbregar

 

Freitag, 29. August 2025

Singen können Franzosen nicht!

 J.J. Rousseau, Komponist von Le devin du village.
aus FAZ.NET, 29. 8. 2025                                                                                                      zu Geschmackssachen

Aber die Italiener haben keinen Geschmack. 

 

Nota. - Ein Kommentar zum französisch-italienischen Opernkrieg, der im 18. Jahrhundert in Frank-reich statt-, und sein Ende erst par ordre de moufti fand. Eine kulturgeschichtliche Anekdote, die aber Licht auf zwei Volkscharaktere wirft.
JE 

 

 

Die Lücke, die er hinterlässt, ...

...erfüllt ihn ganz.  
Die werden noch merken, was sie an mir verloren haben.

 

Donnerstag, 28. August 2025

Nu mal sachte.

Bundeskanzler Friedrich Merz spricht in ein Mikrofon (Archivbild) 
aus zdfheute.de, 26. 8. 2025                                                                      zu öffentliche Angelegenheiten  

Ist der Sozialstaat wirklich zu teuer?
Bundeskanzler Merz meint, der Sozialstaat sei zu teuer und nicht mehr finanzierbar. Tatsächlich ist der relative Anteil der Bundesausgaben aber zurückgegangen.

von Lars Bohnsack 

Seit Jahren behaupten Teile der Wirtschaft und der Politik, der Sozialstaat sei zu teuer. Dem hat sich nun auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) angeschlossen. Auf dem Landesparteitag der niedersächsischen CDU forderte er eine Reformde-batte.

Aber stimmt das so überhaupt? Die Zahlen der letzten Jahre geben das jedenfalls nicht her. Die Überschriften sind jedes Jahr die gleichen und erzeugen auch immer die gleichen Reaktionen.

  • Beispiel 1: Das Bürgergeld

Beim Bürgergeld und beim Bundeszuschuss zur Rente wird Jahr für Jahr von einem Rekordhoch gesprochen und geschrieben. Nominell mag das auch stimmen, Alar-mismus scheint dennoch nicht angebracht, denn der notwendige Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt wird meistens komplett ausblendet.

Zwei Beispiele mit vielen Zahlen, bei denen es sich dennoch lohnt, genauer hinzu-schauen. Als das Bürgergeld 2024 auf 46,9 Milliarden Euro anstieg, war der Auf-schrei unüberhörbar. Von ausufernden Kosten war die Rede, die Forderungen nach Streichungen ließen nicht lange auf sich warten.


Anteil am Bundeshaushalt gesunken

Ein Blick in die Archive des Arbeits- und Sozialministeriums zeigt: 2014 hat der Bund 41,3 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld 2 ausgegeben, also für den Vorgänger des Bürgergelds. 2024 waren es 46,9 Milliarden Euro, also 5,6 Milliarden mehr.

Tatsächlich ist aber auch der Bundeshaushalt angewachsen. Lag dieser 2014 noch bei 296,5 Milliarden Euro, hatte er 2024 eine Höhe von 465,7 Milliarden Euro. In Prozentzahlen heißt das: Der Anteil für das Bürgergeld ist gemessen am Bundes-haushalt in zehn Jahren von 14 Prozent auf zehn Prozent gesunken.


Beispiel 2: Die Renten

Ähnlich sieht es bei den Renten aus. Auch hier wird immer über neue Höchstwerte bei den Bundesmitteln für die Rentenversicherung berichtet. Nimmt man die glei-che Berechnung wie beim Bürgergeld, sank der Anteil der Bundeszuschüsse an den Ausgaben der Rentenversicherung von 23,8 Prozent im Jahr 2003 auf 22,9 Prozent im Jahr 2022.

Sinnvoller könnte auch ein Vergleich mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), das die Wirtschaftskraft Deutschlands abbildet, sein. Der Anteil der an die Rentenversiche-rung gezahlten Bundesmittel ist im gleichen Zeitraum von 3,5 Prozent auf 2,8 Pro-zent des BIP gesunken.


