aus welt.de, 14. 11. 2024 zu öffentliche Angelegenheiten
Deutschland ist das Land der Lektürehilfen. Wer in der Schule im Pflichtfach Deutsch erfolgreich sein will, muss sich nicht durch Faust, Michael Kohlhaas oder Kafkas Prozess gekämpft haben. Es reicht, zwei Lektürehilfen* gekauft zu haben, sie mit Textmarkern sorgfältig durchzuarbeiten und am Ende das Auswendigge-lernte möglichst detailgetreu zu Papier zu bringen.
Die Note wird gut sein. Denn die vorbereiteten Gedanken, glatt gebügelt durch einen Schulbuchverlag, sind weder provokant noch originell. Sie sind das, was in Schulen, Behörden und deutschen Unternehmen honoriert wird: Durchschnitt, Mittelmaß, das Ungefährliche.
Deutschland geht es schlecht. Die Wirtschaft lahmt, die Auftragslage deutscher Unternehmen ist mau und der deutsche Kulturexport ist noch immer Daniel Brühl. Dafür mag es zig Gründe geben: Die Merkel-CDU hat ihren Anteil, die europäische Bürokratie ebenso, Robert Habeck sicherlich auch und die SPD, die seit 1998 mit kurzer Ausnahme an der Macht ist.
Wer in Deutschland mittelmäßig ist, kommt gut durch. Man könnte sagen, Mittel-mäßigkeit ist das deutsche Erfolgsrezept der letzten zwanzig Jahre. Denn wer an-eckt oder aufbegehrt, ist dubios. Warum muss er immer meckern? Kann sie nicht mal die Klappe halten? Warum braucht er immer eine Extrawurst? Sollte uns nicht allein schon die Existenz des Begriffs „Extrawurst“ im deutschen Wortschatz stut-zig machen?
Hauptsache konfliktarm leben
Durchschnittliche Menschen kommen besser durch. Sie bieten weniger Angriffs-fläche, gleichen oft durch Fleiß das aus, was ihnen an Kreativität oder Wahnsinn fehlt. Sie nerven weniger, hinterfragen nicht alles und sind zufriedener. Das sind gute Eigenschaften. Sie erledigen die Arbeit, die erledigt werden muss. Trotzdem bringt es ein Land, eine Kultur und die Wirtschaft nicht voran, wenn das To-do-Listen abarbeiten erstrebenswerter ist als neue, wilde Ideen zu haben.
Deutschland hat ein Mentalitätsproblem. Es wurde viel über die Bundesjugend-spiele diskutiert und was sich daraus ableiten lässt. Dabei ist fehlende Leistungs-bereitschaft nur ein Symptom. Die Ursache ist die Mentalität der Mittelmäßigkeit. Wer mittelmäßiges abliefert, hat weniger Konflikte. Warum also nicht ein bisschen weniger leisten?
Es geht im Kindergarten los. Man ist artig, malt nicht über den Mandala-Rand hin-aus, hält brav das Mittagsschläfchen – dann wird man gelobt. In der Schule ist es nicht anders, angepasste Schülerinnen bekommen bessere Noten, wilde Jungs die Strafarbeiten. Und auch in Ausbildung und Studium, aber vor allem im Berufsleben, steht Teamarbeit vor Eigenständigkeit. Dabei weiß jeder, wie Teamarbeit abläuft.
Was Verhaltenspsychologen und Management-Ratgeber in der Theorie für produk-tiv halten, sieht in der Umsetzung oft so aus: Nach ellenlangen Diskussionen bleibt die Arbeit an Einem hängen.
Mittelmäßigkeit ist gemütlich, vor allem für Autoritäten. Die Lehrer, die Chefs, die Eltern, die Finanzämter. Mittelmäßigkeit wird gefördert in einer Gesellschaft, die durch staatliche Vorgaben überreguliert ist. In der „Zeit“ stand vor einer Weile, man müsse die Normalität umarmen, um etwas Besonderes zu sein. Es klingt wie ein Satz aus einer Lektürehilfe.
*) Unsere Lektürenhilfe hieß Der Ibel. Im Ernst: Wenn man den wörtlich wiedergab, war's der Lehrer zufrieden. JE
Nota. - Es gab eine Zeit in-diesem-unsern-Land, das hätte man gesagt: Die ist wohl nie in Deutschland gewesen! Da hatte aber die Formel politisch korrekt hier noch nie einer gehört; geschweige denn selber gedacht.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen