aus nzz.ch, 30. 10. 2024 zu Männlich; zu öffentliche Angelegenheiten
Die Frau als Friedensbringerin ist ein Mythos
eine bessere,
sind viele überzeugt. Dieser Glaube passt zum modischen Diskurs von der
Frau als moralisch überlegenem Wesen. Aber er ist nicht nur falsch – er
schadet den Frauen.
von Birgit Schmid
Es
ist verführerisch, zu denken, dass am 5. November die Weichen gestellt
werden, damit alles besser wird. Für Amerika und für den Rest der Welt.
Zum ersten Mal könnte eine Frau Präsidentin der USA werden und damit das
höchste Amt der Welt ausüben. Vor allem die Medien setzen grosse
Hoffnung in Kamala Harris, nicht nur, weil sie die einzige Alternative
zu Donald Trump ist. Sondern: Sie ist eine Frau. «Rettet sie die Welt?»,
fragt die «Zeit» in ihrer jüngsten Ausgabe.
Mit
einer Frau am Schalthebel der Macht sind viele Hoffnungen verbunden.
Man hat es gemerkt, als Joe Biden sich aus dem Rennen nahm und Harris
ihre Kandidatur bekanntgab. In der allgemeinen Erleichterung projiziert
man Wunschvorstellungen auf sie. Mit dieser Frau zögen Freude und
Herzlichkeit ins Weisse Haus ein, so der Glaube. Die egoistische,
aggressive und machtbesessene Politik der Männer wäre zu Ende.
Denn
ist der Zustand der Welt nicht der Beweis, dass die Welt an die Wand
gefahren wird, solange Männer die Machtpositionen besetzen, sowohl in
der Politik wie in der Wirtschaft? Der Ukraine-Krieg geht bald in sein
drittes Jahr, der Nahostkonflikt wird zum Flächenbrand. Klimakrise,
wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Massenmigration, politischer
Extremismus, geforderte Demokratien.
Da
fällt es leicht, in Frauen Heilsbringerinnen zu sehen. Oder zumindest
Friedensstifterinnen. Was sonst verpönt ist, nämlich Unterschiede
zwischen den Geschlechtern zu betonen, dient nun als
Argumentationsstütze. Frauen seien friedliebender als Männer. Sie seien
fürsorglicher und mitfühlender in Bezug auf das Leiden anderer. Das wird
einmal mit der Sozialisation, dann wieder evolutionsbiologisch
begründet. Frauen regierten deshalb umsichtiger, mit einem Wort: besser.
Annalena Baerbock: «Ohne Frauen kein Frieden»
«Die
Welt muss auf Mütter und Frauen blicken, um Frieden zu finden», sagte
Papst Franziskus in seiner diesjährigen Ansprache zum neuen Jahr. Nur so
könne es gelingen, «aus der Spirale von Gewalt und Hass herauszukommen
und die Dinge wieder mit wahrhaft menschlichen Augen und Herzen zu
sehen».
Der
frühere amerikanische Präsident Barack Obama behauptete 2019, dass
viele der Probleme der Welt daher rührten, dass «alte Menschen, in der
Regel alte Männer, den Weg nicht freimachen». Wenn in den nächsten zwei
Jahren in jedem Land Frauen die Verantwortung übernähmen, gäbe es
weniger Kriege, Kinder lebten sicherer, und der allgemeine
Lebensstandard verbesserte sich, sagte Obama.
Sheryl
Sandberg, die ehemalige Managerin des Meta-Konzerns, hat kurz nach dem
russischen Überfall auf die Ukraine gesagt: «Zwei Länder, die von Frauen
regiert werden, würden niemals gegeneinander Krieg führen.»
Annalena
Baerbock bekräftigt ihre feministische Aussenpolitik mit dem Spruch:
«Ohne Frauen kein Frieden.» Das sagte sie 2023 auf einer
Lateinamerika-Reise.
Davon
ist auch die Uno überzeugt, die einmal im Jahr die Konferenz «Frauen,
Frieden und Sicherheit» veranstaltet. Weil die Schweiz dieses Jahr den
Vorsitz hat, reiste Bundespräsidentin Viola Amherd vergangene Woche nach
New York. Es wurde darüber debattiert, wie man Frauen in
Friedensprozesse einbeziehe, da Frauen helfen würden, Konflikte zu
bewältigen und zu verhüten. Friedensabkommen würden durch die Teilhabe
von Frauen länger halten, bewarb Amherd das Anliegen.