Sozialausgaben im Mittelfeld der reichen OECD-Staaten

Die Menge der Zahlen lässt sich wahrscheinlich schwer nach außen tragen. Das macht die Verkürzung auf "Rekordhoch" und "unbezahlbar" vielleicht umso ver-lockender. Die Vergleiche der vergangenen zehn bis 20 Jahre sprechen jedenfalls eine andere Sprache.

Dazu kommt, dass Deutschland - relativ zum Bruttoinlandsprodukt - für Soziales nicht mehr ausgibt als andere Industrieländer. Laut dem Institut für Makroökono-mie und Konjunkturforschung IMK beträgt der Anteil der staatlichen Sozialausga-ben am BIP gut 27 Prozent, damit liegt Deutschland unter den 18 reichen OECD-Ländern im Mittelfeld.


Merz mit politischer Aussage

Tatsächlich hat die Regierung diverse Kommissionen zur Sozialstaats-, Bürgergeld- und Rentenreform einberufen - die demographischen Veränderungen sind unaus-weichlich. Alle Parteien werden in den kommenden Jahren darum ringen, wie es in der Sozialpolitik weiter gehen soll in Deutschland.

Wie viel Geld man bereit ist, in Rente, Bürgergeld, Pflege oder Krankenversiche-rungen zu stecken - oder ob man in diesen Bereichen Leistungen streichen sollte, das nennt man politischen Wettbewerb.

Dann sollte man aber auch die Ansicht, dass der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar sei, eben als das einordnen, was sie ist: eine rein politische Aussage.

Lars Bohnsack ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio.

Nota. -  Dieser Kanzler hat schon mehrere Stellen gefunden, wo er dem präpoten-ten Dünkel der SPD-HalbGranden entgegentreten musste - aber nicht immer bei-zeiten getan hat. Ihnen durch altliberalreaktionäre Rhetorik Wasser auf die Gebets-mühlen zu gießen gibt dem selbstbesorgten Funktionärsagglomerat mehr Luft zum Atmen, als es sich verdient hat. Wenn er ein anderes politisches Pojekt für Deutsch-land will, muss dieser Kanzler es vorzeigen, statt es vorab zu verzwergen, indem er hier und da und sonstwo mit dem Rotstift flickschustert.
JE 

 


Herren und Herrinnen.

Gorilla, m & w.
aus Tagespiegel, 9. 7. 2025                                    zu Männlich, zu öffentliche Angelegenheiten zu Jochen Ebmeiers Realien

Geschlechterdominanz bei Primaten fast ausgeglichen
Männliche Affen der meisten Arten sind deutlich größer als weibliche und setzen sich in direkten Auseinandersetzungen auch durch. Aber die Weibchen haben andere Mittel und Wege zur Macht.

 
Muskelbepackt, deutlich größer als die Weibchen und Eckzähne zum Fürchten: Bei den meisten Primatenarten sind die Männchen den Weibchen körperlich deutlich überlegen. Wenn es aber um Machtfragen geht, etwa, wer sich mit wem paart, setzen sich Weibchen auch mit subtileren Mitteln durch. Eine neue Analyse lässt auch Aussagen über den Menschen zu.

Die verbreitete Annahme, dass bei Primaten grundsätzlich die Männchen das Sozialleben dominieren, wird dadurch widerlegt. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben die Machtverhältnisse zwischen Männchen und Weibchen bei 121 Primatenarten untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die Dominanz eines Geschlechts über das andere eher die Ausnahme ist.

Vielfältige und flexible Verhältnisse

Die Forschenden vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, der Universität Montpellier und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hatten Daten aus 253 Studien analysiert. Wie sie in der Fachzeitschrift „PNAS“ berichten, ging man bislang davon aus, dass Kämpfe vor allem innerhalb desselben Geschlechts stattfinden, etwa, wenn Männchen um Weibchen konkurrieren. Männchen und Weibchen geraten aber ebenso aneinander: bei fast der Hälfte aller aggressiven Begegnungen.

