Spitzweg
aus scinexx.de, 6. 6. 2024 zu Jochen Ebmeiers Realien, zu Philosophierungen
„Kalt“ ist für das Hirn etwas anderes als „nicht heiß“
Wie unser Gehirn verneinte Adjektive verarbeitet
Kein simpler Umkehrschluss: Indem wir ein „nicht“
davorsetzen, können wir theoretisch jedes Adjektiv verneinen, um sein
Gegenteil zu beschreiben. In unserem Gehirn kommt dabei jedoch ein
anderes Signal an, wie eine neue Studie zeigt. „Kalt“ ist beispielsweise
für unser Denkorgan etwas anderes als „nicht heiß“. Wie wir einen
Zustand beschreiben, beeinflusst demnach die Art und Weise, wie unser
Gehirn diesen interpretiert. Wie funktioniert die Verneinung auf
neuronaler Ebene?
Im Alltag nutzen wir häufig Verneinungen, um Objekte oder Situationen
zu beschreiben: Das Wasser ist zum Beispiel nicht kalt, ein Raum nicht
hell und die Lage nicht schlecht. Doch wie unser Gehirn solche
verneinten Adjektive verarbeitet, ist bislang kaum erforscht. Frühere
Studien deuten darauf hin, dass die Neuronen im Gehirn negierte Phrasen
langsamer und mit mehr Fehlern verarbeiten als ihre positiv formulierten
Gegenstücke. Künstliche neuronale Netze scheinen mit Verneinungen
hingegen keine Schwierigkeiten zu haben. Warum aber verarbeitet unser
Gehirn Negationen anders als ein Computer? Was passiert dabei auf
neuronaler Ebene?
Unser Gehirn erkennt Verneinungen nur langsam
Um das herauszufinden, hat ein Team um Arianna Zuanazzi von der New
York University nun ein Experiment mit 78 Testpersonen durchgeführt. Die
Teilnehmenden sollten verschiedene bejahende oder verneinte Adjektive
auf einem Bildschirm lesen und deren Bedeutung auf einer Skala von eins
(sehr negativ) bis zehn (sehr positiv) bewerten. Zum Beispiel sollten
sie die Wörter „gut“ und „schlecht“ sowie ihre Verneinungen „nicht gut“
und „nicht schlecht“ einordnen. Die Forschenden verfolgten dabei die
Mausbewegungen der Testpersonen auf dem Bildschirm.
Dabei zeigte sich: Bei negierten Adjektiven wie beispielsweise „nicht
glücklich“ antworteten die Testpersonen tatsächlich langsamer und
interpretierten deren Bedeutung unterschiedlicher als bei affirmativen
Wörtern wie „glücklich“. Zudem tendierten die Probandinnen und Probanden
zunächst dazu, die verneinten Adjektive als bejahend zu verstehen,
bevor sie ihr Kreuz auf der Skala bei der entgegengesetzten Bedeutung
setzten, wie die Mausbewegungen verrieten. Eine Wiederholung dieses
Experiments mit 55 anderen Personen ergab dasselbe Ergebnis.
Abgeschwächte Bedeutung statt Umkehrschluss
In einem zweiten Experiment bewerteten 26 weitere Testpersonen
ebenfalls bejahende oder verneinte Phrasen auf einer Skala.
Währenddessen analysierten die Forschenden deren Gehirnaktivität per
Magnetenzephalographie (MEG). Dabei ergaben sich erneut langsamere
Reaktionszeiten für negierte Adjektive, wie Zuanazzi und ihre Kollegen
feststellten.
Zudem zeigten sich bei verneinten Adjektiven ähnliche Aktivitäten im
Gehirn wie bei ihren affirmativen Gegenstücken – allerdings in
abgeschwächter Ausprägung. Die Forschenden schließen daraus, dass durch
die negierten Beschreibungen ähnliche Neuronen aktiviert werden wie
durch die positiv formulierten Adjektive. Dabei kombiniert unser Gehirn
die einzelnen Wörter – das Adjektiv und „nicht“ – zu einem anderen
Aktivitätsmuster als das gegenteilige Adjektiv hervorruft.
Dadurch interpretierten die Teilnehmenden die Verneinungen anfänglich
als positiv, milderten ihre Bedeutung dann aber ab, so die Forschenden.
Die verneinte Formulierung schwächt demnach die Bedeutung des Adjektivs
nur ab, jedoch ohne sie umzukehren – „nicht heiß“ signalisiert in den
Neuronen beispielsweise „weniger heiß“ statt „kalt“.