Die
sogenannte Resolution 1325 der Uno gibt es seit 25 Jahren. Seither
hatten und haben zahlreiche Frauen in Politik und Wirtschaft eine
Führungsrolle eingenommen. Was gut und wichtig ist. Friedlicher ist die
Welt aber nicht geworden. Die These, dass Frauen Frieden bringen, passt
zwar zum modischen Diskurs von der Frau als moralisch überlegenem
Menschen. Doch sie ist falsch
Von den Amazonen bis Margaret Thatcher
Man
könnte mit der griechischen Mythologie beginnen und mit den Amazonen,
diesen kühnen Kriegerinnen, die sich, je nach Überlieferung, eine Brust
abschnitten, um besser den Pfeil spannen zu können. Noch
aufschlussreicher ist ein Blick in die Geschichte. Maria Stuart, die
Königin von Schottland, stritt sich im 16. Jahrhundert mit Königin
Elizabeth I. um den englischen Thron. Am Ende liess Elizabeth Maria
wegen Hochverrats hinrichten. Die beiden Frauen waren verwandt.
Da
sind die «eisernen Ladys» der neueren Zeit, allen voran Margaret
Thatcher. Die britische Premierministerin eroberte 1982 in einem kurzen
Krieg die Falklandinseln vor der Küste Argentiniens für Grossbritannien
zurück. Golda Meir, die Israel von 1969 bis 1974 regierte, antwortete
mit militärischer Härte auf die Angriffe der Nachbarstaaten.
Die
britische Premierministerin Margaret Thatcher und Israels
Ministerpräsidentin Golda Meir gingen nicht als besonders sanftmütige
Leaderinnen in die Geschichte ein.
Auch
Indira Gandhi führte Indien kompromisslos. Sie zog in den Krieg gegen
Pakistan und machte ihr Land zur Nuklearmacht. Dabei soll sie keine
anderen starken Politikerinnen neben sich geduldet haben.
Aung
San Suu Kyi erhielt den Friedensnobelpreis, liess das Militär in
Myanmar aber bei der Verfolgung des Volkes der Rohingya, einer
muslimischen Minderheit, gewähren.
In
den USA gab es in den vergangenen Jahren einige weibliche
Aussenministerinnen: Hillary Clinton, Madeleine Albright, Condoleezza
Rice. Diese haben sich für eine vergleichbar aggressive Aussenpolitik
eingesetzt wie ihre männlichen Kollegen. Das zeigen Untersuchungen wie
jene der Politologin Sylvia Bashevkin von der Universität Toronto.
Sollten Frauen tendenziell eine pazifistische Einstellung haben – für
Entscheidungsträgerinnen in internationalen Angelegenheiten gilt dies
nicht.
Condoleezza
Rice, Aussenministerin unter George W. Bush, und Hillary Clinton,
Aussenministerin unter Barack Obama, waren beide für eine
vergleichsweise harte Aussenpolitik bekannt.
Natürlich
gibt es auch dafür eine Erklärung, die der These, dass Frauen das
friedliebendere Geschlecht sind, nicht wirklich widerspricht. Sie geht
so: Frauen an der Macht passen sich den Männern an. Aus Angst, schwach
zu wirken, entscheiden sie in Fragen der Sicherheit und Verteidigung
härter, als es ihrem Wesen entsprechen würde. Denn sie müssen ihren
Führungsanspruch rechtfertigen. Frauen an der Macht eifern also den
Männern nach und verleugnen ihre angeblich weibliche Seite. Natürlich
werden sie dabei auch von lauter Männern beraten.
Doch
auch in diesem Fall werden weibliche Eigenschaften stereotypisiert. Man
spricht Frauen die Fähigkeit ab, sich unabhängig von ihrem Geschlecht
zu verhalten. Doch auch dies zeigen Studien: Die persönlichen Ansichten
zu Gewalt und Krieg werden weniger wichtig für denjenigen, der ein Land
führt. Ein Staatsführer überlegt sich eher, was für sein Land richtig
ist, nicht für ihn. Eine Staatsführerin fällt Entscheidungen aus
strategischen Gründen und nicht, weil sie als Studentin gegen den
Golfkrieg demonstrierte.
