aus nzz.ch, 5. 8. 2024 zu Jochen Ebmeiers Realien
In
vielen Jahrtausenden hat sich die Saale tief in die Landschaft
eingegraben. Am Abhang, an einer Stelle, wo der Fluss eine enge Schleife
beschreibt, haben die Menschen im sogenannten Jungpaläolithikum ein
Jagdlager errichtet.
Damals,
vor 15 350 Jahren, hatte die jüngste Kaltzeit gerade ihren Höhepunkt
überschritten, die Gletscher aus Skandinavien endeten keine 300
Kilometer vom Fluss in Sachsen-Anhalt entfernt. «Die Winter hier waren
damals sehr kalt, lang und trocken», sagt der Archäologe Jürgen Richter
von der Universität Köln, der die Grabung geleitet hat. Und diese
Klimabeschreibung bringt ihn zu der vorläufigen Interpretation der
Feuerstelle des Jagdlagers. Sie besteht aus zum Teil zentnerschweren
Kalksteinplatten und Quarzgeröllen und könnte die erste bekannte Heizung
der Menschheitsgeschichte darstellen.
Die Feuernutzung entwickelte sich schrittweise
Der
Fund markiert eine der Stationen auf dem Weg der Menschheit zur
Beherrschung des Feuers. In der griechischen Mythologie stahl Prometheus
den Göttern das Feuer und brachte es den Menschen. Das war der Beginn
der Zivilisation.
«Und so haben wir lange nach dem Prometheus-Moment gesucht, wenn der Feuergebrauch in all seinen Facetten auftaucht, zum Kochen, zum Heizen, für die Werkzeugherstellung, zum Schutz», erzählt der Tübinger Archäologe Christopher Miller, der dort einen Schwerpunkt zur Feuerarchäologie leitet.
Inzwischen steht fest: «Es gab keinen einzelnen Moment, an dem all diese Funktionen verfügbar wurden. Das hat sich langsam im Lauf der Zeit entwickelt.» Der Beginn reicht weit in die Geschichte zurück, zu Homo erectus, einem unserer entfernten Vorfahren. Jürgen Richters Fund an der Saale gehört in eine späte Phase.
Das Problem bei der Rekonstruktion: «Die Überlieferung ist lückenhaft, je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, desto lückenhafter», sagt Miller. Und viele vermeintliche Belege halten einer genauen Überprüfung mit modernen Methoden nicht stand.
Mareike Stahlschmidt von der Universität Wien hat sich einen der für Europa wichtigsten Belege vorgenommen – und gekippt: In der für ihre Speere berühmten Fundstelle von Schöningen in Niedersachsen wurden 400 000 Jahre alte Feuerspuren gefunden, die dem Homo heidelbergensis, also dem Vorläufer des Neandertalers, zugeschrieben wurden. Stahlschmidt und ihre Kollegen setzten eine Vielzahl naturwissenschaftlicher Methoden ein, um die Theorie zu prüfen. Ergebnis: «Wir haben einfach nicht die Evidenz, dass das wirklich mit menschlichem Verhalten in Zusammenhang steht.»
Seither sind eine ganze Reihe von ehemals bedeutenden Meilensteinen durch den Einsatz neuer Technologien überprüft und aussortiert worden. Gerade läuft die Überprüfung des derzeit frühesten Zeugnisses für menschlichen Feuergebrauch: ein 1,42 Millionen Jahre altes versengtes Sediment in der kenyanischen Fundstelle Chesowanja. Was Homo erectus damals mit dem Feuer anstellte, ob er es aufbewahren konnte, ist unbekannt.
Als gesichert gilt der älteste Hinweis auf mithilfe von Feuer gegarte Nahrung, der ebenfalls dem Homo erectus zugeordnet wird: 780 000 Jahre alte Zähne von Karpfen aus Gesher Benot Ya’aqov in Israel. Sie wurden durch vergleichsweise geringe Hitze verändert – das deutet darauf hin, dass diese Menschen das Feuer kontrollieren konnten, denn sonst wären die Temperaturen höher gewesen.
Die Nachfahren von Homo erectus, die anatomisch modernen Menschen und die Neandertaler, beherrschten das Feuer ziemlich gekonnt. Archäologen schätzen, dass vor rund 300 000 Jahren die Feuernutzung weit verbreitet war, jedenfalls tauchen seit dieser Zeit vermehrt Feuerstellen in der Überlieferung auf.
Wann die Menschen Feuer entzünden konnten, lässt sich nur schwer ermitteln. «Jedermann geht davon aus, dass die anatomisch modernen Menschen das Feuermachen beherrschten. Für die Neandertaler wird das heftig diskutiert», erklärt Christopher Miller.
