Donnerstag, 5. September 2024

C. D. Friedrich - wessen Zeitgeist?

aus derStandard.at, 5. 9. 2024               Ausdruck des Zweifelns an sich selbst, an Gott, an der Welt? "Der Mönch am Meer" (1808/10) ist Caspar David Friedrichs berühmtestes Gemälde und Sinnbild unserer Zeit.                   zu Geschmackssachen  
 
"Er atmet Natur ein und als Kunst wieder aus"
Der Maler der deutschen Romantik wurde gefeiert, instrumentalisiert, vergessen und wiederentdeckt: Der Kunsthistoriker Florian Illies hat zum Jubiläum ein Buch verfasst
 

STANDARD: In Ihrem Buch bezeichnen Sie Caspar David Friedrich als ersten abstrakten Maler. Er hat nämlich nicht von der Natur gemalt, sondern in der abge-dunkelten Stube aus sich heraus Versatzstücke zu Fantasielandschaften arrangiert. Überdauert seine Kunst deswegen die Zeiten?

Illies: Es ist ja rätselhaft: Wie kann ein Maler des frühen 19. Jahrhunderts den Men-schen von heute aus der Seele sprechen? Eine Erklärung ist tatsächlich das, was seine Zeitgenossen oft nicht verstanden haben. In zeitgenössischen Kritiken wurde er oft wörtlich als zu "abstrakt" bezeichnet. Die Menschen wollten damals nichts Unverständliches, sie wollten heroische Landschaft, die man örtlich zuordnen konnte, Gamsjagden, Wirtshausszenen, Geschichten sollten erzählt werden. Das verweigert Friedrich, bei ihm bleibt immer alles rätselhaft. Er hat jedes Bild kompiliert, wie ein DJ, der Samples zusammenmixt.

 

 

STANDARD: Sie schreiben den schönen Satz: "Friedrich atmet Natur ein und als Kunst wieder aus." Er ist viel gewandert, aber nie weit gereist. Liegt darin sein Geheimnis? Die Fokussierung darauf, was er wirklich bis ins kleinste Detail kennt?

Illies: Es ist sicherlich ein Teil seines Geheimnisses. Er hat das Gebiet der späteren DDR nicht verlassen. Seine Zeitgenossen sind mit Farben in die Natur gegangen und haben dort ganze Bilder gemalt, er aber hat nur mit Bleistift stundenlang Details skizziert. Das Zentrum der Fokussierung ist dann sein verdunkeltes Atelier, wo er sich wie ein Mönch eingeschlossen und fokussiert hat. Er betrieb das Malen wie ein christliches Exerzitium. Seine Arbeitsweise erinnert an mittelalterliche Buchmalerei.

Blick in eines der erhaltenen Skizzenbücher von Caspar David Friedrich.

STANDARD: Friedrich und andere Romantiker waren, wie Sie schreiben, beeindruckt vom "Jahr ohne Sommer" (1816).

Illies: Ja, es kam durch einen Vulkanausbruch in der Südsee zu einer massiven Klimaveränderung, die in der Atmosphäre extrem farbige Himmelserscheinungen erzeugt hat. Die Romantiker wussten natürlich nichts von der Ursache dessen. Wir kennen das auch von den fast psychedelisch grellfarbigen Himmeln, die William Turner zu dieser Zeit gemalt hat. Man hielt das immer für eine etwas zügellose Fantasie, aber heute weiß man, dass diese Eindrücke meteorologische Gründe hatten.

STANDARD: Während der Pandemie haben viele die Natur vor der Haustür neu entdeckt: Gibt das Friedrich und den Romantikern neuen Auftrieb?

Illies: Das Weltgefühl, komplett abgeschlossen und im eigenen Zimmer isoliert zu sein, entspricht exakt den Entstehungsprozessen von Friedrichs Bildern. Durch diese zwei in sich gekehrten Jahre haben wir wieder ein anderes Verhältnis zu vielem gewonnen. Der zweite Aspekt ist natürlich die Entdeckung der Welt vor der Haustür, für die man keine Flugreise braucht. Wir alle erkennen wieder, dass Natur etwas sehr Kostbares, Heilsames, Tröstliches hat. Friedrich hat schon vor der Industrialisierung erahnt, dass diese Natur gefährdet ist. Und ähnlich schauen wir heute darauf.