Unter Lemuren wie diesen Rotstirnmakis sind die Machtverhältnisse zwischen Weibchen (weiße Stirn) und Männchen (rote Stirn) häufiger zugunsten der Weibchen aufgeteilt.

Zudem nahm man an, dass bei Primaten generell die Männchen die Weibchen dominieren. Arten wie Kattas (Lemur catta) oder Bonobos (Pan paniscus), bei denen die Weibchen das dominante Geschlecht sind, wurden als Ausnahmen betrachtet. Die neue Studie zeigt jedoch, dass dies so nicht stimmt.

In rund 70 Prozent der untersuchten Populationen gibt es keine klaren Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern. Nur in 17 Prozent zeigte sich eine klare Dominanz der Männchen, während in 13 Prozent der Fälle die Weibchen dominierten. „Unsere Forschung zeigt, wie vielfältig und flexibel Dominanzverhältnisse im Tierreich sein können“, sagt Peter Kappeler, Leiter der Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie am Deutschen Primatenzentrum.

Weibliche Dominanz tritt vor allem bei Arten auf, bei denen die Weibchen monogam leben, ähnliche groß sind wie die Männchen oder hauptsächlich in Bäumen nach Nahrung suchen – Situationen, in denen die Weibchen die Wahl haben, mit wem sie sich paaren. In der Evolution haben sich bei Weibchen auch nicht eindeutige Signale für ihren Zyklus und eine kurze Empfängnisbereitschaft herausgebildet, um ihnen die Kontrolle über die Fortpflanzung zu verschaffen.

Friedliche Machtspielchen: Auch bei der mehr oder weniger gegenseitigen Fellpflege zeigen sich Dominanzverhältnisse.

Männliche Dominanz findet man eher bei Arten, die am Boden leben, bei denen die Männchen größer sind als die Weibchen und sich mit mehreren Weibchen paaren. „Während Männchen ihre Macht häufig über körperliche Überlegenheit durchsetzen, nutzen Weibchen oft alternative Strategien, um die Kontrolle über ihre Paarungen zu erlangen“, sagt Elise Huchard von der Universität Montpellier.

Dass weibliche Dominanz fast ebenso häufig wie männliche vorkommt und viele Primatengesellschaften keine einseitige Machtaufteilung zeigen, stellt Annahmen über die natürliche Grundlage von Geschlechterrollen infrage. „Die Vorstellung, menschliche Patriarchate seien eine unvermeidliche Erbschaft aus der Primatenwelt, wird durch unsere Studie nicht gestützt“, so Kappeler.

 

Mittwoch, 27. August 2025

Pubertierendes Gehirn.

Hirnscans bei pubertierenden Jugendlichen 
aus spektrum.de, 17.05.2010         zu Jochen Ebmeiers Realienzu öffentliche Angelegenheiten; zu Levana, oder Erziehlehre

Pubertierendes Gehirn belohnt Gefahr

Nach und nach bestätigen auch Hirnforscher, was viele Eltern längst geahnt haben: Im Gehirn von Pubertierenden geht so manches drunter und drüber. Als Hauptur-sache wird der Hirnumbau beim Übergang zum Erwachsenenleben vermutet; dabei werden neue Nervenverknüpfungen geschaffen, alte verschwinden, und insgesamt schrumpft die so genannte graue Substanz des Gehirns, während die schnellere, wegen ihrer Myelinhüllschicht weiße Substanz zunimmt. Das zwischenzeitliche Provisorium sorgt allerdings für Probleme. Fatalerweise reift in der Baustelle im Kopf zum Beispiel das Hirnareal besonders langsam, das für das analytische Überdenken der eigenen Handlungen zuständig ist: der präfrontale Kortex.

Neben der Fähigkeit zur reiflichen Überlegung macht Heranwachsenden aber auch das Versagen einer weiteren Kontrollinstanz zu schaffen, die die Motivation austa-riert, eine womögliche gefährliche Handlung mit ungewissem Gewinn durchzufüh-ren, meinen nun Jessica Cohen von der University of Californis in Los Angeles und ihr Team.

