aus nzz.ch, 24. 9. 2019 zu öffentliche Angelegenheiten
In China feiern die Staatsbetriebe ein Comeback
Die
Europäische Handelskammer in China warnt Peking zwar davor, die
Staatsbetriebe in gleich radikaler und rasanter Weise wie Russland in
den neunziger Jahren zu reformieren und zu privatisieren. Allerdings ist
Untätigkeit auch keine Lösung, denn die staatlichen Kolosse werden
immer mehr zu einer Bürde für Chinas Zukunft.
von Matthias Müller, Peking
China
kommt bei den Reformen der laut der Europäischen Handelskammer in
Peking «aufgeblähten und ineffizienten Staatsbetriebe» nicht voran.
Peking habe zwar in den vergangenen Jahren die Märkte für ausländische
Firmen immer weiter geöffnet und das Umfeld für die Wirtschaft
verbessert, heisst es in dem am Dienstag veröffentlichten «European
Business in China Position Paper 2019/2020». Allerdings würden diese
positiven Entwicklungen durch die Wiederauferstehung der Staatsbetriebe
konterkariert, teilte die Kammer, die mehr als 1600 Mitgliedsunternehmen
hat, mit. Der Präsident der Handelskammer, Jörg Wuttke, sprach von
einem «Comeback staatlicher chinesischer Firmen».
«Stärker, besser und grösser»
Aus
dem chinesischen Führungszirkel ist denn auch eine Kakofonie zu
vernehmen. Partei- und Staatschef Xi Jinping hatte in einem vor drei
Jahren in einem Beitrag für die Parteizeitschrift «Qiushi», was so viel
heisst wie «Suche nach der Wahrheit», veröffentlichten Artikel
geschrieben, die staatlichen Betriebe müssten «stärker, besser und
grösser» werden. Die Priorität bei deren Reform bestehe darin, dass man
an der Führung der Partei festhalten müsse, sonst handle es sich um
keinen Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften, betonte Xi. Im
gleichen Jahr zitierte ihn die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua mit
den Worten: «Die Staatsbetriebe werden zur Partei, sie werden zum
zuverlässigsten Pfeiler des Staates, und sie werden die zentrale Kraft,
um die Entscheide und Anweisungen des Zentralkomitees entschlossen
umzusetzen.» Noch weiter ging der an der Renmin University lehrende
Professor für Marxismus Zhou Xincheng. Er forderte, Privateigentum
abzuschaffen.
In der
Partei sind jedoch auch deutlich vernünftigere Töne zu vernehmen. Das
neue Zauberwort heisst «wettbewerbliche Neutralität». Danach sollen alle
in China agierenden Firmen unabhängig von ihrer Herkunft und
Gesellschaftsform gleich behandelt werden, und Staatsbetriebe dürfen
nicht länger eine Sonderbehandlung erfahren. Der einstige Gouverneur der
People’s Bank of China (PBoC) Zhou Xiaochuan brachte die Wendung vor
rund einem Jahr ins Spiel. Und sein Nachfolger Yi Gang griff die
Formulierung am Rande des G-20-Gipfels in Buenos Aires im vergangenen
Jahr auf. Man müsse erwägen, Staatsbetriebe nach dem Prinzip der
wettbewerblichen Neutralität zu behandeln, sagte er.
Chinas
überdimensionierte Staatsbetriebe, die bis zur Öffnung der Wirtschaft
unter Deng Xiaoping 1978 die einzigen erlaubten Akteure waren, geniessen
diverse Privilegien. So kommen sie im Gegensatz zu kleinen und
mittelständischen Firmen problemlos an günstige Kredite der
Staatsbanken. Für Chinas Finanzsektor sind solche Geschäfte lukrativ,
weil die Ausfallrisiken gering sind. Geraten die staatlichen Betriebe in
finanzielle Probleme, helfen ihnen die Regierungen.
