Montag, 3. Juni 2024

Was die Welt an uns hat.

                                            zu öffentliche Angelegenheiten

Der Reichtum Europas und das, was die Welt von uns bekommen kann, ist die Man-nigfaltigkeit von zwei dutzend Kulturen, die auf kleinstem Raum nicht nebeneinan-der, sondern schon immer miteinander bestehen, jahrhundertelang im Krieg, seit siebzig Jahren eher im Frieden. Sie werden durch ihre Unterschiede mehr aneinan-der gebunden als getrennt, denn jeder Unterschied zwischen zweien wird, wenn man auf ihn reflektiert und von den andern absieht, ein Gegensatz, und diese Ge-gensätze teilen wir miteinander.

In Europa wurde die Vernunft geboren. Nicht aus unserer Weisheit, eher aus der Torheit, aber eben den widerstreitenden Torheiten von so vielen. Vor fünfhundert Jahren - wir haben eben das Jubiläum gefeiert - zerriss das einigende Band, das die Römische Kirche um die gegensätzlichen Kulturen gelegt hatte, und die Glaubens-spaltung trieb Europa in einen kontinentalen Bürgerkrieg, den Dreißigjährigen. Ge-führt wurde er von vielen Mächten, aber auf deutschem Boden. Was nachgeborene Historiker den deutschen Sonderweg nannten, hatte dort seinen Anfang.

Doch auch die Vernunft. Sollten die politischen Mächte wieder zu einem friedlichen Verkehr miteinander finden, bedurfte es einer mit unstrittiger Autorität ausgestatte-ten Instanz über den Glaubensbekenntnissen, deren Urteile einem jeden Individu-um von gesundem Verstand einleuchten müssten.

*

Unmittelbar beteiligt am Dreißigjährigen Krieg war nicht nur der Reiteroffizier René des Cartes, sondern, als Diplomat in französischem Dienst, der Rechtsge-lehrte Hugo Grotius. Es gilt als der Vater des Völkerrechts und als Begründer der Unterscheidung zwischen positiven Rechten und 'dem Naturrecht'. Seinen histo-rischen Triumph hat er nicht mehr erlebt, der Westfälische Frieden (1648) wurde erst drei Jahre nach seinem Tod geschlossen. Etsi deus non daretur - 'selbst wenn es Gott nicht gäbe' - sollte Recht sein, denn solange theologische Erwägungen im wirklichen Leben eine Rolle spielten, gab es statt Recht und Frieden nur Mord und Totschlag.

Es hat seine Zeit gebraucht, doch schlicßlich ging aus der Vorstellung von einem Recht, das 'allein schon aus unserer Natur' folgt, unausweichlich die Idee der allge-meinen unveräußerlichen Menschenrechte hervor. 

Hätte sie auch anderswo aufkommen können als in Europa? Sie ist es nicht. Aber hier ist sie mit Notwendigkeit aufgekommen. Mit Notwendigkeit, weil sie gerade nicht selbstverständlich war und - selbst in Europa - noch heute nicht geworden ist: Nur hier ist sie nicht beiläufig, nicht "umständehalber", nicht 'durch Nichtwissen', sondern ausdrücklich und grundsätzlich bestritten worden; nicht ideell, sondern praktisch in Fleisch und Blut und Rauch und Asche. Das war in Europa, und wer sollte davon zeugen, wenn nicht wir Deutschen in Europa?

Mit andern Worten, die Zukunft Deutschlands liegt in Europa nicht, weil es uns so am besten passt; sondern weil die Zukunft der Welt im entscheidenden Punkt an Europa hängt, und weil es unsere wenn schon sonst niemand anderes Pflicht ist, darüber zu wachen.

Bin ich stolz, ein Deutscher zu sein?

Man müsse sich Sysiphus glücklich vorstellen, hat mal einer geschrieben.

aus "Vereinigte Staaten von Europa"; 11. 12, 17



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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