
aus derStandard.at, 19. 2. 2025 Wir wissen nicht und können nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, so Thomas Nagel zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
In welcher Beziehung Bewusstsein zum Körper oder zur Materie überhaupt steht, ist eine der großen unbeantworteten Fragen der Philosophie. Bewusstsein – in der modernen Philosophie des Geistes weit verstanden als die Fähigkeit zu subjektiver Erfahrung – entzieht sich einer objektiven Erklärung, wie etwa der amerikanische Philosoph Thomas Nagel in seinem bekannten Aufsatz "Wie ist es, eine Fleder-maus zu sein?" (1974) argumentiert hat. Selbst wenn wir genau wüssten, wie ein Fledermausorganismus physikalisch funktioniert, können wir nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Nagel schließt daraus, dass der Physikalismus – die These, dass alles, was existiert, physischer Natur ist – falsch ist. Das Bewusstsein als ein mentales Phänomen ist ein irreduzibler Teil der Wirklichkeit.
Das "harte Problem" des Bewusstseins
Das Bewusstsein ist nicht auf physikalische Zustände reduzierbar, und doch scheint es durch physikalische Zustände erzeugt und aufrechterhalten zu werden. Nach Ansicht des australischen Philosophen David Chalmers ergibt sich daraus ein ernstes Problem – das sogenannte "harte Problem" des Bewusstseins: "Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Erfahrung auf einer physischen Grundlage entsteht, aber wir haben keine gute Erklärung dafür, warum und wie sie entsteht. Warum sollten physische Prozesse überhaupt ein reiches Innenleben hervorbringen? Es scheint objektiv unvernünftig zu sein, dass dies so sein sollte, und doch ist es so."-
Chalmers zufolge können wir uns leicht vorstellen, dass dieselben funktionalen physikalischen Prozesse in Organismen ablaufen, ohne dass sie von subjektiver Erfahrung begleitet werden. Organismen könnten Zombies sein und trotzdem funktionieren.
Anthropopsychismus
Letzteres war ungefähr die Auffassung von René Descartes und seinem Schüler Nicolas Malebranche. Gemäß ihrer substanzdualistischen Theorie, sind Organismen bloße Körper, deren Verhalten vollständig mechanistisch erklärt werden kann. Zumindest gilt dies für nichtmenschliche Organismen – etwa für Tiere wie meinen Hund Nildo. Während Descartes Tieren insbesondere das Denkvermögen abspricht, was mit dem Vorhandensein primitiver Empfindungen, also mit Bewusstsein im modernen weiten Sinn subjektiver Erfahrung, vereinbar wäre, geht Malebranche einen Schritt weiter. Er behauptet, dass Tiere nicht nur nicht denken, sondern auch nichts empfinden. Jault Nildo, weil ich ihm versehentlich auf die Pfote trete, so ist dies ein bewusstloser Reflex – vergleichbar dem Quietschen einer Tür. Bewusstsein im eigentlichen Sinn – so sind Descartes und Malebranche sich einig – liegt (außer bei Gott) nur beim Menschen vor. Der Mensch ist ein denkendes Ding (res cogitans), das nur unwesentlicherweise mit einem Körper (res extensa) verknüpft ist.

Der Anthropopsychismus – also die Annahme, nur Menschen besäßen Bewusstsein – ist so unplausibel wie der Substanzdualismus, auf den er sich stützt. Jeder, der mit Tieren zu tun hat, weiß um die Verwandtschaft von Tier und Mensch. Warum sollte Nildo jaulen, nachdem ich versehentlich auf seine Pfote getreten bin, wenn nicht deshalb, weil er Schmerz verspürt? Welche bessere Erklärung könnte es dafür geben, dass Nildo bei meiner Heimkehr schwanzwedelnd auf mich zuläuft, als die, dass er sich über meine Anwesenheit freut? Anthropopsychismus ist anthropozentristischer Speziezismus: die verfehlte Idee, der Mensch sei nicht nur grundsätzlich verschieden von nichtmenschlichen Lebewesen, sondern diesen auch überlegen und daher "das Maß aller Dinge".
Panpsychismus
Der substanzdualistische Anthropopsychismus, so unplausibel er ist, vermeidet das "harte Problem" des Bewusstseins, indem er das Bewusstsein im Geist als einem von der Materie unabhängigen Prinzip verankert. Eine andere Vermeidungsstrategie ist der sogenannte Panpsychismus: die These, dass alles Stoffliche Geist ist. In diesem Sinne argumentierte Baruch Spinoza, dass Geist und Materie nur zwei Aspekte ein und derselben Substanz seien, die er mit Gott identifizierte. Gottfried Wilhelm Leibniz behauptete, die Wirklichkeit bestehe aus einer unendlichen Anzahl einfacher beseelter materieller Substanzen (Monaden), deren eine jede vollständige Informationen über das gesamte Universum enthalte. Eine dynamischere Version dieses Ansatzes wurde von Alfred North Whitehead vorgeschlagen. Auch David Chalmers ist Panpsychist. Denn wenn alles – einschließlich mikroskopischer Teilchen – von Anfang an bewusst ist, dann gibt es kein Problem damit, wie Bewusstsein aus Materie, also aus physikalischen Zuständen und Prozessen, entsteht.

