Mittwoch, 23. Oktober 2024

Die Menschen suchen Orientierung...

                                         zu öffentliche Angelegenheiten

Was soll das heißen: einer sucht Orientierung? Will er sich orientieren, oder will er orientiert werden? Dem Orientierungsläufer ist das zu erreichende Ziel vorgegeben. Ihm reicht eine Landkarte, denn er muss nur wissen, wo er ist; wo es langgeht, kann er ablesen. Die Kunst ist freilich, die Graphen auf der Karte im Augenschein der Landschaft wiederzuerkennen, aber das kann man üben.

Die Schwierigkeit im wirklichen Leben ist, dass das Ziel schlechterdings nicht vor-gegeben ist. Man müsste es wählen. Aber dafür braucht man Maßstäbe? Wer so tut, als wären die ihm vorgegeben, hat aufs Wählen schon verzichtet. Im Grunde schielt er längst auf ein Ziel, aber es ist von der Art, dass er es keinem andern und schon gar nicht sich selbst eingestehen kann. Er wird sich hinter den Maßstäben verstek-ken wollen, die ihm "keine andere Wahl gelassen" hätten. Es sind aber die Maßstäbe selbst, die es zu wählen gilt. 

Ins Auge springen die Maßstäbe des eignen Vorteils. Die braucht man nicht zu wählen, die drängen sich auf. Wählen müsste man Maßstäbe, die nicht auf der flachen Hand liegen, weil sie keinem Zweck dienen. Anders gesagt, die selber Zwecke sind. 

Ah! sagt der Philister, mein' ich doch: Der Mensch braucht Werte! Und dann fängt er an zu definieren: ein bisschen hiervon, nein, davon weniger, aber da ist noch ein Plätzchen frei und dort geht auch noch was... Damit ist er fein aus der Klemme: Er kommt nie zu Potte, immer ist noch irgendwo was offen und man muss sich mit einem pragmatischen Ausweg bescheiden. Und auf der Hinterhand hat man immer noch die Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik, die bringt alles wieder ins Rutschen. Hat man je gehört, dass einer im Namen der Gesinnungs-ethik der Verantwortungsethik in die Parade gefahren ist? Es war noch immer um-gekehrt: Wenn die Gesinnungsethik ihr klares Wort gesprochen hatte, kam einer und sagte: Aber meine Verantwortungsethik! Und wenn man genauer hinsah, ging es dann doch bloß um den Vorteil des einen oder der anderen.

Jene geheimnisumwitterte Unterscheidung ist von Max Weber in die Welt gesetzt worden, um "Politik als Beruf" zu kennzeichnen: Wer Politik zu seinem Beruf ge-macht hat, hat sich schlechterdings dem Gemeinwohl verschrieben und Verantwor-tung aufgeladen; da muss er dann gelegentlich der eigenen Gesinnung Gewalt an-tun. Und wo das nicht mehr geht, wird er zur Seite treten.

Beim Gemeinwohl geht es um Vorteile, nämlich die des Großen Ganzen im Ver-hältnis zu den Privatvorteilen des einen oder der andern. Es geht um das Abwägen von Interessen, das ist reine Prosa und hat mit Gesinnung nichts zu tun. Hat mit Ethik nichts zu tun. Ethik fragt nicht danach, welchem Interesse eine Handlung dient, sondern welche Handlung an sich selber richtig ist. Oder, wie ein oftzitierter Autor formulieren würde: welche Handlung ohne Interesse gefällt.

Mit andern Worten, Ethik ist nichts anderes als Ästhetik, soweit sie auf Willensakte bezogen wird. Und wie überall in der Ästhetik haben auch hier Begriffe nichts ver-loren. Sie ist Sache der bloßen Anschauung hier und jetzt.

Was denn, jeder entscheidet selbst, und auch noch von Fall zu Fall? Keine Regel, an die man sich halten kann, keine Orientierung? Doch doch, die Regel ist da und sie ist kategorisch: Handle jederzeit ausschließlich nach dem Urteil deines Gewissens. 

Das ist ja bloß eine Privatregel, für den öffentlichen Gebrauch taugt sie ganz und gar nicht, nie werden sich auch nur Zweie auf was verständigen können!

Allerdings. In ethischen Angelegenheiten ist Verständigung aber auch gar nicht von-nöten. Verständigen müssen wir uns über die Regeln des Zusammenlebens - wie nämlich die Vorteile der einen gewahrt bleiben können, ohne die Vorteile des an-dern zu beeinträchtigen. Das ist Politik, da müssen Entscheidungen verantwortet werden.

Nämlich öffentlich. Anders in der Ethik. Auch da muss ich Entscheidungen verant-worten: vor mir selbst. 

Und wenn wir alle so handelten, würde davon die Welt besser? Um die Welt geht es gar nicht. Die Menschen würden besser, das wär ja schonmal was.
21. 11. 20 

 

Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.  JE

 

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