Dienstag, 22. Oktober 2024

Eva Illouz und der zeitgenössische Opferkult.

Rembrandt 
aus welt.de, 22. 10. 2024                                                                                        zu öffentliche Angelegenheiten
 
Der fatale Opferkult
 
Von Andreas Rosenfelder

... „Eine Politik, die Rassismus bekämpfen sollte, hat Rasse in eine Essenz ver-wandelt, der weder Weiße noch Schwarze entkommen können“, sagte die Suhr-kamp-Starautorin im Innenhof der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Jede Hand-lung, die das eigene Selbstwertgefühl bedrohe, sei „in der schönen neuen Welt der Mikroaggressionen“ nur ein Ausdruck höherer Entitäten wie Rassismus, Homo-phobie oder Transfeindlichkeit – und jede Zurückweisung ein Ausdruck von „Miss-achtung“ und fehlendem „Respekt“.

Die endlose Opferparade

Die Kritik der linken Identitätspolitik ist längst ein Genre für sich – und sie er-schöpft sich leider oft in der stereotypen Beschreibung und Beklagung einer Welt, in der sich unterschiedliche Opfergruppen um mediale und politische Aufmerk-samkeit streiten. Die größte Gefahr dieses Genres liegt darin, dass sich die Kritiker ihrerseits zu Opfern linker Identitätspolitik erklären – und sich damit einreihen in die endlose Opferparade.

Vor diesem Hintergrund war der Vortrag der Soziologin, die selbst aus dem Lager der linken Theoriebildung kommt, augenöffnend: Sie beschrieb die Entstehung der „Opferkultur“ als dialektischen Prozess. So sei die Aufwertung des Opfers, dessen Status früher fest mit der Scham verknüpft war, eine Reaktion auf den Holocaust gewesen. Diese Entstigmatisierung in einer „Theologie des Opfers“, in deren Mit-telpunkt die Überlebenden der Judenvernichtung standen, wurde jedoch seit den 1960er-Jahren zur „Blaupause für alle anderen Minoritäten“ – und fachte eine „Konkurrenz der Opfer“ an. Sie befeuerte – wie ein Aufsatz von James Baldwin aus dem Jahr 1967 belegt – den Antisemitismus der schwarzen Aktivisten in den USA, die Juden als „amerikanische Weiße“ und damit als Rassisten definierten.

Hier auch liegen die Wurzeln des linken Antisemitismus, der sich in der Folge des 7. Oktober 2023 flächendeckend Bahn brach – besonders im Lager der postkoloni-alen, antirassistischen Denker, die den Holocaust folglich zur bloßen Spielart des Kolonialismus herunterspielen. Es handelt sich, wenn man Illouz folgt, um eine Art Neidkomplex sämtlicher Minderheiten auf den ursprünglichen, unantastbaren Op-ferstatus der überlebenden Juden – bis hin zu den Studenten amerikanischer Elite-Universitäten, die sich schon verletzt fühlen, wenn jemand das Wort „Frau“ be-nutzt: „weiße Menschen, die auf sehr teure Universitäten gehen, um der Welt zu erklären, wie sie benachteiligt werden“.

Eine weitere Konsequenz dieser „Opferkultur“, die sich aus einer unzulässigen Verallgemeinerung der Holocaust-Erfahrung herleitet, ist der Imperativ zum „Of-fenhalten der Wunde“: Sie darf sich niemals schließen, der jeweilige Konflikt also nie gelöst werden, wenn der wertvolle Opferstatus nicht verloren gehen soll. Dieser antiaufklärerische und antifortschrittliche Charakter führt zu einer Fixierung des vermeintlich Bekämpften: Linke Identitätspolitik, so das dialektische Fazit der Rede, habe der extremen Rechten, gegen die sie sich offiziell richtet, den Weg be-reitet – und auch die wählende Arbeiterklasse nach rechts getrieben.

Was aber ist zu tun gegen den politisch hochexplosiven „Pool von Verlierern“, in den sich die Gesellschaft zu verwandeln droht, wenn jede Zurückweisung auf dem Jobmarkt, im Alltag oder beim Dating als „Missachtung“gilt? Der Vorschlag von Eva Illouz, wie das „Gespenst der Missachtung“ zu vertreiben wäre, ist radikal: durch Mut zur Missachtung. Jede echte Fortschrittserfahrung, daran erinnerte sie, war ein Akt der Kränkung und Zurückweisung: Abraham zerstörte die Götzenbil-der, Jesus gründete sein Gottesreich gegen das Römische Reich, der Feminismus verletzte die bürgerliche Familienmoral.

Auch die Preisrede von Eva Illouz war eine solche Respektlosigkeit, die sich gegen die Ansprüche ihres eigenen, des akademischen Milieus richtete. Man darf sich als Dialektiker nur wünschen, dass diese notwendige Zurückweisung nicht zurückge-wiesen wird. 

 

Nota. - Eine politische Linke gibt es seit der Obsoleszenz der Weltrevolution nicht mehr. Doch immer gibt es Leichenfledderer, die sich in das entleerte Kostüm hin-einschleichen. Am ungeniertesten in Nordamerika, wo es eine Linke im historischen Sinn nie gegeben hat.

Die Aktualität der Revolution war nach der Pariser Kommune die stille, nach dem Oktober 1917 die ausdrückliche Prämisse aller Politik.

Das 20. Jahrhundert kündigte sich an als „Epoche der Weltrevolution“. Daraus ist dann nichts gewor den. Die Arbeiterbewegung beschied sich nach ihrem revolutionären Fehlstart in Russland mit dem ihr Nächstliegenden, der Versorgung der dringendsten Not und der Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse.

„Hineinwachsen“ in die Marktwirtschaft, durch die regulierten Kanäle von Gewerkschafts- und Parteiapparaten und eines aufnahmefähigen Öffentlichen Diensts – das war der wirkliche Ausgleich der Klassengegensätze, war der real existierende “Sozialismus”.

Mit dem Untergang der Sowjetunion ist das Ende der Weltrevolution dann gewissermaßen auch amtlich geworden. Ob die Degeneration der Arbeitermacht zum feudalbürokratischen Vergeudungs- und Verknappungssystem der Breschnew und Honecker unvermeidlich war, ist eine Frage für sich. Auf jeden Fall ist der Linken mit der Revolution auch ihr logischer Grund verloren gegangen.

Gemeinsam mit der revolutionären Prämisse entfällt zugleich das privilegierte Verhältnis der Linken zur Arbeiterschaft. Ohne Revolution keine „Bildung des Proletariats zur Klasse“, und ohne diese kein Klassenkampf. Die Interessen der Arbeiter sind ständische Interessen und so gut oder schlecht wie die andern. Bleibt übrig das Intimverhältnis der “Linken” – ab hier mit Gänsefüßchen – zum Öffentlichen Dienst

In Amerika hat es eine Linke im historischen Sinn wie gesagt nie gegeben, selbst das Wort war nicht geläufig; "Linke" hießen dort radicals. 'Leftist' ist dort neumo-disch, und selbst seit es an Stelle von politisch korrekt und neuerdings woke treten durfte, ist es in Europa üblicher als in der Heimat; denn hier war eine Stelle frei ge-worden, und wer ein Ressentiment zu bekunden und eine Beachtung einzufordern hatte, beeilte sich, die Lücke zu füllen. Denn es war eine Vielzahl identischer Min-derheiten auf den Markt gekommen, die alle zusammen ja wohl die Mehrheit bean-spruchen konnten: denen aber ein verbindendes Label fehlte.

Doch nein, Frau Illouz: Das steht ihnen nicht zu!
JE
 

 

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