Sonntag, 13. Oktober 2024

Gödels Nachlass.

Kurt Gödel im Jahr 1967.
aus derStandard.at, 7. 10. 2024                                        zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 
      
Die kryptischen Notizen von Einsteins bestem Freund werden entziffert
Der Jahrhundertlogiker Kurt Gödel hinterließ zigtausende Seiten an Notizen in einer heute vergessenen Kurzschrift. Er suchte eine "absolute Philosophie".

von Reinhard Kleindl

Eine Mikrofilm-Aufnahme der Titelseite zu Gödels Bleistiftnotizen zu seinem berühmten Unvollständigkeitssatz. Die ersten Zeilen lauten in etwa: "Die Entwicklung der Mathematik in Richtung größerer Exaktheit hat bekanntlich dazu geführt, weite Gebiete davon zu formalisieren, in der Art, dass Beweise nach einigen wenigen mechanischen Regeln vollzogen werden können."

 

Notizen eines Schulkindes

Von Plato kam dabei die Angewohnheit Gödels zugute, alle seine Schriften aufzu-bewahren, darunter all seine Schulhefte ab einem Alter von sechs Jahren. Dort lasse sich nachlesen, wie Gödel "1+1=2" zehnmal repetiere. Interessanter ist eine Haus-arbeit über die Göttlichkeit der menschlichen Seele, in der er fordert, dass das Ich einen festen Platz in der Philosophie haben müsse. "Da skizziert er ein typisches Programm, dem er sein ganzes Leben gefolgt ist." Außerdem zeigten seine Arbeiten über statistische Physik aus dieser Zeit ein tiefes Verständnis, ein Fach, das er später auch zwei Jahre lang studierte.

Aus den Schriften aus seiner Zeit an der Universität sehe man schließlich ganz ge-nau, wie er ein Forscher der Logik wurde. "Das geschah im Jahr 1928, als der bekann-te Philosoph Rudolf Carnap sein Lehrer war. Darüber gibt es ein 50-seitiges Heft." Er sei entscheidend dafür gewesen, wie Gödel die Logik für sich fand.

Das ist erstaunlich, weil Gödel sich sonst vom Philosophenzirkel des Wiener Kreis, dessen Mitglied Carnap war, eher abgrenzte. Seine Religiosität passte nicht zu dem Atheismus des Wiener Kreises. Doch die Notizen belegen, wie das Wiener Umfeld, insbesondere an der Universität, den Grundstein für seinen Durchbruch in der ma-thematischen Logik legte. Er nennt besonders seine Professoren Heinrich Gomperz und Philipp Furtwängler, mit denen er bereits im ersten Semester an der Universität zu tun hatte.

Gödel als Philosoph und Mystiker

Später erweiterte Gödel sein Interessengebiet. "Es gibt eine 15 Hefte lange Serie, die Max-Phil heißt, das steht für Maximen und Philosophien", berichtet von Plato. Sie wurden von der deutschen Philosophin Eva-Maria Engelen aufgearbeitet und herausgegeben, während von Plato sich eher auf die logischen Arbeiten konzen-triert. "Ab 1943 sagte Gödel: Jetzt mache ich Philosophie. Dann hat er intensiv Leibniz studiert", erzählt von Plato.

Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz, der Anfang des 18. Jahrhunderts starb, ist selbst für einen enorm umfangreichen und nicht vollständig aufgearbeite-ten Nachlass bekannt. Diese Tatsache faszinierte Gödel, der bei seiner Beschäfti-gung mit dem Denker ein ganz bestimmtes Ziel verfolgte: "Er dachte, dass sich da ein Geheimnis für die Menschheit verbirgt. Wenn man es herausfände, würden ganz viele Dinge klar", sagt von Plato. Es sei die Suche nach einer "absoluten Philoso-phie" gewesen.

Hier klingt eine religiöse Komponente durch, die kein Zufall ist. "Ein Großteil von Gödels Arbeit hat mit Theologie zu tun. Er sah seine logisch-mathematischen Ar-beiten als Beruf, den er am Vormittag betreibt. Am Nachmittag wollte er seine Zeit mit seiner Lieblingsbeschäftigung verbringen, und das war das Studium religiöser Denker wie Thomas von Aquin", berichtet von Plato.

Fehler in Bibelübersetzungen

Gödels Religiosität war christlich geprägt, er sei aber gegen die Kirche als Institu-tion gewesen. Er ging auch nicht in den Gottesdienst, sagt von Plato: "Er las jeden Sonntagmorgen im Bett die Bibel. Er suchte sein ganzes Leben lang Fehler in der lateinischen Übersetzung der Bibel."

Die Suche nach Exaktheit prägte so seinen Zugang zu Religion. "Er glaubte, dass alles präzise gemacht werden kann", sagt von Plato. Gödels Meinung nach gelte das für alle Gebiete, sei es Mathematik, Physik oder Theologie.

Diese Exaktheit, die Gödel auf die Sprache der Mathematik anwandte, war eine wichtige Voraussetzung dafür, später logische Probleme auf Maschinen zu übertra-gen. Von Plato streicht Parallelen der von Gödel verwendeten und später nach ihm benannten "Gödelisierung" und der Speicherorganisation von Computern heraus. Er sei damit vielleicht nicht der Vater, aber der "Großvater des Computers", sagt von Plato. Gödel selbst habe eher geleugnet, dass seine Arbeit mit Computern zu tun habe. Über seinen wichtigsten konkreten Beitrag zu den Computerwissenschaf-ten, die erste Formulierung des P-NP-Problems in einem Brief an John von Neu-mann, ist in seinen Notizen nichts zu finden. "Es ist aber nicht ausgeschlossen, wir haben ja nicht alle der 30.000 Seiten durchgesehen", betont von Plato.

Buch mit Vorsätzen

Ein Teil der Max-Phil-Notizbücher gibt Einblick in Privates und zeigt, wie Gödel sein Leben organisierte. Das machte er über unzählige Vorgaben an sich selbst, in Form von Sätzen wie: "Insbesondere praktische Dinge sollte man automatisiert über ein mechanisches Schema erledigen." Anderswo philosophiert er darüber, wie viel Geld er zum Leben benötigte und was er tun würde, wenn er eine Million Schilling gewänne. Logik und den Grundlagen würde er dann nur noch wenig Platz widmen. Recht banale Vorsätze, etwa zur Vermeidung von Eile, stehen tiefgründige Überlegungen gegenüber.

Manchmal geht es darum, seine psychischen Schwächephasen durchzustehen. "Er war sich darüber sehr bewusst und hat auch Bücher über Psychologie gelesen", sagt von Plato. Besonders zeige sich das nach psychischen Krankheitsphase im Jahr 1936. "Er schrieb auf, wie viele Stunden Arbeit, wie viele Stunden Gesellschaft mit anderen Menschen er schaffen wollte." Am Ende habe er Bilanz gezogen: "Er schrieb, wenn er das nicht schaffe, müsse er zurück ins Irrenhaus." In den 1960er-Jahren hatte Gödel auch wöchentliche Sitzungen mit dem Psychoanalytiker Richard Huelsenbeck, der vor allem als Schriftsteller und Mitbegründer des Dadaismus bekannt ist. Gödel kämpfte also gegen seine psychischen Probleme an, hatte aber trotzdem immer wieder schwierige Phasen, die ihn letztlich auch das Leben kosteten.

Gödel und Einstein, beide mit Hut, posieren für die Kamera. 
Kurt Godel and Albert Einstein bei einem ihrer Spaziergänge in Princeton.

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