Samstag, 26. Oktober 2024

Das Sprachspiel und die Regeln.


aus scinexx.de, 25. Oktober 2024,                                                                                 zu Jochen Ebmeiers Realien

Unser Gehirn liest Sätze schneller als Worte
Gehirnareal verarbeitet Satzstrukturen blitzschnell
 
Flink verstanden: Das menschliche Gehirn verarbeitet kurze Sätze schneller als einzelne Wörter. Bereits nach 127 Millisekunden erkennt unser Denkorgan vollständige Satzstrukturen. Um ungeordnete Wortlisten zu verstehen, braucht es hingegen länger, wie Forscherinnen herausgefunden haben. Demnach hilft die Satzstruktur dem Verständnis. Aber warum?

Die menschliche Sprache folgt einer bestimmten zeitlichen Struktur. Wenn eine Person beispielsweise ein Buch liest oder eine Geschichte erzählt, tut sie dies Wort für Wort und spricht nicht alle Wörter gleichzeitig oder gar rückwärts. In der ent-sprechenden Sequenz verarbeitet unser Gehirn dann die Wortfolge.

Wenn wir unsere Handys oder Laptops nutzen, stoßen wir hingegen immer häufi-ger auf extrem kurze Texte, wie beispielsweise Push-Benachrichtigungen oder Text-einblendungen auf Videos. Diese Informationen erscheinen und verschwinden mit hoher Geschwindigkeit, dennoch können Leser alle bildhaft auf einmal präsentier-ten Worte des gesamten Textes mit einem einzigen Blick erfassen.

Gehirnaktivität beim Wörterlesen

Wie ist das möglich? Wie schnell und in welcher Reihenfolge verarbeitet das Gehirn die Wortsequenzen solcher Texte? Diese Frage untersuchten Jacqueline Fallon und Liina Pylkkänen von der New York University.

Die Forscherinnen präsentierten dafür 36 Probanden 300 Millisekunden lang unter-schiedliche Drei-Wort-Sequenzen – entweder ganze Sätze wie „Krankenschwestern reinigen Wunden“ oder Wortlisten wie „Herzen Lungen Lebern“. Mittels Magnet-enzephalographie (MEG) zeichneten sie währenddessen die neuronale Aktivität im Gehirn der Probanden auf.

Gehirn erkennt Satzstrukturen schneller als Worte

Es zeigte sich, dass der linke Temporallappen, welcher das Sprachverständnis steu-ert, die dreiwörtigen Sätze bereits nach 127 Millisekunden verarbeitete – fast so schnell wie das Gehirn Bilder erkennt und schneller als es gesprochene Sprachfet-zen wahrnimmt. „In der Zeit, die es braucht, um eine Silbe zu hören, kann das Gehirn tatsächlich die Struktur eines kurzen Satzes erkennen“, erklärt Pylkkänen. Bei den Sätzen zeigte dieses Gehirnareal dabei eine höhere Aktivität als bei den Wortlisten.

Der Grund: Weil die Probanden alle Wörter gleichzeitig im Blickfeld hatten, half ihnen jedes weitere Wort im Satz dabei, auch die anderen Wörter des Satzes zu erkennen und zu verstehen. „Genauso wie Menschen eine Tasse schneller ertasten, wenn sie die ganze Hand darauf legen und viele Teile davon fühlen, erkennt eine Person einen Satz sehr viel schneller, wenn sie den ganzen Satz auf einmal sieht“, erklärt das Team.

Strukturdominanz: Gehirn erkennt Syntax zuerst

Das im Vergleich zu reinen Wortlisten stärkere Sprachsignal im Gehirn zeigte sich auch dann noch, wenn der Satz grammatisch falsch war – wie etwa bei „Kranken-schwestern reinigt Wunden“. Und nicht nur das: Selbst, wenn der Satz keine plau-sible Bedeutung mehr hatte – wie etwa bei „Wunden reinigt Krankenschwestern“ – reagierte der linke Temporallappen der Testpersonen ähnlich schnell wie bei einem sinnvollen Satz.

Das deutet laut den Forscherinnen darauf hin, dass der linke Temporallappen eher auf die Struktur eines Satzes reagiert als auf dessen Bedeutung. Demzufolge könnte die erste sprachliche Verarbeitungsstufe im Gehirn auf der Satzstruktur basieren, wobei der linke Temporallappen der zentrale Ort für die Syntaxverarbeitung wäre.

Neue Einblicke in das Sprachsystem des Gehirns

„Diese Erkenntnisse bieten wertvolle Einblicke in die intrinsischen Fähigkeiten des Gehirns zur Sprachverarbeitung“, erklärt Pylkkänen. „Besonders die Tatsache, dass unser Gehirn die Bedeutung dieser schnellen Nachrichten aus einem einzigen Blick erfassen kann, könnte etwas Grundlegendes über das Verarbeitungspotenzial des Sprachsystems offenbaren.“ (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adr9951)

Quelle: New York University; 25. Oktober 2024 - von Tine Heni

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