aus welt.de, 25. 2. 2025 zu öffentliche Angelegenheiten
Die Debatte um eine gemeinsame nukleare Abschreckung der Europäer nimmt an Fahrt auf. Das liegt auch an Aussagen des künftigen Bundeskanzlers. Aber die Atommächte Frankreich und Großbritannien positionieren sich in dieser Frage bereits unterschiedlich.
Die eigentliche Zeitenwende beginnt jetzt. Der voraussichtlich neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat kurz nach seinem Wahlsieg ein klares Bekenntnis zu Europa abgeliefert und deutlich gemacht, dass Deutschland nun Schritt für Schritt die Unabhängigkeit von den USA erreichen müsse.
Der Trump-Regierung sei das Schicksal Europas
„weitgehend gleichgültig“, kritisierte Merz noch am Wahlabend. Für ihn
habe es nun absolute Priorität, „Europa Schritt für Schritt so zu
stärken, damit wir Unabhängigkeit erreichen von den USA“.
Auch
wenn er tags darauf seine Aussage abgeschwächt hat, scheint der
Christdemokrat die ständigen Warnungen des amerikanischen Präsidenten
Donald Trump ernster zu nehmen als Noch-Amtsinhaber Olaf Scholz (SPD).
Trump hatte mehrfach klargemacht, dass sich die USA für Europas
Sicherheit nicht mehr zuständig fühlten. Damit ist die Debatte um eine
gemeinsame nukleare Abschreckung der Europäer wieder auf dem Tisch.
In Frankreich reibt man sich angesichts der deutschen Wende die Augen – aber mit Enthusiasmus. Von einer „regelrechten Revolution“ spricht die Publizistin Marion von Renterghem. Die Worte, die Merz benutzt habe, seien vorher „unvorstellbar“ gewesen.
Was Merz im Hinblick auf Unabhängigkeit gesagt hat, hätte genauso Macron formulieren können, bemerkt auch der Politikwissenschaftler Joseph de Weck. Die Attacke von J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz habe die Deutschen „in ihrem Stolz“ getroffen und wie ein Weckruf funktioniert, ergänzt der Experte der Pariser Denkfabrik Institut Montaigne. „Vielleicht ist Friedrich Merz der gaullistischste Kanzler, den Deutschland je hatte“, so de Weck.
Merz als deutscher Wiedergänger Charles de Gaulles? Frankreichs Nachkriegspräsident steht bekanntlich für das Souveränitätsstreben der Nachbarn, die ihm ihre „Force de frappe“ zu verdanken haben, wie die Atomstreitmacht in Frankreich genannt wird. Seit dem Brexit ist Frankreich die einzige Atommacht der Europäischen Union.
Aber Paris ist im Gegensatz zu den Briten nicht Teil der Nuklearen Planungsgruppe der Nato. Nach der Rückkehr in die integrierte Kommandostruktur 2009 wollte Frankreich nicht in dieses Gremium zurückkehren, um die Kontrolle über die eigenen Atomstreitkräfte vollständig zu behalten.
„Niemand will die Entscheidung teilen“
Gemeinsam könnte beiden Atommächten in Zukunft eine wichtigere Rolle für die Sicherheit Europas zukommen. Unklar ist, welche Form eine europäische Abschreckung annehmen könnte. Darüber müsste gesprochen werden, sicher nicht auf EU-Ebene, auch nicht innerhalb der Nato, sondern in einer Art „ad hoc Format“, wie es die Sicherheitsexpertin Emmanuelle Maitre von der Fondation pour la recherche Stratégique fordert.
Eine gemeinsame Entscheidungsstruktur schließen alle französischen Experten aus. „Niemand will die Entscheidung teilen. Bestenfalls kann man sich unter bestimmten Umständen ein Mitspracherecht vorstellen“, wie es Sicherheitsexperte Bruno Tertrais in einem Gespräch mit WELT formuliert hat.
Einzeln können weder Franzosen noch Briten mit dem russischen Arsenal mithalten. Die Franzosen verfügen über rund 300 Atomsprengköpfe, von denen die meisten für ballistische Raketen vorgesehen sind, die von U-Booten eingesetzt werden. Rafale-Kampfflugzeuge können wiederum mit atomaren Marschflugkörpern bestückt werden.
Die Briten schneiden im Vergleich nicht besser ab. Das Nuklearprogramm „Trident“ umfasst vier U-Boote der Vanguard-Klasse, die mit ballistischen Raketen des Typs Trident II D-5 ausgerüstet sind. Experten gehen von 250 Nuklearsprengköpfen aus. Der deutsche Sicherheitsexperte Maximilian Terhalle plädiert deshalb schon länger dafür, den Amerikanern mindestens 1000 Nuklearsprengköpfe abzukaufen und quer über Europa zu verteilen.
Premierminister Keir Starmer positioniert sich – im Gegensatz zum linken Flügel seiner Labourpartei – als entschiedener Befürworter des britischen Nukleararsenals. Auf die Frage, ob Großbritannien im Falle eines amerikanischen Rückzugs den nuklearen Schutz Europas übernehmen würde, bleibt er bislang eine klare Antwort schuldig.
