Klee, Blick in das Fruchtland, 1932 zu Geschmackssachen
In seinem "ästhetischen Zustand" sei der Mensch gleich Null, sagte Schiller. Denn wenn er sich in einen Gegenstand versenkt, hört er auf, sich ihm entgegen zu setzen - oder sonst ein Verhältnis zu ihm einzugehen. Er geht in dem, was er 'ohne Inter-esse' betrachtet, unter, er verliert sich.
Das
hat erst was zu sagen in einem Leben, das sich im Normalfall
ununterbrochen selber reflektiert. Kurz gesagt, in einem bürgerlichen,
geschäftigen Leben, in einem Alltag als Marktsubjekt.
Ob
es Kunst 'immer gegeben' habe, mag eine Haarspalterei sein. Aber sie
hat nicht immer dieselbe Bedeutung gehabt. Wie sich die Kunst selbst
verändert hat, kommt hier erst an zweiter Stelle. Der Platz des Ästhetischen hat sich verändert.
Welche Verstrickungen mit dem geschäftigen Leben die Kunst auch immer
eingegangen war, blieb sie doch immer an ein ästhetisches, nämlich
geschmackliches Substrat gebunden. Und mit dem Überhandnehmen der
reflektierenden Geschäftigkeit tritt es ihr als das interesselose
Ungeschäftige entgegen. Semantisch wäre es schief, aber bildhaft ganz
treffend ausgedrückt: So ist die Kunst "erst auf ihren Begriff
gekom-men".
Es ist aber auch die Epoche, in der Zeit knapp wurde - so grundsätzlich knapp, dass sie zum allgemeinen Wertmaß
werden konnte. Je dringender dem Individuum das Bedürfnis wurde, als
Kontrapunkt zur Alltagskonkurrenz immer wiedermal von Identität und
Verhältnis abzusehen, um so seltener, umso kostbarer wurden die
Gelegenheiten dazu. Und umgekehrt proportional: je knapper die Zeit, umso stär-ker das Bedürfnis. Die es sich am ehesten noch leisten konnten, legten am wenig-sten Wert darauf; erst die ganz
Reichen konnten sich den "ästhetischen Zustand" dann wieder leisten. Er
wurde nun zum Standesmerkmal so, wie es vordem die kunststilistische Bildung gewesen war.
Und
damit zum Autor: Mit "der Moderne" wurde der Künstler zum
Avantgardisten - und das erlesene Publikum zum Connoisseur. Anders
hätte es eine ungegenständ-liche Kunst nie geben können. Denn da das Bedürfnis nach kontrapunktischer Irre-flexibilität ein allgemeines wurde,
geschieht seine Bedienung nun ihrerseits
durch - den Markt. Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen braucht einen
sättigenden Kuchen als Grundlage; damit es erlesene Kunst geben kann, muss es zuvor Massenkunst ge-ben.
Von
Kitsch rede ich hier nicht, der gilt nicht als Kunst, sondern als
Industrieware. Damit sich oben - gottlob nur vorübergehend - eine
ungegenständliche Kunst kri-stallisieren konnte, musste sich an der Basis
ein Kunstgegenstand finden, der streng genommen kein Gegenstand mehr war, weil er zu den nützlichen Geschäften in kei-nem Verhältnis steht. Das war die Landschaft.
Es konnte nicht anders sein, als dass die Ungegenständlichkeit aus
der Ausbreitung der Landschaftmalerei erwuchs - von den Impressionisten
über Les Fauves bis Mondrian und Klee.
Indes hat die Ungegenständlichkeit die Malerei - wenigstens das Tafelbild -
an den Rand des Untergangs geführt. Unter den verzweifelten
Rettungsversuchen nehmen Rückgriffe auf die Landschaft einen breiten
Raum ein. Sie haben nur leider einen organischen Hang zu Manier und Kitsch, dem nur wenige widerstehen. Dass sie das kompromittiert, ist nicht zu übersehen.
Kommentar zu "Verweilen", JE, 26. 2. 20
PS. - Landschaft ist ohnehin nur ein Bild: Ansicht. Real ist Topographie - auch wenn man die Augen schließt und auch nachts.
Landschaftsmalerei ist Bild von einem Bild. Ihr Gegenstand ist schon eine Abstrak-tion von der Gegenständlichkeit der Gegenstände. Früher oder später musste sie dar-über stolpern.
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