aus nzz.ch, 22. 9. 2024 zu Jochen Ebmeiers Realien
Affen geht schnell die Puste aus, wir Menschen hingegen sind Dauerläufer. Das liegt an unserem einzigartigen Herzen.
Forscher
haben ein Merkmal entdeckt, durch das sich der Mensch eindeutig vom
Tier unterscheidet: ein Herz, das besonders viel Blut pumpen kann. Es
ist eine evolutionäre Anpassung an unser grosses Gehirn und unseren
Bewegungsdrang.
von Martin Amrein
Was
unterscheidet den Menschen vom Schimpansen? Seine Hemmungen, meinte der
Berner Chansonnier Mani Matter. Schon Aristoteles war dagegen
überzeugt, es sei die Sprache. Man könnte auch noch den aufrechten Gang
oder das grosse Gehirn ins Feld führen. Nun jedoch hat ein
internationales Forschungsteam ein weiteres Organ ausgemacht, das unsere
Spezies einzigartig machen soll: das Herz.
Bisher ging man davon aus, dass die Herzen aller Säugetiere ziemlich ähnlich sind. Laut der neuen Studie
unterscheidet sich das menschliche Herz aber deutlich von dem unserer
nächsten Verwandten, der Menschenaffen. Es weist strukturelle
Besonderheiten in der linken Herzkammer auf, zudem zieht sich der
Herzmuskel anders zusammen. Offenbar handelt es sich dabei um eine
Anpassung an unser aktives Leben auf zwei Beinen und an das grosse
Gehirn: Das Menschenherz kann mehr Blut pumpen, um den erhöhten
Energiebedarf zu decken.
Dass
Menschenaffen andere körperliche Voraussetzungen haben als wir, zeigt
schon der Besuch im Zoo. «Dort sieht man, dass Schimpansen jeweils nur
für kurze Zeit sprinten, dann sind sie völlig ausser Atem», erklärt
Aimee Drane, Herzphysiologin an der Swansea University und Mitautorin
der Studie. «Sie sind einfach nicht geschaffen fürs Rennen.» Ganz anders
der Mensch. Er verfügt gleich über mehrere Eigenheiten, die ihn zu
einem vorzüglichen Langstreckenläufer machen: seine langen Beine, die
ausdauernden Muskeln, eine Haut voller Schweissdrüsen statt eines Fells.
Das menschliche Herz sei ein weiteres Puzzlestück dieser Maschinerie,
sagt Drane.
Herzultraschall bei Schimpansen
Unsere
Vorfahren waren Hunderttausende Jahre lang Jäger und Sammler. Um ihre
Beute zu verfolgen oder pflanzliche Nahrung zu suchen, mussten sie
während Stunden aktiv sein. Damit die Muskeln stetig mit genug Energie
versorgt wurden, brauchte es ein Herz, das viel Blut pumpen konnte. Die
typischen körperlichen Anstrengungen eines Menschenaffen – einen Baum
erklimmen, einen Artgenossen vertreiben – dauern dagegen viel weniger
lang. Ihr Herz ist dabei stark belastet, aber nur für ganz kurze Zeit.
Die
Forscher um Aimee Drane verglichen das menschliche Herz mit denjenigen
von Menschenaffen. Sie untersuchten Schimpansen, Bonobos, Gorillas und
Orang-Utans, die in Wildtierauffangstationen in Afrika oder in Zoos in
Europa leben. Mithilfe eines Herzultraschalls erstellten die
Wissenschafter Bilder der linken Herzkammer, die das Blut in die Aorta
und damit durch den Körper pumpt. Mit einer zusätzlichen bildgebenden
Technik verfolgten sie das Muster des Herzmuskels, wenn er sich
zusammenzog und entspannte.
Dabei
fanden sie heraus, dass die Herzkammern der Affen viel stärker als die
des Menschen von sogenannten Trabekeln durchzogen sind. Das sind Bündel
von Muskeln, die wie eine Art Netz arrangiert sind. Die linke Herzkammer
eines gesunden Menschen dagegen ist glatt, mit überwiegend kompakter
Muskulatur. Der Unterschied ist am Apex, dem unteren Teil des Herzens,
am deutlichsten. Zudem ist die menschliche Herzkammer etwas grösser.
«Wir
haben die ausgeprägten Trabekeln bei allen Menschenaffen gefunden, bei
jungen und bei alten», sagt Drane. Vielleicht noch wichtiger seien aber
die Unterschiede bei der Herzfunktion. Das Forschungsteam hat
festgestellt, dass sich das menschliche Herz, wenn es sich
zusammenzieht, auch noch verdreht. «Löst sich diese Verdrehung in der
Entspannungsphase, kann das Herz sehr viel Blut ansaugen, das es bei der
nächsten Kontraktion weiterpumpt», erklärt Drane. Bei den Menschenaffen
finde keine solche Drehbewegung statt.
Während
die Herzen der Menschenaffen mit ihren Trabekeln dickwandiger und damit
gut dazu geeignet sind, mit kurzzeitig hohem Blutdruck umzugehen,
stellt das Menschenherz mit seiner hohen Pumpleistung die stete
Energieversorgung des Körpers sicher.
Der rote Kopf nach der Joggingtour
Laut
Drane kommt dem Ausdauersportler Mensch das kardiovaskuläre System noch
in einer weiteren Rolle zugute. Der Blutfluss trägt neben dem Schwitzen
zur Abkühlung bei: Wenn sich die Blutgefässe in der Nähe der Haut
erweitern, wird Wärme an die Luft abgegeben. Daher rührt auch der rote
Kopf nach einer sommerlichen Joggingtour.
Andere
Tiere können nicht auf diese Kühlfunktion zurückgreifen. Bei der
Hetzjagd in der afrikanischen Savanne, die nicht nur heutige Jäger und
Sammler, sondern wohl auch schon unsere Vorfahren betrieben, ist dies
entscheidend: Der Mensch kann Beutetiere wie etwa Gazellen so lange
verfolgen, bis sie überhitzen und kollabieren.
Doch
wenn das menschliche Herz so viel mehr Blut pumpt als das unserer
nächsten Verwandten, braucht es dann nicht noch zusätzliche Anpassungen
im Herz-Kreislauf-System? Offenbar schon, wie eine andere Forschungsgruppe kürzlich zeigen konnte.
Sie hat sich jenen Körperteil genauer angeschaut, der direkt ans Herz
anschliesst: die Aorta. Tatsächlich ist dieses Blutgefäss bei unserer
Spezies deutlich grösser als bei den Menschenaffen. Und auch diese
Forscher kommen zum Schluss, dass das grosse Gehirn und der energetisch
aufwendige Lebensstil des Menschen den erhöhten Blutdurchfluss
erfordern.
Affenähnliches Herz bei Sportmuffeln
Schon früher haben Aimee Drane und ihre Kollegen zudem herausgefunden,
dass es auch unter den Menschen deutliche Unterschiede im Aufbau des
Herzens gibt, die allerdings vom Lebensstil abhängen. Die Wissenschafter
untersuchten die Herzstruktur von Ausdauerathleten sowie von Menschen,
die sich kaum körperlich betätigen. Es zeigte sich, dass die Sportler
längere, grössere und elastischere linke Herzkammern haben. Im Gegensatz
dazu haben die untrainierten Menschen oft schon in jungen Jahren ein
eher affenähnliches Herz mit dickeren und weniger flexiblen Wänden.
Das
belegt eindrücklich, wie uns regelmässige Bewegung gesund hält – und
dass zu wenig davon schadet: «Fliessen nicht regelmässig grosse Mengen
Blut durch unser Herz und unsere Gefässe, beginnen diese zu versteifen»,
sagt Drane. Das führe zu einem höheren Blutdruck, was wiederum
Herzrhythmusstörungen verursachen könne.
Die
Erkenntnisse der Forscher deuten darauf hin, dass der Prozess der
Entwicklung von Bluthochdruck bereits Jahre vor der ersten Feststellung
in einer Arztpraxis in Gang gesetzt wird. Das Problem ist weit
verbreitet, wie Zahlen der Weltgesundheitsorganisation
zeigen. So sollen 31 Prozent der Erwachsenen weltweit nicht die
empfohlenen 150 Minuten körperlicher Betätigung pro Woche mit moderater
Intensität erreichen. Etwa ein Viertel von ihnen hat einen zu hohen Blutdruck.
Deshalb
Dranes Appell: Auch wenn es besser sei, sich ein Leben lang zu bewegen,
sei es nie zu spät, damit anzufangen. «Sport ist immer nützlich für uns
Menschen», sagt sie. Schliesslich seien wir von Natur aus dafür gemacht
– inklusive unseres einzigartigen Herzens.