Freitag, 6. September 2024

Der Maler des Weltinnenraums.

Himmelsspiegelungen: „Das Große Gehege bei Dresden“, um 1832aus FAZ.NET, 24. 8. 2024                                     Das Große Gehege, 1832                                     zu Geschmackssachen

Der Maler des Weltinnenraums
Zwei Ausstellungen in Dresden
 

Der Zauber der Kunst von Caspar David Friedrich ist unerschöpflich. Drei große Ausstellungen (und ein paar kleinere) gab und gibt es im Jubiläumsjahr, und jede erzählt eine andere Geschichte. In Hamburg war es die Geschichte eines Ahnherrn der Moderne, in Berlin das Epos seiner Wiederentdeckung und Kanonisierung um 1900. In Dresden, der Stadt, in der Friedrich vierzig Jahre lang gelebt hat, ist es die Geschichte einer Welt.

Wer dort den Sonderausstellungssaal im Albertinum betritt, einen von zwei Standorten der Ausstellung „Wo alles begann“, sieht auf den ersten Blick kein einziges Bild von Caspar David Friedrich. Stattdessen prangen an der Längswand dicht an dicht gut einhundertzwanzig Gemälde seiner Zeitgenossen: Gérards pompöses Napoleon-Porträt, Philipp Veits „Ecce Homo“, Johan Christian Dahls „Blick auf Dresden“, dazu Stücke von Richter, Carus, Blechen, Koch, Oehme, Schnorr von Carolsfeld und anderen. Es ist die Kunst der Salons, die Friedrich mied, die Malerei des Marktes und der Mode. Und es ist die Kunst, vor der er weichen musste. Ab 1820 sank Friedrichs Stern, bei seinem Tod zwanzig Jahre später war er fast vergessen, während die Nazarener, deren puzzlehafte Kompositionen er als „Trödelbuden“ schmähte und deren Bonbonfarben er mit Schminke verglich, den Geschmack des Biedermeier beherrschten.


Blau, Gelb, Rot, Violett: „Schiffe im Hafen am Abend“, 1828
Blau, Gelb, Rot, Violett: „Schiffe im Hafen am Abend“, 1828Albertinum/Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Wie eine quergelegte Litfaßsäule brüllt der Bilderteppich den Betrachter an. Aber sobald der Lärm verhallt ist, hört man um so klarer die Gegenstimme, die in den fünf Ausstellungssektionen auf der anderen Seite des Saals erklingt. Und man begreift abermals, warum Friedrich sich in keine Schule oder Stilrichtung der Romantik einfügt, warum er selbst seinen engsten Malerfreunden fremd war. Es genügt, sich vor eines der Bilder aus seiner Spätzeit zu stellen, die unter dem Stichwort „Luftschaften“ versammelt sind, um aus dem Marktgewimmel in ein anderes Universum einzutreten.

Etwa das „Große Gehege“ von 1832 mit seinen kupferfarbenen und blaugrauen Himmelsspiegelungen zwischen den Schwemminseln der Elbe. Oder das „Meeresufer im Mondschein“, an dem Friedrich noch nach seinem Schlaganfall von 1835 weiterarbeitete, eines der letzten Gemälde, die er vollendet hat: Der Horizont ein Lichtschwert zwischen dunkelblau gebauschtem Wolkenhimmel und blauschwarzer Küste, die Spiegelung des halb verhangenen Mondes wie zerkratztes Silber auf den Wellen. Drei Segelboote als Nachtfalter, die zu den Lichtpfützen schweben. „Weltinnenraum“ hat Rilke das genannt, und Friedrich hat diesen Raum hundert Jahre vor den „Duineser Elegien“ mit dem Pinsel erschaffen, Bild für Bild.


Sprache der Bäume: „Ausblick ins Elbtal“, 1807
Sprache der Bäume: „Ausblick ins Elbtal“, 1807Albertinum/Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Unter den drei großen Friedrich-Schauen kann die Dresdner am meisten aus dem Vollen schöpfen, denn hier lag Friedrichs Landschaft, das Elbsandsteingebirge mit seinen Felsen, Wäldern und Flusstälern, die er schon kurz nach seinem Umzug aus Greifswald im Sommer 1798 zu zeichnen begann. Hier war aber auch die berühmteste deutsche Gemäldegalerie ihrer Zeit, und an diesem Punkt leistet die von Holger Birkholz kuratierte Ausstellung in der Albertina tatsächlich Pionierarbeit.

Birkholz hat die Figurenstudien, mit denen Friedrich in seiner Frühzeit in Dresden zahlreiche Zeichenblätter füllte, akribisch mit ih­ren Vorlagen bei niederländischen Altmeistern wie Ruisdael, Berchem und Philips Wouwerman verknüpft und dann den Weg der Figuren durch Friedrichs Malerei weiterverfolgt. So sieht man etwa, wie das elegante Paar aus Wouwermans „Fischern am Strand“ in immer neuen Verkleidungen durch die Welt des Malers wandert, bis es in den trauernden Eltern am Eingangstor des „Friedhofs“ von 1825 zur Ruhe kommt. Hinter den offenen Türflügeln erscheint ein frisches Kindergrab, dahinter eine mit Kreuzen und Stelen besäte Waldlichtung vor Laubbäumen. Zwischen den Stämmen zittert zart und silbrig der Umriss eines Engels, der die Seele des Kindes zum Himmel trägt.