Zudem
erhalten die Staatsbetriebe in deutlich grösserem Umfang als die
privaten Firmen direkte Subventionen durch die Regierungen, erfahren bei
öffentlichen Ausschreibungen eine Vorzugsbehandlung, sitzen bei
politischen Entscheiden oft mit am Verhandlungstisch, und die Behörden
nehmen sich ihrer fürsorglich an. Darüber hinaus haben sie laut der
Europäischen Handelskammer in China keine besondere Eile, die Rechnungen
ihrer oft privaten Zulieferer zu begleichen. Die Staatsbetriebe
gewähren sich selbst dadurch einen billigen Kredit, weil sie in der
Zwischenzeit mit den ausbleibenden Zahlungen andere Aktivitäten
finanzieren können.
Chinas
Staatsbetriebe haben jedoch auch Lasten zu schultern, die weit über das
hinausgehen, was die Privatwirtschaft zu tragen hat. So ist erst Ende
vergangenen Jahres angeordnet worden, dass künftig die Lokalregierungen
die bisher von den staatlichen Firmen betriebenen Schulen und Spitäler
leiten. Zudem gewähren sie ihren Beschäftigten Nebenleistungen wie eine
Lebensversicherung und Zuschüsse für die Mahlzeiten oder zum täglichen
Transport.
Kein Mitleid mit Zombies
Ermutigende
Zeichen, dass es der Regierung ernst ist mit der Abwicklung maroder
staatlicher Betriebe, die auch als Zombies bezeichnet werden, haben im
Juli dieses Jahres dreizehn Ministerien ausgesandt. Sie haben die
Strategie «Plans for Accelerating Improvements of the Market Entity Exit
System» präsentiert. Im wirtschaftlichen Alltag sollen künftig
Zombie-Firmen, welche die Kriterien der Zahlungsunfähigkeit erfüllen,
keine Hilfe mehr von den Regierungen erhalten. Diese Massnahme ist eine
Reaktion darauf, dass sich vor allem die Staatsbetriebe seit der
weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise stark verschuldet haben.
Laut
Wuttke hat sich ihre Verschuldung zwischen 2007 und 2017 vervierfacht.
Auch deshalb sind die Machthaber in Peking derzeit zurückhaltend damit,
auf die sich verlangsamende Wirtschaft mit einer expansiven
Ausgabenpolitik zu reagieren. Für sie haben das Verschuldungsniveau der
Wirtschaft und die daraus resultierenden Risiken für den Finanzsektor
bedrohliche Ausmasse angenommen.
Die
Crux dabei ist jedoch, dass in den vergangenen Monaten im Zuge des
Kampfes gegen die Verschuldung auch diejenigen Kanäle wie das System der
Schattenbanken ausgetrocknet worden sind, die in der Vergangenheit der
zentrale Finanzierungskanal für die Privatwirtschaft gewesen sind. Die
Regierung versucht nun seit Monaten, dieses Manko zu beheben und den
kleinen sowie mittelständischen Firmen, die inzwischen das Rückgrat der
chinesischen Wirtschaft bilden, neue Finanzierungsquellen zu
erschliessen – bisher mit mässigem Erfolg.
Chinas
Wirtschaft würde davon profitieren, wenn die Regierung schrittweise die
staatlichen Betriebe reformierte und in bisher verschlossenen Sektoren
mehr Wettbewerb zuliesse. Öffnet sie diese für private chinesische und
ausländische Firmen, erhöhen sich wegen des gestiegenen Wettbewerbs
Effizienz und Produktivität, was sich schliesslich in höheren
gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten spiegelt. Die Weltbank hat in
einem jüngst publizierten Bericht mit dem Titel «Innovative China. New Drivers of Growth»
auf diesen Umstand hingewiesen. Das bisherige Wachstumsmodell des
asiatischen Landes hat ausgedient. Der Faktor Arbeit wird wegen des
demografischen Wandels knapp und damit teuer, wodurch China schrittweise
den Status als verlängerte Werkbank der Welt für die Produktion
billiger Produkte aufgeben wird. Und auch Investitionen haben nicht mehr
eine solche Bedeutung wie anhin für das Wachstum.