Der Panpsychismus erweckt den verdächtigen Eindruck einer "Ad-hoc"-Lösung für das "harte Problem" des Bewusstseins und sieht sich mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert, etwa dem Kombinationsproblem. Wie kann aus der Kombination von Mikrobewusstsein ein einheitliches Makrobewusstsein hervorgehen? Dazu kommt die fundamentale Fragwürdigkeit, bloßer Materie ein Bewusstsein zuzuschreiben. Wie Voltaire kritisch zu Leibniz' Monadologie bemerkte: "Kannst du wirklich glauben, dass ein Tropfen Urin eine Unendlichkeit von Monaden ist, und dass jede von ihnen eine, wenn auch obskure, Vorstellung vom Universum als Ganzem hat?"
Animaliapsychismus und Neuropsychismus
Anthropopsychismus und Panpsychismus sind extreme Positionen innerhalb eines Spektrums möglicher Antworten auf die Frage, wer oder was innerhalb der materiellen Welt Bewusstsein hat. Eine gemäßigte Position zwischen den beiden Extremen wurde von Aristoteles vertreten. Dieser zufolge besitzen sowohl Tiere als auch Menschen Bewusstein, insofern sie beide der Wahrnehmung fähig sind (wobei lediglich der Mensch auch denken kann). Pflanzen, obschon lebendig, haben kein Bewusstsein, da ihnen die Wahrnehmung abgeht.

Eine der aristotelischen verwandte Theorie ist in jüngerer Zeit von den Biologinnen Simona Ginsburg und Eva Jablonka in ihrem Buch The Evolution of the Sensitive Soul (2019) entwickelt worden. Demnach bestand der erste Akt der Evolution darin, überhaupt erst einmal Leben hervorzubringen: nichtbewusste Lebewesen. Erst in einem zweiten Schritt entwickelte sich das bewusste tierische Leben, gefolgt vom evolutionären Übergang zur reflektierenden Lebensform des Menschen. Im Gegensatz zu Aristoteles sind Ginsburg und Jablonka jedoch nicht der Meinung, dass alle Tiere Bewusstsein haben, sondern nur diejenigen, die über ein Nervensystem verfügen.
Aristoteles' Animaliapsychismus und Ginsburg und Jablonkas Neuropsychismus werfen die Frage auf, warum sich das Bewusstsein überhaupt entwickelt haben soll. Wenn es zum Leben offenbar nicht notwendigerweise eines Bewusstseins bedarf, warum ist das Leben dann nicht unbewusst geblieben? Diese Schwierigkeit sieht aus wie eine Spielart von Chalmers' "hartem Problem" des Bewusstseins.
Biopsychismus
Es lohnt sich daher, der Hypothese nachzugehen, dass Bewusstein nicht nur bestimmten Arten von Lebewesen zukommt, sondern dass alles Lebendige überhaupt in irgendeinem, wenn auch minimalen Sinne bewusstseinsfähig ist.
Metaphysisch betrachtet sind Lebewesen, so meine These, organisierte biologische Prozesse, die sich durch Interaktion mit umgebenden Prozessen selbst stabilisieren. Die grundlegende Vollzugsweise dieser konstitutiven interaktiven Selbststabilisierung ist der Stoffwechsel, der Austausch von Materie und Energie mit der Umwelt. Anders als unbelebte Dinge müssen Lebewesen sich anstrengen, um ihre Existenz aufrechtzuerhalten, und zwar genau deshalb, weil sie anders als unbelebte Dinge, deren Identität mit der ihres Stoffes zusammenfällt, ihren Stoff wechseln müssen, um zu überleben. (Organische Identität ist eine dynamische Identität der Form, nicht des Stoffs; eine Identität der Organisation.)
Der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas hat in seinem Buch Organismus und Freiheit (1973) argumentiert, dass genau in dieser ebenso prekären wie paradoxen Grundsituation des Lebens – dem Interagierenmüssen mit umgebenden Prozessen, um nicht in diesen aufzugehen – die Keimzelle subjektiver Erfahrung liegt, indem hier eine ursprüngliche Differenz von Selbst und Welt aufbricht. Im und durch den Stoffwechsel wird der Organismus seiner selbst gewahr als von der Welt abgetrennt und zugleich auf sie verwiesen.