Die trauernden Eltern und das Kindergrab: „Friedhof“, 1825
Die trauernden Eltern und das Kindergrab: „Friedhof“, 1825Albertinum/Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Friedrich hat den Vordergrund des Bildes gegen seine Gewohnheit nicht zu Ende gemalt. Eben deshalb ist es eine der Entdeckungen der Dresdner Ausstellung: Es deutet in eine Zeit voraus, in der das Fragmentarische zum Kunstmittel werden wird, und verbindet diese Freiheit mit der souveränen Malweise der Alten Meister. Friedrichs Modernität hat, wie die der Surrealisten, einen klassischen Einschlag, sie überwindet die sichtbare Welt, ohne deren Formen zu zerschlagen.

Friedrichs zweites Dresdner Bildungserlebnis neben den Niederländern war die Kunst seiner Vorgängergeneration. Anton Graff, Adrian Zingg und Johann Christian Klengel hatten Elblandschaften und böhmische Berge gemalt, und der Akademieschüler aus Greifswald nahm ihre Lehren auf, um sie sich anzuverwandeln. Im Kupferstichkabinett, der zweiten Station der Dresdner Ausstellung, sind vier Gou­achen zu sehen, die Friedrich um 1802 im Plauenschen Grund im Weißeritztal gemalt hat. Sie zeigen den Schöpfer der „Abtei im Eichwald“ als spätbarocken Idylliker. Seine Schwäne schwimmen säuberlich geordnet im Mühlteich, die Landstraße wird von Kühen belebt, und eine Glashütte bläst ihren Kohlenqualm tapfer in den Abendhimmel.


In der Schlucht: „Felsentor im Uttewalder Grund“, um 1801
In der Schlucht: „Felsentor im Uttewalder Grund“, um 1801Museum Folkwang Essen

Die Revolution, die dem Künstler mit dem Tetschener Altar und dem Wechsel zur Ölmalerei fünf Jahre später gelingt, wird von hier aus erst richtig sichtbar, und in Dresden kann man sie Schritt für Schritt nachvollziehen. Der Berliner Jahreszeitenzyklus enthält noch Rokoko-Elemente, aber auf Rügen zeichnet Friedrich bereits Landschaften ohne Bildschmuck. In den Weimarer Sepiablättern und im Karlsruher Skizzenbuch, das man im Kupferstichkabinett digital aufblättern kann, findet er endgültig zu seiner Form. Die aufragenden Fichten, die knorrigen, blätterlosen Bäume, die flachen Felder und im Nebel schwimmenden Felsen werden zu Buchstaben seiner malerischen Sprache.

Und so, wie er Figuren bei den Altmeistern kopiert, sammelt er Landschaften in Sachsen und Böhmen. Die Klosterruine von Eldena findet er, verwandelt, in Altzella und Oybin bei Zittau wieder. Im Uttewalder Grund zeichnet er Felsentore und Steine für seine Hünengräber, im Tharandter Wald Baumstudien, im Riesengebirge Hügelketten. Nur seine Wahlheimat Dresden bleibt ihm als Kulisse so fremd, wie sie seinen Malerfreunden und -konkurrenten vertraut ist. Die „Frau am Fenster“ verdeckt die Aussicht auf das Ufer der Neustadt. Hinter dem „Hügel mit Bruchacker“ von 1824 ragen nur ihre Turmspitzen aus dem Morgennebel. Dafür kann man, wenn man lang genug hinschaut, in Friedrichs Saatkrähen schon die Raben von van Goghs „Weizenfeld“ erkennen.

Ein Kapitel, das in beiden Dresdner Ausstellungsteilen (wie zuvor in Hamburg und Berlin) zu kurz kommt, ist der politische Friedrich. Der Maler, der vor dem Krieg in die Wälder und vor den Straßenunruhen von 1830 in sein Atelier floh, verachtete die „Fürstenknechte“; die altdeutsche Kleidung, in der viele seiner Figuren stecken, war ein Statement gegen die Ständegesellschaft des Vormärz. Und „Huttens Grab“ trug einst nicht nur den Namen des Reformators, sondern auch die von Arndt, Jahn und Görres. Im Albertinum hängt das Gemälde in der Abteilung „Friedhöfe“, aber man hätte es auch unter eine andere Überschrift stellen können: „Protest“. Es gibt noch viele Geschichten zu erzählen über den Maler Caspar David Friedrich. So wie über seine Kunst.

Caspar David Friedrich. Wo alles begann. Albertinum Dresden, bis 5. Januar 2025, und Kupferstichkabinett, bis 17. November. Der Katalog kostet 36 Euro.
 

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