Gemessen
wird dieser Befund mit dem Verhältnis aus Kapital und Output, das in
China zugenommen hat. Das Land benötigt immer mehr Kapitalinvestitionen,
um daraus eine zusätzliche Einheit Wirtschaftsleistung zu erzeugen.
Punkto öffentlicher Kapitalstock pro Arbeitskraft – also etwa die
Infrastruktur für den Transportsektor – hat China bereits das Niveau der
in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) vertretenen Länder erreicht. Beim privaten Kapitalstock je
Arbeitskraft hinkt China jedoch noch hinterher. Deshalb schmerzen die
Finanzierungsschwierigkeiten für die kleinen und mittelständischen
Unternehmen, weil diese mit ihren Investitionen der Wirtschaft neue
Impulse verleihen könnten.
Unternehmer stellen schlechtes Zeugnis aus
Unklar
bleibt, wie ernst es Peking mit der Reform der Staatsbetriebe meint.
Ein Beispiel aus der Schiffbranche verheisst wenig Gutes. So sollen die
China Shipbuilding Industry Company, die seit den Neunzigern die Region
nördlich des Jangtse-Flusses den Markt bewirtschaftet, und die China
State Shipbuilding Company, die für die Regionen südlich des Gewässers
zuständig ist, zu einem Koloss verschmolzen werden. Falls dieser Plan
verwirklicht werden sollte, hätte der neue Staatsbetrieb einen
weltweiten Marktanteil von 20%. Erfahrungen aus anderen Branchen wie der
Stahlindustrie zeigen, dass solche staatlichen Giganten aus China die
Weltmärkte mit ihren Angeboten fluten und daraus immense Verzerrungen
resultieren. Darunter würden all die privaten Anbieter aus dem Rest der
Welt leiden.
Aber
auch kleine chinesische Firmen bekommen die Macht der Staatskonzerne zu
spüren. In der Weltbank-Studie wird eine in fünf Städten unter privaten
Unternehmern durchgeführte Befragung zitiert. 41% verneinten, dass der
Wettbewerb mit den staatlichen Betrieben auf gleicher Grundlage erfolge.
Die Botschaft der Befragung lautet: Die Unternehmer agieren nicht in
einem Umfeld, in dem alle gleich behandelt werden und es einheitliche
Wettbewerbsbedingungen gibt.
Mein Kommentar zum gestrigen Eintrag:
Das sowjetische Modell der bürokratischen Planwirtschaft musste schließlich untergehen, weil es weder ein Maß vorgesetzt fand, noch aus sich selbst heraus eines entwickeln konnte.* Das kapitalistische System hat einen Maßstab, nämlich die Konkurrenz auf dem Markt. Und was misst er? Den Wert
der elementaren Produktivkraft, des Arbeitsvermögens, dargestellt in
seinem Durchschnittspreis. So kann verglichen werden, wieviel in die
Produktion hineingesteckt wurde, und wieviel dabei herauskam.
Der
bürokratische Plan hat keine solche Vergleichsmöglichkeit. Vergeudung
und Unterschleif werden nicht kenntlich. Wird der Plan erfüllt oder
entsteht ein Man-ko?! - Dass schließlich an der Substanz gezehrt wurde,
war zwar augenscheinlich, konnte aber noch immer nicht gemessen,
geschweige denn verhindert werden. Der Zusammenbruch erfolgte
gewissermaßen nach Plan.
Rückblickend erscheint Deng Xiaopings Einführung von Marktmechanismen wie eine Vorbereitung auf den Zusammenbruch des Realexistierenden, den die von Korruption und Mafia zerfressene Sowjetunion nicht aufhalten konnte.
*
Unter Marxisten ist lange gestritten worden, ob die Bezeichnung Staatskapitalismus geeignet wäre zur Charakterisierung
des sowjetischen Gesellschaftstyps. Damit war aber gemeint der Staat
nicht als ein ideeller, sondern als ein realer Gesamtkapitalist, der
nicht nur einziger Produzent, sondern auf einziger industrieller
Abnehmer wäre - und einziger Arbeitgeber, der, da ohne Konkurrenz, den
Arbeitslohn nach Belie-ben festsetzen könnte. So war es grundsätzlich ja
in der Sowjetunion, aber das Wichtigste fehlte: die konkurrenzmäige
Reduktion des Arbeitslohns auf den reellen Wert der Arbeitskraft. Ob
ein Mehrprodukt entstand. das sich ein monopolistischer Unternehmer
kostenlos aneignete, oder ob vielmehr das Arbeitsvermögen aus dem zuvor
akkumulierten Kapital alimentiert wurde, war, siehe oben, nicht zu
unterscheiden.
