aus spektrum.de, 15. 10. 2024 Platon und Aristoteles stehen im Zentrum von Raffaels 1510/11
ent-standenem Fresko »Die Schule von Athen« im Vatikan. Platon, in eine
rote Toga gekleidet, hält seinen »Timaios«-Dialog unterm Arm,
Aristoteles seine als Abhandlung verfasste »Nikomachische Ethik« in der
Hand. zu Philosophierungen
Das Wie der Philosophie
Abhandlung,
Essay, Aphorismus? Wie man philosophisch argumentiert, ist nicht nur
Geschmackssache. Dahinter steckt eine pikante Frage an die Philosophie,
erklärt unser Kolumnist.
von Matthias Warkus
Was ist Philosophie? Dies ist eine der ältesten philosophischen
Fragen – und bis heute ist sie heiß diskutiert. Einfacher beantworten
lässt sich, woraus Philosophie sozusagen materiell besteht, was ihr
Medium ist. Antwort: Texte, Literatur, Bücher.
Lässt man nun vor dem geistigen Auge ein philosophisches Buch
erscheinen, wird es tendenziell eher dick als dünn sein, und auf jeden
Fall schwierig zu lesen. Eine handelsübliche heutige Taschenbuchausgabe
der 1781 erschienenen »Kritik der rei-nen Vernunft« von Immanuel Kant
beispielsweise bringt es auf 995 Seiten. Bücher wie Georg Wilhelm
Friedrich Hegels »Phänomenologie des Geistes« (1807) erfreu-en sich des
Rufs, dass Seminargruppen zu Semesterbeginn vorne mit der Lektüre
anfangen und sich bei Semesterende immer noch mit den ersten paar Seiten
be-schäftigen. Vom formalen Aufbau her sind solche philosophischen
Monografien in der Regel Abhandlungen, also Sachtexte, die sich mit
einem Thema auseinanderset-zen und dabei in relativ großen argumentativen
Bögen versuchen, bestimmte Be-hauptungen zu belegen oder zu entkräften.
Es gibt aber erstaunlich viel philosophische Literatur, die durchaus
anders funktio-niert. Zuallererst findet gerade seit dem 20. Jahrhundert
außerordentlich viel Philo-sophie – ganz genauso wie andere
Wissenschaft – im Medium von Aufsätzen statt, die in Zeitschriften oder
Sammelbänden erscheinen und typischerweise um die 20 Seiten lang sind.
Auch solche Aufsätze sind jedoch strukturell normalerweise Abhandlungen.
Und sie sind nicht notwendigerweise einfacher zu lesen als Mono-grafien.
Denn oft sind die sehr voraussetzungsreich – wie bei
Forschungsbeiträgen nicht anders zu erwarten.
Nicht jeder philosophische Text muss aber eine Abhandlung sein. Die
Werke Platons beispielsweise sind mit wenigen Ausnahmen Dialoge, in
denen verschie-dene Figuren auftreten, deren Meinungen aufeinanderprallen
oder die von Sokrates argumentativ aufs Glatteis geführt werden. Auch
hier geht es begreiflicherweise um Argumente. Manchmal hat das Ganze
freilich die Tendenz, in die Abhandlung ab-zudriften, wenn Sokrates ins
Dozieren gerät: Es ist eine beliebte Kritik an den so-kratischen
Dialogen – und gut zum Parodieren geeignet –, dass über weite Strecken
gar kein wirklicher Dialog stattfindet, sondern die Gesprächspartner nur
ab und zu verständig bejahen, was der schlaue Sokrates von sich gibt.
Aber es gibt noch ganz andere Texte. Wer nur ein bisschen literaturwissenschaftlich informiert ist, kommt sicher selbst darauf: richtig – die Essays! Neben der »trocke-nen«, mehr oder minder langen, systematischen Abhandlung gibt es, seit der franzö-sische Humanist Michel de Montaigne im 16. Jahrhundert das Genre etablierte, auch den eher subjektiven, assoziativeren und mehr auf eleganten Stil und Lesever-gnügen hin konzipierten Essay. Das Problem mit dieser Gattung ist, dass man, wenn man mit Literaturwissenschaftlern redet, schnell erfährt, dass es keinerlei Definition von Essay gibt, auf die sich alle einigen können. An der Universität gibt es die Tendenz dazu, als Essays kurze Arbeiten zu bezeichnen, die eine Frage stellen und auf wenigen Seiten beantworten, ohne sich umfangreich auf Literatur oder Quellen zu beziehen. Wenn man einmal einen Essay von Montaigne aufgeschlagen hat, sieht man schnell, dass der damit nicht viel zu tun hat. Noch nicht einmal kurz müssen die Dinger sein – der »Langessay« mit gerne mal über 200 Seiten ist ein etabliertes Buchgenre.
Wenigstens haben wir Philosophen etabliert, dass Philosophie nicht
unbedingt nur dröge abhandelnd daherkommen muss. Manche zum Kanon der
philosophischen Literatur zählenden Werke haben geradezu Roman- oder
Eposcharakter, etwa Søren Kierkegaards »Entweder – Oder« (1843) oder
Friedrich Nietzsches »Also sprach Zarathustra« (1883–85 in vier Teilen
erschienen).
Geht man noch weiter weg vom Argumentativ-Wissenschaftlichen und
gegebe-nenfalls auch noch weiter in die Kürze, landet man im Extremfall
beim Aphoris-mus. Es gibt eine Reihe wirkungsmächtiger philosophischer
Miniaturensammlun-gen, etwa das 1647 erschienene »Handorakel« des
Spaniers Baltasar Gracián oder die ungeheuer erfolgreichen »Minima
Moralia« von Theodor W. Adorno von 1951. In einem einzelnen Satz oder
einem extrem kurzen Text lässt sich zwar kein Argu-ment mehr entfalten,
aber dafür umso mehr ein Denk- oder Diskussionsanstoß vorbringen.
Dass Philosophie nicht nur im Medium der Abhandlung, sondern auch in anderen Textformen stattfinden kann (und am Ende sogar über das geschriebene Wort hinaus etwa auf der Bühne oder im Film), birgt eine Herausforderung in sich: Wie passt es zur Wissenschaftlichkeit der Philosophie, dass sie hier und da literarisch, aphoristisch, subjektiv, assoziativ wird? Manche gelangen konsequent zu dem Schluss, dass Literatur zumindest in gewissen Hinsichten philosophisch mehr hergäbe als die Philosophie selbst. Das sehe ich nun etwas skeptisch. Aber es scheint mir recht klar, dass die Diskussion darüber, in welchen Formen sie legi-timerweise stattfinden kann und soll, genauso Teil der Philosophie ist wie die Diskussionen darüber, was sie genau ist und was das alles mit Wissenschaftlichkeit zu tun hat.
Nota. - Darin hat er allemal Recht: dass in der Philophie an der Form ihres Vortrags nur wenig gelegen ist. Denn dabei geht es nicht um die Sache selber, sondern um Verständlichkeit. Und dabei geht es außer dem, der verstanden werden will, auch um den, der verstehen soll - und vielleicht gar nicht will. Wittgenstein vermutete, dass Philosophie in einem engeren Sinn eigentlich nur gedichtet werden kann; aber wer wollte sich darauf schon einlassen?
Insofern ist obigem Text nicht viel hinzuzufügen - nämlich nicht im Allgemeinen.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen