Alfred Neumann aus Jochen Ebmeiers RealienDass
jeder Mensch ein bisschen anders ist, dass die Grenzen des Normalen ein
wenig fließen, dass Genie und Wahnsinn bei einander liegen - das sind
alles All-tagstrivialitäten, die niemand bestreitet, weil sonst das
tägliche Zusammenleben äußerst strapaziös wäre.
Doch
muss man sich klarmachen: Das gilt nicht nur für das Ungefähr unserer
alltäglichen Begegnungen, sondern in einem strengen Sinn.
Nicht alle Lebern sind gleich, nicht alle Herzen, nicht alle Schilddrüsen, nicht alle Blinddärme. Aber alle von ihnen - nein, der letzte nicht - haben im Organismus eine bestimmte Funktion, und wenn sie die in auffälliger Weise nicht erfüllen, sind sie krank.
Für
unser Gehirn - so, wie es heute ist, unsere stammesgeschichtlich
jüngste Erwer-bung - gilt das nicht. Welche genau die Funktionen sind,
die es zu erfüllen hätte, kann kein Anatom, kein Neurologe, kein
Hirnforscher und kein Irrenarzt uns sagen; denn ab wann ein Organismus
nicht mehr funktionsfähig ist, ist bei uns längst nicht mehr eine
biologische, sondern eine soziokulturelle Frage; und im äußersten Falle
eine technologische. Was bei uns irre, was genial und was stinknor-mal
ist, ist vielfältig historisch bedingt - auch das ist in dieser Abstraktheit eine Tri-vialität,
doch mit den Trivialitäten ist es, wie Friedrich Schlegel einmal
bemerkte, so, dass man gerade die Binsenwahrheiten immer wieder mal
aussprechen muss, damit nicht in Vergessenheit gerät, dass sie doch Wahrheiten sind.
26. 12. 16
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