Das
Bild der friedlichen Frau ist also nicht nur falsch, sondern auch eine
Hypothek. Es weckt falsche Erwartungen und schadet den Frauen. Spricht
sich eine Präsidentin für eine starke Armee aus oder befürwortet während
ihrer Amtszeit einen Krieg, reagiert die Öffentlichkeit enttäuscht oder
entrüstet. Eine solche Frau sei keine richtige Frau, heisst es dann
vielleicht. Ihr fehle die Sensibilität, eine Mitmenschlichkeit.
Soeben
hat dies die deutsche FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann
erfahren. Die Frauenzeitschrift «Emma» kürte sie zum «Sexist Man Alive» –
angelehnt an den «Sexiest Man Alive» des amerikanischen Magazins
«People». Es sollte wohl lustig sein: Strack-Zimmermann erhielt den
Schmähpreis als erste Frau. Die Wahl fiel auf sie wegen ihres Einsatzes
für Waffenlieferungen an die Ukraine. Damit wird ihr Verhalten als
typisch männlich oder eben unweiblich verhöhnt.
Die
Annahme, Frauen sorgten für einen weltumspannenden Frieden, ist
sexistisch. «Rettet sie die Welt?», fragt die «Zeit» zu Kamala Harris.
Sollte Harris die Wahlen gewinnen, kann sie an der Erwartungshaltung nur
scheitern.
Die
einen trauen ihr das Amt als Frau nicht zu, die anderen haben
überzogene Erwartungen. Allein deshalb müsste Kamala Harris eigentlich
amerikanische Präsidentin werden
Politische Folgen der Empathie
Schliesslich
muss noch etwas bedacht werden. Selbst wenn Frauen an der Macht durch
Friedfertigkeit und Mitgefühl auffallen: Die Folgen einer solchen
Politik sind oft erst nach ihrer Amtszeit spürbar. Und zwar nicht nur im
Guten.
Angela
Merkel führte Deutschland in die Energieabhängigkeit von Russland. Der
Krieg kam später. Die Kanzlerin wurde für ihre Grossherzigkeit gelobt,
als sie 2015 die Grenze für Hunderttausende von Flüchtlingen öffnete.
Die Probleme, die ihre Willkommenskultur mit sich brachte, hat sie der
Regierung nach ihr vererbt. Und der Gesellschaft.
Dasselbe
während der Pandemie. Zu Beginn galten die von Frauen regierten Staaten
als besonders umsichtig bei der Bekämpfung des Coronavirus. Allen voran
ging Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern, die ihre Insel
abriegelte und dafür gefeiert wurde. Den Landesmüttern liege mehr am
Wohl ihrer Bürger als den männlichen Staatsoberhäuptern, lobten
Soziologinnen wie Eva Illouz. Sie würden vorausschauender handeln und
weniger Risiken eingehen. Die
Langzeitrisiken der sozialen Isolation, unter der vor allem junge und
alte Leute litten und bis heute leiden, bedachten die vorbildlichen
Politikerinnen weniger.
Bei
der Idealisierung wird einiges unterschlagen. Viele Länder mit Männern
an der Spitze verfolgten die gleiche restriktive Corona-Politik. Genauso
sind zahlreiche Staaten, die von Männern regiert werden, in keine
Kriege involviert. Es ist ganz einfach: Frauen besetzen noch immer
seltener Machtpositionen, deshalb fallen sie viel stärker auf.
Im
Übrigen prahlt gerade Donald Trump damit, ein pazifistischer Präsident
gewesen zu sein. In seiner vierjährigen Amtszeit sind die USA in kein
anderes Land einmarschiert. Allerdings liess auch Trump Syrien
bombardieren. Gegen die Deutung, er habe weiblich regiert, würde er sich
wohl – zu Recht – wehren.
Viele
Amerikaner und Amerikanerinnen, so ist zu befürchten, halten Frauen
noch immer für zu emotional, um mit Staatsoberhäuptern umzugehen und das
Militär zu führen. Andere wiederum sehen in Kamala Harris die
Weltretterin. Auch deshalb wäre eine amerikanische Präsidentin
interessant. Weil Harris beweisen könnte, dass sie genauso gut oder
schlecht regiert wie die Männer vor ihr.
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