Im Zentrum dieses Prozesses steht dabei eine Art Suchtkreislauf im Gehirn der Jugendlichen: Ihr Belohnungszentrum verlangt nach einem immer höheren Einsatz, um auf biochemischen Weg den gleichen Grad innerer Befriedigung zu erreichen. Hauptverantwortlich ist dafür der Neurotransmitter Dopamin und seine Andock-stellen: Weil in der Umbruchphase der Pubertät zunächst immer weniger Rezepto-ren auf diesen Transmitter reagieren, fühlen sich die Betroffenen subjektiv immer weniger bestätigt. Cohen und Co fragten nun aber detaillierter, auf welche Art das Belohnungszentrum aus dem Ruder läuft, um Heranwachsende zu einer Reihe
höchst riskanter Handlungen zu treiben. Die Wissenschaftler führten dazu Ver-gleichsexperimenten mit Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern im Magnetreso-nanztomografen durch.

Offenbar, so die Forscher, liegt die Ursache für das charakteristische risikosuchende Verhalten von Heranwachsenden tatsächlich in einer schlecht justierten besonderen Region des Belohnungszentrums, des Striatums, die weder junge Kinder noch Erwachsene so benutzen wie Heranwachsende. In dem fraglichen Abschnitt wird offenbar zuviel Dopamin ausgeschüttet, wenn eine riskante Handlung subjektiv erfolgreich abgeschlossen wird. Dies motiviert aber dazu, ähnliche Handlungen erneut durchzuführen und – wegen des Gewöhnungseffekts – bald sogar, die Risiken nochmals zu steigern, um den gleichen Belohnungskick zu erfahren.

Damit sei, so die Forscher, der Funktionsmangel im Teilaspekt der "prediction error response" – also der Vorhersage des Fehlersignals, einem der Teilaspekte im klassi-schen Modell des Belohnungslernens – zu finden. Mit Hilfe dieses Fehlersignals wird nach einer
Handlung Bilanz darüber gezogen, ob die erwartete (interne) Beloh-nung mit tatsächlich subjektiv wahrgenommenen Belohnung nach Abschluss einer Tätigkeit übereinstimmt – tut sie es nicht, so passen wir unsere Erwartungen im Normalfall an.

Jugendliche reagieren allerdings nicht mit angepasster Erwartungshaltung, sondern mit noch riskanteren Handlungen. Alternativ, so fassen Cohen und Kollegen zu-sammen, hätte die übertriebene Risikobereitschaft auch durch eine andere, vielleicht ebenfalls im pubertären Hirnumbau bedingte Verrechnungsschwäche erklärt wer-den können – zum Beispiel dadurch, dass die Heranwachsenden sich des Risikos einer Handlung nicht wirklich bewusst sind. Dies treffe allerdings wohl weniger zu: Vielmehr braucht das pubertierende Gehirn die durchaus wahrgenommene Gefahr womöglich sogar, um dem aus dem Ruder gelaufenen zu starken Bedürfnis nach biochemischer Belohnung den nötigen Anreiz zu liefern.
(jo)

 

Dienstag, 26. August 2025

„Aus dem Außen- muss ein Innenkanzler werden“...

...titelt die Frankfurter Allgemeine heute am 26. 8. 2025 

                                           zu öffentliche Angelegenheiten

Das ist radikal falsch. In diesem weltpolitischen Moment muss ein deutscher Kanzler zuerst die Stellung Europas in der Welt und die Stellung Deutschlands in Europa im Auge haben. Alle weiteren Gesichtspunkte sind davon abzuleiten. Dass vor exakt zehn Jahren dieser Gesichtspunkt in Deutschland nur abgehobenen The-oretikern, nicht aber lumpensammelnden Demagogen und dem soeben umgekipp-ten gesunden Volksempfinden als bedenkenswert galt, hat uns an den Punkt ge-bracht, an dem wir heute sowohl aussen- als auch innenpolitisch keuchen.

Wenn man der bislang wenig überzeugenden nichtsogroßen Koalition eins zugu-tehalten kann, ist es dies: Sie lässt sich von den Meinungsumfragen nicht an ihren Prioritäten irremachen.

