Mittwoch, 12. Juni 2024

War Kant ein verkappter Theologe?

 

Statue von Immanuel Kant 
aus derStandard.at, 10. 6. 2924                                                                     zu Philosophierungen
 
Kant und die protestantische Theologie 
Eine Transformation der Religion
Von der Bibel zur Moral: Wie Immanuel Kant das Fundament der modernen Theologie legte

Am 22. April vor 300 Jahren wurde Immanuel Kant geboren. Mit seinem Werk verbindet sich ähnlich wie mit dem von Nikolaus Kopernikus eine Wende. Kant markiert auch für die protestantische Theologie einen entscheidenden Wendepunkt. Doch worin liegt die Bedeutung eines Philosophen für die Theologie, der in die Geschichte als "Alleszermalmender" eingegangen ist? Den überweltlichen Gott im Himmel ließ Kant, wie es Heinrich Heine formulierte, über die erkenntnistheore-tische Klinge springen, um ihn dann, vielleicht aus Mitleid mit seinem alten Diener Lampe, in der Moralphilosophie wiederzubeleben.

Zusammenbruch der vormodernen Theologie

Kants Leben und Wirken war auf die ehemalig preußische Universitätsstadt Kö-nigsberg beschränkt. Vom Pietismus geprägt, studierte er an der heimatlichen Uni-versität, an der er später selbst lehrte. 1781 publizierte Kant sein Hauptwerk, die Kritik der reinen Vernunft, an dem er zwölf Jahre lang arbeitete. Von den Zeitge-nossen wurde es als Revolution, ja gar als Evangelium wahrgenommen. Es stellte das Wissen auf eine völlig neue Grundlage. Intersubjektiv geltende Erkenntnis, so seine These, komme durch das Zusammenspiel von Anschauung und Begriff zu-stande. Wo eins von beiden fehlt, liegt keine Erkenntnis vor. Das hat Konsequenzen für die Theologie und ihren Gegenstand. Da der Mensch von Gott keine Anschau-ung habe, kann es keine Erkenntnis von ihm geben. Gott scheidet aus dem Bereich der möglichen Erkenntnisgegenstände aus.

Damit bricht die alte, vormoderne Theologie zusammen. Religion wird unabhängig von der Metaphysik. Sie hat nichts mit theoretischer Erkenntnis zu tun. Kant ord-net die Religion dem moralischen Handeln des Menschen zu. Zwar gründet die Moral nicht in Gott, wohl aber führe sie unumgänglich zur Religion. Das ist des-halb der Fall, weil in jedem sittlichen Handeln vorausgesetzt werden muss, dass Freiheit und Natur zusammen bestehen können, die Korrespondenz beider aber nicht durch das Handeln hervorgebracht werden kann. Gott repräsentiert im sitt-lichen Handeln diese für die Verwirklichung der Moral durch den Menschen unum-gängliche Voraussetzung: die Kompatibilität von Sittlichkeit und Naturnotwendig-keit. Religion hat eine Funktion für die Realisierung der Moral. Ihre Inhalte, Gott, Jesus Christus, der Geist und die Kirche, beschreiben die Bestandteile und die Struktur des sittlichen Handlungsbewusstseins.

Vom Bibelglauben zur Religionsautonomie

Durch Kants Erkenntniskritik wurde der Religionsbegriff zur Grundlage der mo-dernen protestantischen Theologie. Nachdem bereits die Bibelkritik der Aufklärung die Bibel als ein gleichsam vom Himmel gefallenes Buch entzaubert und auf diese Weise die Basis der Theologie des alten Luthertums aufgelöst hatte, bedurfte die protestantische Theologie eines neuen Fundaments, um sich weiterhin als Wissen-schaft an Universitäten behaupten zu können. Diese Funktionsstelle nahm der Religionsbegriff ein. Durch die sozialen und kulturellen Entwicklungen in der Auf-klärung verlor die christliche Religion ihre bisherige Stellung als ein übergeordneter Rahmen des Weltbildes. Religion wurde zu einer kulturellen Form neben anderen Formen. Dadurch wurde jedoch auch unklar, was Religion überhaupt ist und welche Funktion sie für den Menschen und die Gesellschaft hat. Kant bestimmte sie als Funktion der Moral. Doch damit ist Religion ersichtlich nichts Eigenständiges mehr. Hier liegt die Grenze von Kants Religionsphilosophie. Sie ist nicht in der Lage, die Autonomie der Religion zu erfassen.