Der Organismus braucht die Welt, denn aus ihr stammt der Stoff, den der Organismus sich temporär einzuverleiben strebt, um ihn in lebensnotwendige Energie umzuwandeln. Kommt der Stoff nicht von selbst zum Organismus, muss der Organismus zum Stoff kommen – durch geeignete Körperbewegungen. Organismen sind Akteure.
Keine Handlungen ohne Bewusstsein
Sind wir bereit, Organismen ein Handlungsvermögen zuzuerkennen – was in der Philosophie der Biologie zunehmend der Fall ist –, so ist es unmöglich, ihnen ein Bewusstsein abzuerkennen. Denn um handeln zu können, muss man wissen, was um einen herum vor sich geht; man muss empfinden und wahrnehmen können. Es muss sich also irgendwie anfühlen, zu sein, was man ist. Andernfalls gäbe es auch überhaupt keine Bedürfnisse und folglich keinen Antrieb zum Handeln. Alle Begegnungen des Organismus mit Dingen in der Welt sind daher, wie Jonas sagt, "mit der Qualität gefühlter Selbstheit durchtränkt, wie leise ihre Stimme auch sei. Sie muss da sein, damit Befriedigung oder Vereitelung einen Unterschied machen". Diese metaphysische Hypothese scheint durch neueste Forschungen zur basalen Kognition (basal cognition) in primitiven Organismen wie Pflanzen und Mikroben bestätigt zu werden.
Eine metaphysische Reflexion über das Wesen des Lebens entlarvt somit das vermeintlich "harte" Problem des Bewusstseins als ein Scheinproblem. Die Frage, warum bestimmte physische Prozesse Bewusstsein hervorbringen, stellt sich nur unter der Voraussetzung, dass Organismen genauso gut auch ohne Bewusstsein funktionieren könnten. Doch diese Voraussetzung ist falsch. Das Bewusstsein ist kein optionales "Add-on", sondern ein integraler und notwendiger Bestandteil des Lebens.
Nota. - Ach, Sie haben ja Recht: Das Thema habe ich doch schon reichlich durch-gehechelt! Was ließe sich den Neues dazu sagen? Dies: Die Autorin tut uns den Gefallen, vorab zu zeigen, wie man das Thema grundfalsch angehen kann.
Nämlich dogmatisch. Sie tut aber so, als ginge sie ganz unvoreingenommen und vorurteilslos an die Sache heran. Nämlich phänomenologisch, mit einer Frage: "Haben Fledermäuse Bewusstsein?"
Das ist aber nur scheinbar vorurteilslos. Vorab setzt es voraus, dass Bewusstsein eine Sache sei und dass man nach ihr suchen und sie finden kann. Und zweitens, dass sich Fledermäuse in dieser Hinsicht von andern Lebewesen unterscheiden lassen.
Das sind aber zwei noch gar nicht begründete Voraussetzungen. Phänomenal ge-geben ist nur dies: Sie und ich, wir bewältigen unsern Alltag nicht zuletzt, indem wir ununterbrochen Entscheidungen treffen. Die Fähigkeit dazu nennen wir - und das ist schon kurzgefasst! - Bewusstsein. Wir fangen also an mit unmittelbaren Anschau-ungen. Wie unmittelbar sie wirklich sind, wird man später, nach reiflichen hin-und-her-Überlegungen, noch einmal gründlich erörtern müssen; aber hier haben wir einen direkten Zugang gefunden, bei dem uns nichts Sachfremdes im Wege steht.
So verfährt Frau Meinke aber nicht. Sie führt uns vorab eine ganze Reihe - dass sie erschöpfend wäre, behauptet sie nicht - von Lehrmeinungen vor, in denen das Problem mehr oder minder gelöst erscheint, und sucht sich ihren Platz zwischen ihnen. Dieses Verfahren nenne ich dogmatisch. Das ist das Gegenteil von kritisch.
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Wir könnten nicht handeln, wenn wir kein Bewustsein hätten? Das ist nicht falsch - aber falsch ausgedrückt: Weil wir - im Unterschied zu den Tieren, denen ihr Verhal-tensrepertoire genetisch vorgegeben ist - unser Leben führen müssen, müssen wir handeln, und weil wir handeln müssen, müssen wir entscheiden, und um zu ent-scheiden, müssen wir urteilen können.
Und nach all diesen differentiellen Begriffsbestimmungen sind immer noch nicht beim Bewusstsein, sondern erst bei der Urteilskraft angelangt. Das ist aber die Grundlage allen bewussten Seins. Zugleich ist es die Bedingung vernüftigen Han-delns: Zwecke wählen und die ihnen erforderlichen Mittel bestimmen - denn anders hätte Handeln keinen Sinn.
Bewusstsein ist nur denkbar als Vernunft. Es gibt keine Theorie des Bewusstseins ohne Vernunftkritik.
JE
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