STANDARD: Er ist auch ein Maler der Elemente: Egal ob in Greifswald, Rügen oder Dresden, zieht es ihn immer zum Wasser, in die Lüfte und zur Erde. Das Feuer aber fürchtet er. Warum?

Illies: Er ist Sohn eines Kerzenziehers, das Feuer war also immer präsent in seiner Kindheit, er entwickelt aber ein angstbesetztes Verhältnis dazu, warnt in Briefen davor, malt das Feuer als Urgewalt, als strafendes Element. Und dann ist es eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet sein Werk nach seinem Tod so oft vom Feuer gefressen wird: 1901 brennt sein Geburtshaus in Greifswald ab, 1911 Teile des Sächsischen Schlosses, 1931 und 1945 weitere Brände, überall verbrennen dabei wichtige Werke.

STANDARD: Romantik ist die Fortführung der Religion mit ästhetischen Mitteln, heißt es bei Rüdiger Safranski. Wie hielt es Friedrich mit der Religion? War er Pantheist?

Illies: Präzise einordnen in die religiösen Tendenzen seiner Zeit kann man ihn nicht. Er hat sich immer als Praktiker bezeichnet und gemeint, er sei nicht in der Lage dazu, seine Glaubensvorstellung theologisch auszudrücken. Er deutet an, dass es das Überirdische gibt, wird dabei aber nicht ideologisch oder missionarisch. Der Theologe Schleiermacher unterstützte ihn, erkannte das Religiöse etwa in Mönch am Meer, wo dem Zweifel, dem Ringen mit Gott Ausdruck verliehen wird. Andere Theologen kritisierten seine Bilder mit Sätzen wie "Die Landschaftsmalerei kriecht auf die Altäre". Das war im Gegensatz zu den katholischen Nazarenern in Wien, die zur selben Zeit eine Rückbesinnung auf biblische Szenen forderten, tatsächlich etwas Neues.

"Das Kreuz im Gebirge" zählt zu Friedrichs offensichtlichsten christlichen Werken. Ansonsten verarbeitete er Religiosität subtiler.

STANDARD: "Himmelmalen ist für ihn wie Gottesdienst", hat Friedrichs Frau Christiane Bommer gesagt.

Illies: Er malt Himmel, die etwas Überirdisches, einen Hauch von transzendentaler Hoffnung haben. Damit unterscheidet er sich von allen Zeitgenossen.

STANDARD: In der Liebe agierte er hingegen mehr wie ein Verwaltungsbeamter. Wie kommt das?

Illies: Da war er eher nüchtern, auch ein Spätzünder. Er hat seine Frau um sechs Uhr morgens im Winter vor nur zwei Anwesenden geheiratet. Seine ganze Leidenschaft galt offenbar seinen Bildern.

Wolken malen als Gottesdienst: "Ruine Eldena im Riesengebirge" (1830/34).

STANDARD: In den napoleonischen Kriegen wurde Friedrich zum deutschtümelnden Patrioten, die Nazis haben das später dankbar aufgegriffen und für sich missbraucht. Gibt es ein völkisches Element bei Friedrich?

Illies: Alle Versuche der Nazis, ihn zu einem völkischen Maler zu machen, sind aus meiner Sicht gescheitert. Das Werk Friedrichs lässt sich aufgrund seiner Offenheit zwar schnell missbrauchen, entzieht sich aber dadurch genauso wieder. In der Zeit der Besetzung durch Napoleon malte er tatsächlich patriotische Bilder, er wollte aber, dass sich die deutschen Länder vereinigen, gegen die Fürsten und gegen die Besatzer. Er unterstützte in dieser Zeit die Freiheitskrieger und beschwor alte germanische Tugenden, malte deutsche Eichen und Hünengräber. Mit dem Ende Napoleons hört das aber wieder auf.

Das Werk "Klosterfriedhof im Schnee", zu sehen in der Alten Nationalgalerie in Berlin.

STANDARD: Auch wenn die Idee davon sehr neu war: War er denn Demokrat?

Illies: Was wir wissen, ist, dass er seine Figuren immer in altdeutscher Tracht gemalt hat, was damals ein Symbol dafür war, zu den bürgerlich-demokratischen, studentischen Kräften zu gehören. Politisch aber war Friedrich nur in der napoleonischen Zeit, danach war er wieder ganz Landschaftsmaler.