Will man an Kants kritischen Einsicht festhalten und zugleich an der Eigenständig-keit der Religion, dann muss diese von der Moral abgelöst werden. Diesen Schnitt vollzogen zu haben ist das Verdienst von Friedrich Schleiermacher. In seinen 1799 erschienenen Reden Über die Religion arbeitete er die Selbstständigkeit der Religion aus. Religion hat nichts mit Metaphysik oder Moral zu tun. Sie ist eine eigene Pro-vinz im Gemüt und besteht in einem inneren Erleben, das sich in Bildern artiku-liert. Wie für Kant haben die Inhalte der Religion eine Funktion. Aber nun nicht mehr für die Moral, sondern für die Religion selbst. Ihre Inhalte verweisen nicht auf irgendwelche Gegenstände oder den kategorischen Imperativ. Sie beschreiben und artikulieren Religion. Damit ist die Grundlage für eine Theologie geschaffen, die methodisch kontrolliert als Wissenschaft arbeitet.

Voranschreitender Modernisierungsprozess

Vor dem Hintergrund des voranschreitenden Modernisierungsprozesses im 19. und 20. Jahrhundert differenzierte sich Religion immer mehr als eine eigenständige Form aus. Religion wurde zunächst von der Moral abgelöst, später von ihrer Ein-ordnung in das Bewusstsein und schließlich ein allgemeiner anthropologischer Religionsbegriff problematisiert. Auch die Theologie etablierte sich in diesem Prozess als eine autonome Wissenschaft. Sie wurde zu einer auf die christliche Religion bezogenen Wissenschaft, deren inneres Funktionieren als Religion sie zu erfassen hat. Theologie ist weder eine Wissenschaft von jenseitigen Dingen, die man nicht wissen kann, noch eine Funktion der Kirche. Eine solche Theologie hätte an Universitäten nichts zu suchen.

Eine methodisch kontrollierte akademische Disziplin ist sie nur als Wissenschaft von der christliche Religion. Sie thematisiert das Religionsein der christlichen Religion, also das, was sie zur Religion macht. Das sind nicht schon die Inhalte als solche. Sie können jederzeit in einem nichtreligiösen Sinne verwendet werden, und zwar ohne dass sich etwas an den Inhalten ändert. Christlich-religiöse Inhalte entstehen im religiösen Gebrauch, der von ihnen gemacht wird. Sie haben eine Funktion für die Religion, die sich in und mit ihnen als eine eigene Form der Kommunikation in der Kultur darstellt. Die christliche Religion gibt es nur, wenn Menschen die Erinnerung an Jesus Christus religiös benutzen und religiös weitergeben. Für eine wissenschaftliche Theologie heißt das, sie beschreibt, wie Inhalte der christlichen Religion mit ihr zusammen in der christlich-religiösen Kommunikation entstehen. Dass religiöse Inhalte eine Funktion für die Religion haben, das war Kants Entdeckung, die auch heute noch für eine Theologie von Bedeutung ist, die sich als Wissenschaft versteht. 

Christian Danz ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Vizesprecher des Forschungszentrums RaT.

 

Nota. -  Kant wollte erklärtermaßen das Reich des Wissens einschränken, um dem Glauben Platz zu lassen. Dass er so der Theologie ein Schlupfloch schafft, ist wohl wahr, aber ob das für ihn spricht, ist diskutabel. 

Drehen wirs andersrum: Ein ausdrücklicher Gegner der Kant'schen Lehren war der Glaubensphilosoph Johann Heinrich Jacobi - und unter den Gegnern der einzige, der die Kritische Philosophie verstanden hatte. Im Atheismusstreit um Johann Gott-lieb Fichte nahm er daher eine ganz eigne Stellung ein. Als Philosophie sei sie die einzig Haltbare, und in ausdrücklichem Gegensatz zu Kant erklärte er Fichtes Wissenschaftslehre als die authentische und einzig konsequente Durchführung der Kritischen alias Transzendentalphilosophie. Fichte lasse dem Glauben allerdings keinen Platz und hätte Recht, wenn er Kant vorwarf, auf halbem Weg stehen zu bleiben. Dessen Halbheit sei aber seine Ehrenrettung, denn die Wissenschaftlehre führe direkt in den Nihilismus.
JE

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