Doch seiner Forderung, Europa müsse mehr für seine eigene Verteidigung tun, lässt er Taten folgen, die für sich sprechen. So schloss die britische Regierung kürzlich einen 9-Milliarden-Pfund-Vertrag mit dem Unternehmen Rolls-Royce über die Entwicklung, Produktion und Wartung von Atomreaktoren für die U-Boot-Flotte der Royal Navy.
Außerdem sollen die ballistischen Raketen der Vanguard-Klasse ab 2030 durch leistungsfähigere U-Boote der Dreadnought-Klasse von BAE Systems ersetzt werden. Darüber hinaus hat das Verteidigungsministerium den „Nuclear Deterrence Fund“ mit einem Volumen von 3,3 Millionen Pfund eingerichtet. Der Fonds soll die Forschung und Expertise auf dem Gebiet der nuklearen Abschreckung stärken.
Desinteresse in Deutschland
Im Gegensatz zu seinem britischen Amtskollegen ist es der französische Präsident Emmanuel Macron, der in den vergangenen Jahren mehrfach klargemacht hat, dass sich die Europäer besser auf ihren französischen Nachbarn verlassen sollten als auf den alten amerikanischen Freund. „Um es deutlich zu sagen: Die vitalen Interessen Frankreichs haben fortan eine europäische Dimension“, so Macron bei seiner Grundsatzrede zur nuklearen Abschreckung im Frühjahr 2020. Er machte bei dieser Gelegenheit das Angebot eines „strategischen Dialogs“, der mit gemeinsamen Übungen beginnen könne.
Der Franzose wiederholte seinen Vorschlag auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Jahren, wobei Bundeskanzler Olaf Scholz den Raum bereits demonstrativ verlassen hatte. Erneut kam Macron im Januar 2024 in Stockholm darauf zurück und bei seiner zweiten Sorbonne-Rede wenige Wochen später. Doch Berlin gab sich desinteressiert.
Es war nicht das erste Mal, dass Paris auf die Deutschen zuging. Schon 2007 hatte der damalige Präsident Nicolas Sarkozy seiner Amtskollegin Angela Merkel (CDU) ein Angebot gemacht. Deshalb ist Macrons Vorschlag kein Bruch mit der französischen Nukleardoktrin, eher ihre Bestätigung. Das Schutzversprechen von Paris und London gilt seit der Erklärung von Ottawa. Experten sind sich allerdings einig, dass es an der Zeit ist, es zu stärken.
Dass Bewegung in die Debatte gekommen ist, deuten auch Recherchen der britischen Zeitung „Telegraph“ an. Demnach ist Frankreich bereit, seine nukleare Abschreckung einzusetzen, um Europa zu schützen. Kampfflugzeuge mit Atomwaffen könnten dafür in Deutschland stationiert werden. Die Zeitung beruft sich auf einen französischen Beamten, der erklärt habe, dass die Entsendung von Kampfflugzeugen eine Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin senden würde. „Es sollte nicht schwierig sein, ein paar französische Nuklear-Kampfjets in Deutschland zu stationieren, und dies wäre eine starke Botschaft“, wird die anonyme Quelle zitiert. Der Élysée-Palast bestätigte den Bericht bisher nicht.
Dem Überfall der Ukraine kommt in der Diskussion über eine Neuordnung der Abschreckung die Rolle eines klaren „strategischen Bruches“ zu, wie es der Sicherheitsexperte Camille Grand formuliert, weil sich eine der zwei großen Atommächte wie ein „Schurkenstaat“ verhalten habe. Auch wenn sich die Grundlagen der nuklearen Abschreckung nicht grundsätzlich verändert hätten, so der ehemalige beigeordnete Nato-Generalsekretär für Investitionen und Verteidigung, der heute als Berater des European Council on Foreign Relations tätig ist.
Zugleich sind in der Welt, in die wir eingetreten sind, Abrüstungsverträge und Transparenzmaßnahmen hinfällig. Großmächte modernisieren und rüsten ihre Arsenale vermehrt auf. Und auf die USA, die ihren Verbündeten bisher Sicherheit garantierten, kann sich Europa nicht mehr verlassen.
Nota. - Der Wieheißterdochgleich ist sprunghaft, das wussten wir, aber haben uns nicht drauf eingestellt. Dass er noch sprunghafter ist, als wir dachten, zwingt uns, selber etwas schneller zu reagieren. Aber unbedacht alles auf den Kopf stellen - da-zu sollten wir uns nicht verleiten lassen. Sicher, viel von Dingsbums' Drohungen sind Versuchsballons, aber er ist daheim zur Zeit ohne checks and balances. Das sind europäische Politiker gottlob nicht, die müssen sich immer noch gut überlegen, was sie sagen. Aber vor allem dürfen sie in diesen Tagen keinen Zweifel daran las-sen, dass sie tun werden, was sie in Aussicht stellen. Und sei's nur mit Blick auf den Dingsbums.
JE
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