Montag, 17. Juni 2024

Einen Anfang machen.

chiquenaude                                    zu Philosophierungen 

 Dagegen verstehe ich unter Freiheit, im cosmologischen Verstande, das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Caussalität also nicht nach dem Natur-gesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach be-stimte. 

Die Freiheit ist in dieser Bedeutung eine reine transscendentale Idee, die erstlich nichts von der Erfahrung entlehntes enthält, zweitens deren Gegenstand auch in keiner Erfahrung bestimt gegeben werden kan, weil es ein allgemeines Gesetz, selbst der Möglichkeit aller Erfahrung ist: daß alles, was geschieht, eine Ursache, mithin auch die Caussalität der Ursache, die selbst geschehen, oder entstanden, wie-derum eine Ursache haben müsse; wodurch denn das ganze Feld der Erfahrung, so weit es sich erstrecken mag, in einen Inbegriff blosser Natur verwandelt wird. 

Da aber auf solche Weise keine absolute Totalität der Bedingungen im Caussalver-hältnisse heraus zu bekommen ist, so schaft sich die Vernunft die Idee von einer Spontaneität, die von selbst anheben könne zu handeln, ohne daß eine andere Ur-sache vorangeschickt werden dürfe, sie wiederum nach dem Gesetze der Caussal-verknüpfung zur Handlung zu bestimmen.
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft. Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 533.

 

Nota. - Als Hans Vaihinger an diese Stelle gekommen ist, wird er wohl eine Flasche Champagner aufgemacht haben. Nicht nur erklärt Kant das Noumenon Freiheit ausdrücklich zu einer Fiktion, sondern als einen Rösselsprung über die faktische Unmöglichkeit, für einen gegebenen Naturzustand sämtliche Ursachen auszuma-chen - zu einer Denkkrücke, um eine an sich notwendige Operation zu umgehen, weil sie schwierig ist. 

Allerdings bezieht sich Kant hier auf die cartesische Vorstellung von Gott als einem Uhrmacher, der, nachdem er die Mechanik besorgt hatte, ihr noch einen kleinen Stups - une chiquenaude, spottete Blaise Pascal - mit auf den Weg gab, um sie in Be-wegung zu setzen. Und Malebranche sprach ihm gar die Freiheit zu, okkasionell die Natur, wenns irgendwo eine Stockung gibt, mit einer Handreichung wieder flott zu machen.

Tatsächlich argumentiert Kant hier gegen eine Vermenschlichung Gottes in der Welt. Die Freiheit der Menschen, 'einen Zustand von selbst anzufangen', ist davon nicht berührt.
JE

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