Montag, 7. Oktober 2024

Landschaft - der Gegenstand, der keiner mehr ist.

Klee, Blick in das Fruchtland, 1932                                       zu Geschmackssachen 

In seinem "ästhetischen Zustand" sei der Mensch gleich Null, sagte Schiller. Denn wenn er sich in einen Gegenstand versenkt, hört er auf, sich ihm entgegen zu setzen - oder sonst ein Verhältnis zu ihm einzugehen. Er geht in dem, was er 'ohne Inter-esse' betrachtet, unter, er verliert sich. 

Das hat erst was zu sagen in einem Leben, das sich im Normalfall ununterbrochen selber reflektiert. Kurz gesagt, in einem bürgerlichen, geschäftigen Leben, in einem Alltag als Marktsubjekt. 

Ob es Kunst 'immer gegeben' habe, mag eine Haarspalterei sein. Aber sie hat nicht immer dieselbe Bedeutung gehabt. Wie sich die Kunst selbst verändert hat, kommt hier erst an zweiter Stelle. Der Platz des Ästhetischen hat sich verändert. Welche Verstrickungen mit dem geschäftigen Leben die Kunst auch immer eingegangen war, blieb sie doch immer an ein ästhetisches, nämlich geschmackliches Substrat gebunden. Und mit dem Überhandnehmen der reflektierenden Geschäftigkeit tritt es ihr als das interesselose Ungeschäftige entgegen. Semantisch wäre es schief, aber bildhaft ganz treffend ausgedrückt: So ist die Kunst "erst auf ihren Begriff gekom-men".

Es ist aber auch die Epoche, in der Zeit knapp wurde - so grundsätzlich knapp, dass sie zum allgemeinen Wertmaß werden konnte. Je dringender dem Individuum das Bedürfnis wurde, als Kontrapunkt zur Alltagskonkurrenz immer wiedermal von Identität und Verhältnis abzusehen, um so seltener, umso kostbarer wurden die Gelegenheiten dazu. Und umgekehrt proportional: je knapper die Zeit, umso stär-ker das Bedürfnis. Die es sich am ehesten noch leisten konnten, legten am wenig-sten Wert darauf; erst die ganz Reichen konnten sich den "ästhetischen Zustand" dann wieder leisten. Er wurde nun zum Standesmerkmal so, wie es vordem die kunststilistische Bildung gewesen war.

Und damit zum Autor: Mit "der Moderne" wurde der Künstler zum Avantgardisten - und das erlesene Publikum zum Connoisseur. Anders hätte es eine ungegenständ-liche Kunst nie geben können. Denn da das Bedürfnis nach kontrapunktischer Irre-flexibilität ein allgemeines wurde, geschieht seine Bedienung nun ihrerseits durch - den Markt. Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen braucht einen sättigenden Kuchen als Grundlage; damit es erlesene Kunst geben kann, muss es zuvor Massenkunst ge-ben. 

Von Kitsch rede ich hier nicht, der gilt nicht als Kunst, sondern als Industrieware. Damit sich oben - gottlob nur vorübergehend - eine ungegenständliche Kunst kri-stallisieren konnte, musste sich an der Basis ein Kunstgegenstand finden, der streng genommen kein Gegenstand mehr war, weil er zu den nützlichen Geschäften in kei-nem Verhältnis steht. Das war die Landschaft. Es konnte nicht anders sein, als dass die Ungegenständlichkeit aus der Ausbreitung der Landschaftmalerei erwuchs - von den Impressionisten über Les Fauves bis Mondrian und Klee. 

Indes hat die Ungegenständlichkeit die Malerei - wenigstens das Tafelbild - an den Rand des Untergangs geführt. Unter den verzweifelten Rettungsversuchen nehmen Rückgriffe auf die Landschaft einen breiten Raum ein. Sie haben nur leider einen organischen Hang zu Manier und Kitsch, dem nur wenige widerstehen. Dass sie das kompromittiert, ist nicht zu übersehen.

Kommentar zu "Verweilen", JE, 26. 2. 20

 

PS. -  Landschaft ist ohnehin nur ein Bild: Ansicht. Real ist Topographie - auch wenn man die Augen schließt und auch nachts. 

Landschaftsmalerei ist Bild von einem Bild. Ihr Gegenstand ist schon eine Abstrak-tion von der Gegenständlichkeit der Gegenstände. Früher oder später musste sie dar-über stolpern. 

  

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