Methodik eröffnet neue Forschungsfragen
Die Studie liefert damit neue Hinweise darauf, wie unser Gehirn
Verneinungen verarbeitet. „Die Untersuchung der Negation bietet einen
überzeugenden linguistischen Rahmen, um zu verstehen, wie das
menschliche Gehirn durch kombinatorische Prozesse Bedeutung aufbaut“,
schreiben die Autoren. Die Methodik könnte künftig auch verwendet
werden, um die neuronale Verarbeitung von Sprache bei anderen
Wortkonstrukten zu erforschen. (PLOS Biology, 2024; doi: 10.1371/journal.pbio.3002622)
Quelle: PLOS
6. Juni 2024
- Claudia Krapp
Nota. -Bei uns Menschen ist so, "dass die Neuronen im Gehirn negierte Phrasen
langsamer und mit mehr Fehlern verarbeiten als ihre positiv formulierten
Gegen-stücke. Künstliche neuronale Netze scheinen mit Verneinungen
hingegen keine Schwierigkeiten zu haben. Warum aber verarbeitet unser
Gehirn Negationen anders als ein Computer?"
Das liegt daran, dass der Computer ohnenhin nur digitale und keine analogen In-formationen erhält, ergo nichts aus dem einen in den andern Modus "übersetzen" muss; und andersrum erst recht nicht: Andere als digitale Information kann man ihm gar nicht einverleiben, bei Bildern steht er wie der Ochs vorm Tor.
Was hat das mit der Verneinung zu tun?
Im analogen, anschaulichen Modus lassen sich nur positive Sätze darstellen. Die Verneinung und erst recht der Fragemodus: ja oder nein? - können nur digital und für den reflektierende Verstand ausgesagt werden. Nur wir Menschen können bei-des. Aber das eine in den andern Modus können auch wir nur eingeschränkt. Bilder, und seien es selbst schon digital halbübersetze Wortbilder, lassen sich nicht restlos in digits auflösen. Ganz krass ist es mit den Farben: Wie will man einen Blindgebo-renen 'beibringen', was Rot ist und wie es sich von Blau unterscheidet? Die blumige Sprache der Dichter kann weit führen, aber immer für den einen weniger weit als für den andern. Doch bei Rot und Blau versagen auch sie.
Bei heiß und kalt ist es nicht anders. Das sind Qualitäten, die man wohl bezeichnen mag. Aber anschauen muss man sie können, sonst weiß ja nicht, worauf man das Zeichen setzen soll, und einem andern mitteilen kann man die Bedeutung der Zei-chen nur, indem man mit dem Finger auf etwas deutet, das diese Qualität vorweist.
Mit dem Finger kann nur auf diese eine oder jene andere Qualität - von rot auf blau und von gelb auf braun weisen. Aber auf nicht-blau können Sie schon nicht mehr zeigen. Sagen können Sie aber: 'irgendeine andere Farbe'. Was aber ist eine Farbe? Darauf können Sie schon wieder nicht weisen, denn es ist ein Wortzeichen für eine Ab-straktion. Farbe ist ein Begriff, blau ist es nicht (Hören Sie, Wittgenstein?). Die Farbe können Sie nun verneinen: farblos; aber worauf immer sie zeigen: Es wird höchsten fast farblos sein. So wie ein rotes Auto immer ein bisschen röter oder weniger rot ist als ein anderes. Die Wirklichkeit ist immer nur ungefähr, das ist ein unverbesserli-cher ewiger Fehler an ihr.
Klar und bestimmt sind nur die Begriffe (sofern man sich eindeutig auf sie ver-ständigt hat). Die Wirklichkeit auf dem einen oder andern Abstraktions- und Reflexiongrad. Verneinung verweist auf eine höhere oder niedere semantische Ebene, die auch als Qualitätsstufen auffassen kann.
Das ist jedesmal eine Anstrengung fürs Denken, für die einen mehr und die andern weniger - da spielt Übung eine große Rolle, wie bei jeder Kunst.
Anmerkung.
Ja ist für die Maschine Standard. Sie kennt keine Zweifel und muss nicht zögern. Sie schluckt jeden Mist, wenn sie ihn nur selber generiert hat. Sie kann gar nicht nein sagen, weil sie dafür Gründe bräuchte, die sie nicht hat. Sie kann nicht reflektieren. Sie hat keinen Abstand zu sich selbst, weil sie ein Selbst nicht kennt. KI lügt nicht, sondern sagt, was ihr einfällt. Was sollte sie davon abhalten?
JE
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