Die kryptischen Notizen von Einsteins bestem Freund werden entziffert
Der
Jahrhundertlogiker Kurt Gödel hinterließ zigtausende Seiten an Notizen
in einer heute vergessenen Kurzschrift. Er suchte eine "absolute
Philosophie".
von Reinhard Kleindl
Eine Mikrofilm-Aufnahme der Titelseite zu Gödels Bleistiftnotizen
zu seinem berühmten Unvollständigkeitssatz. Die ersten Zeilen lauten in
etwa: "Die Entwicklung der Mathematik in Richtung größerer Exaktheit hat
bekanntlich dazu geführt, weite Gebiete davon zu formalisieren, in der
Art, dass Beweise nach einigen wenigen mechanischen Regeln vollzogen
werden können."
Notizen eines Schulkindes
Von Plato kam dabei die
Angewohnheit Gödels zugute, alle seine Schriften aufzu-bewahren, darunter
all seine Schulhefte ab einem Alter von sechs Jahren. Dort lasse sich
nachlesen, wie Gödel "1+1=2" zehnmal repetiere. Interessanter ist eine
Haus-arbeit über die Göttlichkeit der menschlichen Seele, in der er
fordert, dass das Ich einen festen Platz in der Philosophie haben müsse.
"Da skizziert er ein typisches Programm, dem er sein ganzes Leben
gefolgt ist." Außerdem zeigten seine Arbeiten über statistische Physik
aus dieser Zeit ein tiefes Verständnis, ein Fach, das er später auch
zwei Jahre lang studierte.
Aus den Schriften aus seiner Zeit an der Universität sehe man
schließlich ganz ge-nau, wieereinForscherderLogikwurde. "DasgeschahimJahr1928, als der bekann-te Philosoph Rudolf Carnap sein
Lehrer war. Darüber gibt es ein 50-seitiges Heft." Er sei entscheidend
dafür gewesen, wie Gödel die Logik für sich fand.
Das ist erstaunlich, weil Gödel sich sonst vom Philosophenzirkel des
Wiener Kreis, dessen Mitglied Carnap war, eher abgrenzte. Seine
Religiosität passte nicht zu dem Atheismus des Wiener Kreises. Doch die
Notizen belegen, wie das Wiener Umfeld, insbesondere an der Universität,
den Grundstein für seinen Durchbruch in der ma-thematischen Logik legte.
Er nennt besonders seine Professoren Heinrich Gomperz und Philipp
Furtwängler, mit denen er bereits im ersten Semester an der Universität
zu tun hatte.
Gödel als Philosoph und Mystiker
Später erweiterte Gödel sein
Interessengebiet. "Es gibt eine 15 Hefte lange Serie, die Max-Phil
heißt, das steht für Maximen und Philosophien", berichtet von Plato. Sie
wurden von der deutschen Philosophin Eva-Maria Engelen aufgearbeitet
und herausgegeben, während von Plato sich eher auf die logischen
Arbeiten konzen-triert. "Ab 1943 sagte Gödel: Jetzt mache ich
Philosophie. Dann hat er intensiv Leibniz studiert", erzählt von Plato.
Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz, der Anfang des 18.
Jahrhunderts starb, ist selbst für einen enorm umfangreichen und nicht
vollständig aufgearbeite-ten Nachlass bekannt. Diese Tatsache faszinierte
Gödel, der bei seiner Beschäfti-gung mit dem Denker ein ganz bestimmtes
Ziel verfolgte: "Er dachte, dass sich da ein Geheimnis für die
Menschheit verbirgt. Wenn man es herausfände, würden ganz viele Dinge
klar", sagt von Plato. Es sei die Suche nach einer "absoluten
Philoso-phie" gewesen.
Hier klingt eine religiöse Komponente durch, die kein Zufall ist.
"Ein Großteil von Gödels Arbeit hat mit Theologie zu tun. Er sah seine
logisch-mathematischen Ar-beiten als Beruf, den er am Vormittag betreibt.
Am Nachmittag wollte er seine Zeit mit seiner Lieblingsbeschäftigung
verbringen, und das war das Studium religiöser Denker wie Thomas von
Aquin", berichtet von Plato.
Fehler in Bibelübersetzungen
Gödels Religiosität war
christlich geprägt, er sei aber gegen die Kirche als Institu-tion
gewesen. Er ging auch nicht in den Gottesdienst, sagt von Plato: "Er las
jeden Sonntagmorgen im Bett die Bibel. Er suchte sein ganzes Leben lang
Fehler in der lateinischen Übersetzung der Bibel."
Die Suche nach Exaktheit prägte so seinen Zugang zu Religion. "Er
glaubte, dass alles präzise gemacht werden kann", sagt von Plato. Gödels
Meinung nach gelte das für alle Gebiete, sei es Mathematik, Physik oder
Theologie.
Diese Exaktheit, die Gödel auf die Sprache der Mathematik anwandte,
war eine wichtige Voraussetzung dafür, später logische Probleme auf
Maschinen zu übertra-gen. Von Plato streicht Parallelen der von Gödel
verwendeten und später nach ihm benannten "Gödelisierung" und der
Speicherorganisation von Computern heraus. Er sei damit vielleicht nicht
der Vater, aber der "Großvater des Computers", sagt von Plato. Gödel
selbst habe eher geleugnet, dass seine Arbeit mit Computern zu tun habe.
Über seinen wichtigsten konkreten Beitrag zu den
Computerwissenschaf-ten, die erste Formulierung des P-NP-Problems in
einem Brief an John von Neu-mann, ist in seinen Notizen nichts zu finden.
"Es ist aber nicht ausgeschlossen, wir haben ja nicht alle der 30.000
Seiten durchgesehen", betont von Plato.
Buch mit Vorsätzen
Ein Teil der Max-Phil-Notizbücher gibt
Einblick in Privates und zeigt, wie Gödel sein Leben organisierte. Das
machte er über unzählige Vorgaben an sich selbst, in Form von Sätzen
wie: "Insbesondere praktische Dinge sollte man automatisiert über ein
mechanisches Schema erledigen." Anderswo philosophiert er darüber, wie
viel Geld er zum Leben benötigte und was er tun würde, wenn er eine
Million Schilling gewänne. Logik und den Grundlagen würde er dann nur
noch wenig Platz widmen. Recht banale Vorsätze, etwa zur Vermeidung von
Eile, stehen tiefgründige Überlegungen gegenüber.
Manchmal geht es darum, seine psychischen Schwächephasen
durchzustehen. "Er war sich darüber sehr bewusst und hat auch Bücher
über Psychologie gelesen", sagt von Plato. Besonders zeige sich das nach
psychischen Krankheitsphase im Jahr 1936. "Er schrieb auf, wie viele
Stunden Arbeit, wie viele Stunden Gesellschaft mit anderen Menschen er
schaffen wollte." Am Ende habe er Bilanz gezogen: "Er schrieb, wenn er
das nicht schaffe, müsse er zurück ins Irrenhaus." In den 1960er-Jahren
hatte Gödel auch wöchentliche Sitzungen mit dem Psychoanalytiker Richard
Huelsenbeck, der vor allem als Schriftsteller und Mitbegründer des
Dadaismus bekannt ist. Gödel kämpfte also gegen seine psychischen
Probleme an, hatte aber trotzdem immer wieder schwierige Phasen, die ihn
letztlich auch das Leben kosteten.
Kurt Godel and Albert Einstein bei einem ihrer Spaziergänge in Princeton.
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