Immer ist das Problem die Überlieferung: Die Hilfsmittel zum Feuermachen erhalten sich einfach schlecht. Im simpelsten Fall reibt man Zündstöcke aus Holz so lange, bis glühender Holzstaub entsteht. Mit dem setzt man dann Zunder in Brand. So etwas überlebt die Jahrtausende aber nur in Ausnahmefällen. Immerhin gibt es einen indirekten Hinweis darauf, wann die Menschen leistungsfähigere Feuerbohrer gekannt haben könnten, die mit einer Schnur angetrieben werden: 128 000 Jahre alte durchbohrte Perlen aus Israel und Algerien belegen, dass die Menschen damals schon Schnüre gekannt haben.
Für die Alternative, das Feuerschlagen mit Feuersteinen, sieht es erstaunlicherweise auch nicht besser aus, denn der Pyrit, den man dafür benötigt, verwittert ebenfalls leicht. Jedenfalls sind keine Pyritreste aus steinzeitlichen Funden bekannt, aus denen sich der Beginn des Feuerschlagens direkt ableiten lässt.
Spuren, die man so interpretieren könnte, gibt es allerdings schon. Der in Leiden forschende Archäologe Andrew Sorensen hat an Faustkeilen aus der Spätzeit der Neandertaler eine grosse Anzahl von Schlagspuren gefunden, wie man sie vom Feuermachen erwarten würde. Die klobigen Werkzeuge werden auf ein Alter von rund 50 000 Jahren datiert. Sorensen ist daher von den Fähigkeiten der archaischen Menschenart überzeugt. «Ich gehe davon aus, dass sie Feuer erzeugen konnten», so Sorensen, «vielleicht nicht jede Gruppe, aber sie dürften die Methode gut gekannt haben.»
Nicht alle Steinzeitforscher sind von Sorensens Ergebnissen überzeugt. Doch wenn sich seine Sicht durchsetzt, taucht automatisch eine Frage auf: Haben die anatomisch modernen Menschen, die ein paar Jahrtausende später in Europa erschienen, die Technik des Feuerschlagens von den Neandertalern gelernt? «Das ist die Multimillionen-Euro-Frage», lacht Vera Aldeias, die an der Universität der Algarve die Rolle des Feuers für die Entwicklung der Menschheit erforscht. Sie gibt auch gleich die Antwort: «Wir wissen es nicht.» Belegt ist die Technik des Feuerschlagens allein in Europa, in Afrika gibt es nur Hinweise auf den Gebrauch von Zündstöcken. Im feuchten und kalten Klima Europas war diese Technik klar im Nachteil.
Aldeias und ihr Doktorand Chase Murphree haben relevante Fundorte von anatomisch modernen Menschen verglichen. «Die Feuerstellen gleichen den Neandertaler-Funden stark: nicht sehr aufwendig, nicht sehr dauerhaft, wie man es von nur kurzlebigen Lagern erwarten würde», so Murphree.
Aufwendiger wurden die Feuerstellen vor etwa 25 000 Jahren. Damals mussten die Menschen mit den tiefsten Temperaturen der jüngsten Kaltzeit zurechtkommen. «Viele Experten gehen davon aus, dass sie zur Zeit dieses Kältemaximums halb sesshaft waren und weniger weit umherzogen. Also konnten sie auch mehr in ihre Feuerstellen investieren», so Murphree. Ohnehin mussten sie sich in die wärmsten Gebiete weit im Westen und im Südosten zurückziehen. Die Mitte Europas war in dieser Zeit menschenleer.
Erst vor etwa 18 000 Jahren wurde der Kontinent erneut besiedelt. Die Feuerstellen verbreiteten sich. Es tauchten auch Kochgruben auf, Erdlöcher, die man mit Häuten auskleidete und in denen die Menschen Suppe kochten. Wärmequellen waren im Feuer erhitzte Quarzgerölle. Die zersprungenen Reste dieser Quarzkugeln gehören zum Standardinventar vieler Fundplätze dieser Zeit.
Und mit der Ofenheizung, die der Kölner Archäologe Jürgen Richter und seine Kollegen am Steilufer über der Saale ausgegraben haben, taucht auch ein bislang unbekannter, aufwendiger Aufbau auf. Denn dass die dreistöckige Konstruktion aus Kalksteinplatten und Quarzgeröllen ein Unikat ist, erscheint unwahrscheinlich. «Eine solch komplexe Angelegenheit entsteht nicht aus dem Nichts», sagt Jürgen Richter. «Die Menschen sind aus Südwesteuropa und vielleicht zum Teil aus Südosteuropa eingewandert. Deswegen sollte man in diesen Räumen auch nach Vorläuferkonstruktionen suchen.»
Die Diskussion um die frühesten Ofenheizungen der Menschheit und ihre Entwicklung steht allerdings noch ganz in den Anfängen. Die letzten beiden Blöcke aus der Grabung warten im Magazin der Universität Köln darauf, geöffnet und untersucht zu werden.
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