Oder wedelt der Schwanz mit dem Hund und sie lässt sich doch? 

  

Ratapoils Zukunftsprojekt.

Daumier, Ratapoil
aus Tagesspiegel, 26. 8. 2025                                                                           zu öffentliche Angelegenheiten

„Nicht an Rückkehr zum Frieden interessiert“:
Wie Putins Krieg armen Russen hilft
Der Ukrainekrieg schafft Aufstiegsmöglichkeiten für viele zuvor abgehängte Russen. So schildert es die australische Zeitung „Herald“ – und liefert ein Argument, warum die Invasion aus Putins Sicht weitergehen muss.

Eine der großen politischen Fragen, die Donald Trump genauso umtreibt wie die deutsche Bundesregierung, scheint der russische Machthaber Wladimir Putin für sich gelöst zu haben: Was tun mit einer gering qualifizierten Bevölkerungsschicht auf dem Land, wenn viele Fabrikarbeitsplätze weggefallen sind?

Putins zynische Lösung des Problems sind Jobs, die der Angriffskrieg in der Ukraine geschaffen hat. So stellt es die australische Tageszeitung „The Sydney Morning Herald“ in einer langen, aktuellen Analyse dar. Sie basiert auf Experteneinschätzungen und einem genauen Blick in vormals verarmte russische Randregionen.

Russen aus prekären Verhältnissen haben demnach seit Kriegsbeginn zwei Möglichkeiten, deutlich mehr Geld zu verdienen als anderswo.


1. Fabriken werden plötzlich wieder genutzt und bieten Jobs

Viele russische Städte haben sich seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 vom wirtschaftlichen Niedergang nicht erholt, argumentiert der „Herald“. Häufig waren sie nämlich abhängig von der Kriegswirtschaft. Fabriken standen in der Folge still.

Doch nach der russischen Invasion im Februar 2022 „stellten die stillgelegten Industrieanlagen plötzlich neue Arbeitskräfte ein, und es flossen neue Investitionen. Diese Unternehmen konkurrierten mit anderen Sektoren um Arbeitskräfte und boten gute Löhne“, zitiert die Zeitung die Wirtschaftsexpertin Tatiana Orlova.

In den Fabriken werde nun in drei Schichten pro Tag gearbeitet, um Munition, Uniformen und andere im Krieg benötigte Güter zu produzieren. Die Löhne steigen nicht nur wegen des Bedarfs an Arbeitskräften in den Fabriken. Auch die vielen in den Krieg gezogenen Männer tragen dazu bei, dazu komme die restriktive Migrationspolitik der Regierung.

Die Fabrikarbeiter „leben in unterentwickelten Regionen. Sie arbeiten in ehemals leistungsschwachen Branchen. Sie haben keine höhere Bildung. Aber jetzt sind ihre Fähigkeiten und Kompetenzen gefragt“, sagt die Ökonomin Ekaterina Kurbangaleeva von der George Washington University in Washington.

 

Putin hat im Grunde genommen das getan, was Trump den amerikanischen Wählern versprochen hat: Er hat in den ärmsten Teilen des Landes massenhaft gut bezahlte Arbeitsplätze in Fabriken geschaffen.
The Sydney Morning Herald

 

Zwar ist die russische Wirtschaft im vierten Kriegsjahr unter Druck, räumt die Zeitung ein. Die internationalen Sanktionen und die Inflation infolge der Umstellung auf Kriegsökonomie wirken sich aus. Doch eine Krise gibt es eben nicht. Für einige Russen hat sich das Leben sogar verbessert.


2. Der Fronteinsatz lockt – Krieg macht relativ reich

„Es ist eine gute Zeit, ein russischer Fabrikarbeiter zu sein“, schreibt der „Herold“. „Aber das große Geld wird beim Militär verdient.“ Boni bei der Unterzeichnung des Armeevertrags, Schuldentilgung, Sold – es gibt zahlreiche finanziellen Anreize, als Soldat in die Ukraine einzumarschieren.