STANDARD: Hitler mochte Friedrich nicht, Sie mutmaßen, er sei ihm zu schwermütig gewesen. Warum deprimieren seine Bilder die einen und sind für andere ganz im Gegenteil sogar erhebend?

Illies: Sein Werk lässt den Menschen mit seinen eigenen Vorstellungen, Ängsten und Sehnsüchten in Beziehung treten. Goethe etwa kann damit gar nichts anfangen, obwohl Friedrich sich jahrelang um seine Gunst bemüht. Der preußische Kronprinz, der gerade seine Mutter verloren hat, findet in Mönch am Meer aber Trost, es hilft ihm, Heinrich von Kleist wiederum sieht darin die Apokalypse heraufdämmern und wird sich in einer ähnlichen Szenerie das Leben nehmen.

Blick in die Jubiläumsausstellung zum Friedrichjahr in der Alten Nationalgalerie Berlin.

STANDARD: Haben seine Bilder etwas Gefährliches?

Illies: Kurzfristig ja. Die Offenheit seiner Werke ist ein Risiko: Man kann sich den antifranzösischen Friedrich zusammenschnitzen, den Germanenbeschwörer, den frühen Naturschützer, den Todessehnsüchtigen, aber langfristig spricht sein Werk eine sehr menschenfreundliche Sprache.

STANDARD: Noch zu Lebzeiten kam er schrecklich aus der Mode, war fast 100 Jahre lang vergessen. Im 20. Jahrhundert nahmen aber von Walt Disney (Bambi) über Samuel Beckett (Warten auf Godot) bis zu Ferdinand Murnau (Nosferatu) viele Anleihen bei seinen Motiven. Ist Friedrich heute der einflussreichste deutsche Künstler, wichtiger noch als Albrecht Dürer?

Illies: Um 1880 war es tatsächlich so, als hätte es ihn nie gegeben, er war völlig vergessen. Heute werden seine Jubiläumsausstellungen eine Million Menschen gesehen haben. Er wird zur Identifikationsfigur in einer offenbar völlig überforderten digitalen Gesellschaft. Ich denke, dass er heute eine Wirkung hat auf zeitgenössische Künstler, die davor noch kein deutscher Künstler hatte. Er ist sicherlich nicht größer als Dürer, aber heute einflussreicher.

"Der Wanderer über dem Nebelmeer" (1817) ist für Florian Illies ein Gemälde, das Souveränität und Triumph im Umgang mit der Natur zeigt. Nie hat Friedrich eine größere Figur ins Bild gemalt. 

STANDARD: Welches seiner Bilder beschreibt die Zeit, in der wir leben, am besten?

Illies: Es ist nicht Der Wanderer über dem Nebelmeer. Das Bild ist zwar beliebt auf Social Media, es erzählt aber von einer Souveränitätsgeste und einem Triumphgefühl gegenüber der Natur. Die große Verworrenheit, die Zweifel und Ängste unserer Gegenwart drückt eher Der Mönch am Meer aus. Wir alle sind gerade in dieser Pose, wo sich die Wolken von allen Seiten kommend zusammenziehen. Was wir sehen, der Mönch aber vielleicht nicht: Wenn man demütig zweifelt und nach Lösungen sucht, kann sich dieser Himmel auch aufklären. Daran glaube ich als unverbesserlicher Kulturoptimist.

STANDARD: Welches seiner Bilder ist Ihr liebstes?

Illies: Ein winziges, 18 mal 24 Zentimeter großes Bild, das Ziehende Wolken heißt. Für mich ist es ein Symbol für ziehende Gedanken. Es ist wie ein Abbild des menschlichen Nachdenkens. Mich fasziniert, wie Friedrich es geschafft hat, die Zartheit dieser ziehenden Wolken so hinzubekommen, dass man das Gefühl hat, man versteht dadurch die Welt ein bisschen mehr.

STANDARD: In etwa so stricken Sie ja auch Ihre historischen Bücher, oder?

Illies: Sehr richtig, und vielleicht ist mir das Bild deswegen so nah: ein Gedanke von links, einer von rechts, von hinten, von oben, unten. Und in all dieser Gleichzeitigkeit kann man manchmal einen Zipfel der Wahrheit erhaschen. 

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