Der
springende Punkt: Die regulierende Macht des Weltmarkts galt nicht
innerhalb der realexistierenden Grenzen, Exporte - sofern die geringe
Qualität sie überhaupt zuließ - fanden zu Dumpingpreisen statt, weil sie
nicht Gewinn bringen mussten, sondern lediglich Devisen, und sei's mit
Verlust.
*
All das ist anders beim chinesischen Staatskapitalismus.
China braucht Kapital aus dem Ausland, also musste ein Markt entstehen,
in den internationale Unternehmen investieren können. In bloßen Joint ventures müssten sie sich mit dem begnügen, was die Staatswirtschaft ihnen überlassen mag, und wirkliche Unternehmungen kämen nicht zustande; das Ganze bliebe allenfalls Beiwerk. Daher hat China einen eigenen inneren
Markt eröffnet, in den ausländische Investoren ganz groß einstei-gen
können - aber eben auch inländische, mit denen jene - und jene mit
diesen - konkurrien können, so dass die Preise im großem Ganzen einen realen Wert aus-drücken und die Unternehmen wirtschaften können und müssen.
Das
geht nur gut, weil und solange sich die Staatswirtschaft unterm
eisernen Kommando der Staatspartei befindet, die bei obligater
ideologischer Phraseologie in strenger Disziplin pragmatisch Vor- und
Nachteile abwägt im Interesse des Staates.
Die konfuzianische Beamtenschaft hat in China eine jahrtausendelange Traditon, und die "Kommunistische" Partei Chinas ist
eine solche Beamtenschaft. Ohne quasi-sakralen Kaiserhof an der Spitze
hätte das nicht funktionieren können. Es funktionierte, weil die
'orientalische Despotie' die adäquate Regierungsform der asiatischen Wasserbaugesellschaften war.
Das
gegenwärtige China ist keine asiatische Wasserbaugesellschaft, sondern
entwickelt sich rasant zu einem modernen Industriestaat.
Ich meine, das kann nicht lange gut gehen - und befürchte es, um Himmels Willen!
Nachtrag
Anders
als von Marx erwartet, war der Kapiutalismus nicht in dem industriell am
weitesten entwickelten Land gestürzt worden, sondern im rückständigen
agrari-schen Russland. Wenn der Kommunismus eine höhere Form der
Arbeitsteilung sein soll - nämlich eine, wo die Produkte nicht nach
ihren Arbeitswerten, sondern nach den Bedürfnissen der Menschen auf die
Gesellschaft verteilt werden -, muss er aber auf einem hohen Produktivitätsniveau aufbauen; nämlich so, dass nicht der Mangel verteilt und um das Notwendige gestritten werden muss, sondern ein Überfluss herrscht, der ein leidenschaftsloses Abwägen und Aufteilen erlaubt. Die technischen Schwierigkeiten mögen enorm sein, aber ein Kampf mit Gewinnern und Verlierern wird nicht nötig werden.
Nun
ist Überfluss keine Naturgröße, sondern das, was die Menschen dafür
halten. Es ist eine dynamische Größe, die jeweils politisch ausgehandelt
werden müsste. Mit andern Worten, nicht ökonomische Gesetze bestimmen, sondern politischer Wille. Doch was die Menschen für
Notwendiges und für Überfluss halten, ist nicht das, was eine Behörde
dafür erklärt, die selber... im Überfluss lebt, und sei's auch nur ein
relativer. Will sagen, eine Erörterung der rationellsten
Verteilungsweise kann überhaupt erst beginnen, wenn geregelt ist, wer bestimmt.
JE, 26. 9. 19
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