Bis zu umgerechnet ungefähr 21.000 Euro gebe es in manchen Regionen allein für die Unterschrift. In einer Anzeige werden laut „Herold“ umgerechnet etwa 86.000 Euro für das erste Jahr Armeedienst versprochen – mehr als das Zehnfache des regionalen Durchschnittslohns.

„Doch die größte finanzielle Belohnung gibt es im Todesfall“, schreibt die Zeitung. „Familien von russischen Soldaten, die an der Front getötet wurden, haben Anspruch auf Zahlungen von bis zu elf Millionen Rubel – das entspricht ungefähr 116.000 Euro.“

Viele Familien auf dem Land hätten sich wegen der Zahlungen Apartments in Städten leisten können, wo es bessere Schulen und Universitäten für ihre Kinder gibt. Dazu kommt: Soldaten und deren Nachwuchs profitieren an den Unis offenbar von einer Zulassungsquote, sie ermöglicht den Zugang ohne Testverfahren.

Frieden liegt nicht im Interesse der Kriegsprofiteure

„All diese Menschen sind nicht an einer Rückkehr zum Frieden interessiert“, wird Kurbangaleeva beim „Herold“ zitiert. „Ich habe den Eindruck, dass die russischen Behörden das spüren.“

Bezahlt wird der wirtschaftliche Aufschwung durch menschliches Leid: Im April bezifferte ein ranghoher Nato-Beamter die Zahl der getöteten russischen Soldaten auf 250.000. Inzwischen dürfte die Zahl der Toten und Verwundeten allen bekannten Schätzungen zufolge mehr als eine Million betragen.

Auf internationaler Ebene ist der Friedensprozess für die Ukraine inzwischen wieder ins Stocken geraten. Von russischer Seite wird ein von Donald Trump gefordertes, baldiges Spitzentreffen zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgelehnt. (TMA/dpa)

 

Nota. - Götz Aly ist der Meinung, Hitler musste in den Krieg flüchten, um dem Staatsbankkrott auszuweichen. Das kann man aber auch anders verstehen: Nur weil er die Revision des 1. Weltkriegs sowieso und vor allem andern wollte, durfte er den Staatsbankrott riskieren - und musste es, sonst hätte er sein Reich gar nicht dafür rüsten können.

Ratapoil musste sich, um seines Onkels Erbe mit Würde zu tragen, als großer Eroberer erweisen, und mischte sich in einen Krieg nach dem andern ein. Bis ihm ein anderer einen Krieg aufnötigte, den er prompt verlor. 

Putin braucht den Krieg als Dauerzustand. Er erlaubt ihm, die Russen mobilisiert zu halten und sie zugleich von ihren eigenen Angelegenheiten abzulenken, erlaubt ihm, einen staatskapitalistischen Sektor auszubauen in den Dimensionen des chine-sischen, und um last but not least die Bürgerrechte gegen Null zu schrauben.

Was immer ihm nützen kann, ist ein Anschlag auf Europas Sicherheit und Freiheit.
JE 

 

 

Ich glaube nur, was ich sehe.

Die Coffer-Illusion ist eine optische Täuschung. Sie zeigt ein schwarz-weißes geometrisches Muster mit vertikalen Streifen, die in regelmäßigen Abständen durch runde und rechteckige Formen unterbrochen werden. Die Streifen variieren in Breite und Schattierung, was einen optischen Effekt erzeugt.
 aus spektrum.de, 27. 6. 2025                                    Welche geometrische Form man bei der Coffer-Illusion wahrnimmt, könnte von der Kultur geprägt sein, in der man lebt oder aufgewachsen ist.                                    zu Jochen Ebmeiers Realien
 
Visuelle Wahrnehmung
Was du siehst, verrät, wo du herkommst
Das Auge trügt nicht? Das stimmt nur bedingt. In ein und demselben Bild können Menschen ganz unterschiedliche Dinge sehen – abhängig von ihrem Herkunftsort.

