aus derStandard.at, 5.2.2025 zu Männlich
Das Vorurteil, Frauen seien deutlich redseliger als Männer, macht immer noch hartnäckig die Runde. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die US-amerikanische Neurowissenschafterin Louann Brizendine, die in ihrem Buch The Female Brain behauptet hat, Frauen würden täglich im Schnitt 20.000 Worte von sich geben, während Männer mit 7000 auskommen. Seither haben Medien diese Zahlen bereitwillig wiedergekäut und das altbekannte Klischee damit weiter zementiert.
2007 ist ein Team um Matthias Mehl von der Universität von Arizona angetreten, der Legende von der Schwatzhaftigkeit der Frauen mit wissenschaftlichen Fakten zu begegnen. Tatsächlich kam in der im Fachjournal Science veröffentlichten Studie heraus, dass bei der Gesprächigkeit zwischen den Geschlechtern keine statistisch relevanten Unterschiede festzustellen seien – zumindest unter Studentinnen und Studenten, aus denen die Testpersonen rekrutiert wurden.
Durchschnittlich 16.000 Worte
Individuell waren die Differenzen dagegen enorm: Der schweigsamste Mann kam auf gerade einmal 500 Worte am Tag, der plapperhafteste Mann äußerte täglich 47.000 Worte (doch es geht noch deutlich redseliger, wie wir später noch sehen werden). "Männer und Frauen sind etwa gleich gesprächig und geben pro Tag durchschnittlich 16.000 Worte von sich", schrieben die Forscher damals in ihrer Arbeit.
Ist damit die Debatte über die angebliche größere Geschwätzigkeit von Frauen beendet? Keineswegs, denn eine aktuelle Folgestudie wartet mit neuen Daten auf, und zeichnet ein etwas differenzierteres Bild: In bestimmten Lebensabschnitten erwiesen sich Frauen im Durchschnitt doch als etwas kommunikativer als die Männer – es kommt also offenbar auf das Alter an.
"Es gibt eine starke kulturübergreifende Auffassung, dass Frauen viel mehr reden als Männer", sagte Colin Tidwell von der University of Arizona, Koautor der nun im Journal of Personality and Social Psychology erschienenen Studie. "Wir wollten sehen, ob diese Annahme empirisch bestätigt werden kann oder nicht."
Altersunterschiede
Das Ergebnis in aller Kürze: Frauen im Alter zwischen 25 und 65 Jahren, also in den Lebensphasen des frühen und mittleren Erwachsenenalters, sprachen durchschnittlich etwa 3000 Wörter mehr pro Tag als ihre männlichen Pendants. In den anderen Altersgruppen der Studie – Jugendliche (10 bis 17 Jahre), junge Erwachsene (18 bis 24 Jahre) und ältere Erwachsene (ab 65 Jahren) – traten keine signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede in Erscheinung.
Außerdem konnten die Forschenden eine deutliche Tendenz feststellen: Menschen werden insgesamt immer weniger gesprächig – ein Ergebnis, das nach Ansicht der Wissenschafter mit der zunehmenden Nutzung digitaler Kommunikation zusammenhängen könnte.
Bei der Science-Studie aus dem Jahr 2007 haben Matthias Mehl und sein Team Daten von rund 500 männlichen und weiblichen Studienteilnehmern analysiert, die ein tragbares Aufnahmegerät namens EAR (Electronically Activated Recorder) trugen. Das Gerät schaltete sich in zufälligen Abständen ein, um Ausschnitte aus täglichen Gesprächen aufzuzeichnen. Auf Basis dieser Audiodateien kamen die Forschenden auf ihr Ergebnis von durchschnittlich 16.000 Wörtern pro Tag und Person, Frauen und Männer schnitten dabei ziemlich gleich ab.
Kritik an der ersten Studie
Nach der Veröffentlichung der Resultate wurde allerdings Kritik an manchen Rahmenbedingungen der Studie geäußert: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren fast ausschließlich im Studentenalter, und die meisten lebten in derselben Stadt, nämlich Austin, Texas. Die aktuelle Untersuchung sollte daher auf einer solideren Datenbasis fußen.
Mehl und sein Team bedienten sich dieses Mal also einer größeren und vielfältigeren Stichprobe und analysierten 630.000 EAR-Aufnahmen aus 22 separaten Studien, die in vier Ländern durchgeführt wurden. Die 2197 teilnehmenden Personen waren zwischen zehn und 94 Jahre alt.