Rechtecke oder Kreise? Was Menschen bei einer optischen Täuschung sehen, lässt einer Studie zufolge Rückschlüsse darauf zu, woher sie stammen. In einem Experiment von Forscherinnen und Forschern der Harvard University und der London School of Economics gaben 81 Prozent der Betrachterinnen und Betrachter aus den USA und Großbritannien an, in der so genannten Coffer-Illusion nur Rechtecke zu sehen, während 48 Prozent der Menschen aus namibischen Dörfern nur Kreise wahrnahmen. Weniger als zwei Prozent von ihnen sahen ausschließlich Rechtecke. Nur Kreise wiederum sah keiner der Teilnehmer aus den USA oder Großbritannien.

Die Umwelt beeinflusst die Wahrnehmung

Die Befunde legen nahe, dass die Umgebung, in der Menschen aufwachsen oder leben, eine Rolle für die Wahrnehmung spielt. Menschen, die umgeben von rechteckiger Architektur wie Hochhäusern leben, erkennen entsprechende Formen offenbar auch leichter. Die traditionellen Dörfer des indigenen Himba-Volkes in Namibia haben dagegen eher runde Hütten als Behausungen. Dies erklärt auch die Antwort einer von dort stammenden Teilnehmerin, die zwar Kreise wahrnahm, aber gleichzeitig antwortete, sie würde in dem Bild Häuser erkennen.

Die Coffer-Illusion ist eine optische Täuschung. Sie zeigt ein schwarz-weißes geometrisches Muster mit vertikalen Streifen, die in regelmäßigen Abständen durch runde und rechteckige Formen unterbrochen werden. Die Streifen variieren in Breite und Schattierung, was einen optischen Effekt erzeugt.Hochhäuser oder Hütten? | Menschen erkennen bei dieser optischen Illusion Verschiedenes. Denn kulturelle Erfahrungen prägen unsere Wahrnehmung.

Nach der ersten Antwort fragten die Wissenschaftler, ob die Teilnehmer noch weitere Formen in dem Bild erkennen können. Bei der Gruppe aus den USA und Großbritannien sahen etwa 17 Prozent zuerst Rechtecke und später Kreise. 3 Prozent sahen erst Kreise und dann Rechtecke. 48 Prozent der Himba gaben an, erst Kreise und danach die Rechtecke zu sehen, weniger als 3 Prozent sahen anfangs Rechtecke und dann Kreise.

Die Antworten einer dritten Gruppe stützen ebenfalls die Annahme des Teams. Menschen aus Namibia, die nicht auf dem Land, sondern in städtischer Umgebung mit mehr rechteckigen Strukturen leben, nahmen die entsprechende geometrische Form öfter wahr: 19 Prozent sahen nur Kreise, 67 Prozent zuerst Kreise, dann Rechtecke, und 13 Prozent zuerst Rechtecke und dann Kreise. Die Ergebnisse sind bislang noch in keinem Fachjournal, sondern als so genannte Preprint-Studie online veröffentlicht.

Auf die kulturelle Prägung kommt es an

Die visuelle Wahrnehmung werde im Allgemeinen als Mechanismus angesehen, der für alle Bevölkerungsgruppen gleich sei, heißt es in der Studie. Diese Annahme sei so stark verankert, dass die Wissenschaft nicht einmal versucht habe, kulturelle Auswirkungen auf die Wahrnehmung zu untersuchen.

Seine Erkenntnisse sieht das Team als wichtigen Beleg dafür, dass kulturelle Erfahrungen bei der menschlichen Wahrnehmung sehr wohl eine wichtige Rolle spielen. »Das zeigt, wie wichtig Vielfalt ist«, wird der beteiligte Psychologe Michael Muthukrishna von der London School of Economics im Fachjournal »Science« zitiert. »Wenn man versucht, sich ein vollständiges Bild von der Welt zu machen, sollte man einige Leute im Raum haben, die Kreise sehen, wenn man selbst nur Rechtecke sieht.« (dpa/lib)

 

Nota. -  Kreise? Man mags nicht glauben - ich sehe keine.
JE 

 

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