Und tatsächlich zeigte sich hinsichtlich geschlechtsspezifischer Unterschiede nun ein etwas anderes Bild – allerdings nur bei den 25- bis 64-Jährigen, einer Altersgruppe, die in der ursprünglichen Studie fehlte. Während Frauen im frühen bis mittleren Erwachsenendasein durchschnittlich 21.845 Wörter pro Tag von sich gaben, kamen Männer auf 18.570.
Mehr mit den Kindern reden
Das Forschungsteam kann nicht genau sagen, wie dieser Unterschied zustande kommt, hat aber eine Vermutung: Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass sich die 40-jährige Phase zwischen 25 und 64 oft mit den Jahren der Kindererziehung deckt. In dieser Zeit müssten Frauen häufig die Rolle der primären Bezugsperson übernehmen, spekulieren die Psychologinnen und Psychologen. Dabei würden Frauen mit den Kindern wohl mehr Worte wechseln als die Väter.
"Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Kindererziehung und Familienfürsorge sind eine mögliche Erklärung dieses Unterschieds", sagte Mehl. "Wenn biologische Faktoren wie Hormone die Hauptursache wären, hätte es auch bei den jungen Erwachsenen einen beträchtlichen geschlechtsspezifischen Unterschied geben müssen. Wenn gesellschaftliche Generationswechsel die treibende Kraft wären, hätte es bei den älteren Teilnehmern einen allmählich zunehmenden geschlechtsspezifischen Unterschied geben müssen. Beides war jedoch nicht der Fall."

Über 120.000 Worte
Auch wenn Frauen in manchen Lebensphasen gesprächiger als Männer erscheinen, sollte man eines nicht vergessen, betont Mehl: Innerhalb der Geschlechter seien die Unterschiede zwischen einzelnen Personen teilweise gewaltig. Die am wenigsten kommunikative Person der Studie – ein Mann – sprach im Schnitt 100 Worte pro Tag. Der geschwätzigste Teilnehmer – ebenfalls ein Mann – schaffte täglich mehr als 120.000 Worte. "Wir Menschen unterscheiden uns individuell viel stärker voneinander als die beiden Geschlechter systematisch", so Mehl.
Bei der Betrachtung der gesamten Bandbreite der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer konnte das Team außerdem einen allmählichen Rückgang bei der allgemeinen Gesprächigkeit beobachten. Mit anderen Worten: Heute wird im Schnitt deutlich weniger gesprochen als noch vor einigen Jahren. Die für die Studie analysierten Daten wurden zwischen 2005 und 2018 erhoben. In diesem Zeitraum sank die durchschnittliche Anzahl der pro Tag gesprochenen Worte von etwa 16.000 auf etwa 13.000. "Offenbar gehen durchschnittlich 300 gesprochene Wörter pro Jahr verloren", sagte Valeria Pfeifer, Co-Hauptautor der Studie.
Wir werden immer schweigsamer
Es sind weitere Untersuchungen erforderlich, um die Gründe für diesen Rückgang zu ermitteln, aber die enorme Zunahme bei der Verwendung digitaler Kommunikationsmittel, darunter Textnachrichten und soziale Medien, ist wahrscheinlich dafür mitverantwortlich, sagte Mehl. Dass diese Entwicklung dem psychischen Wohlbefinden dienlich ist, bezweifelt der Forscher.
"Mich fasziniert der Gedanke, dass wir zwar wissen, wie viel Schlaf
wir brauchen und wie viel Bewegung gut für uns ist, aber wir keine
Ahnung haben, wie viel wir eigentlich unter Leute gehen sollten, um uns
auszutauschen", sagte Mehl. "Dabei gibt es sehr starke Belege dafür,
dass Geselligkeit mit guter Gesundheit in Zusammenhang steht, mindestens
im selben Ausmaß wie körperliche Aktivität und Schlaf."
Nota. - Wer eher schwatzhaft oder eher vielsagend wirkt, entscheidet weniger die Menge der verlauteten Wörter, als vielmehr deren spezifisches Gewicht. Es macht einen Unterschied, ob wer eine Stunde lang über Quantenphysik spricht oder über Beziehungsangelegenheiten. Ist das noch niemand*em aufgefallen oder wurde es bloß untern Teppich gekehrt?
JE
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