Montag, 10. Februar 2025

Was Künstlern und Wissenschaftlern gemeinsam ist.

  Amphitheater Bosra;           zu Geschmackssachen zu Ebmeiers Realien

Ob man für die Wissenschaft wie für die Kunst ein besonderes eingeborenes Talent braucht, ist höchst zweifelhaft. Zum Ethos der Wissenschaft gehört die Annahme, dass man mit Gewissenhaftigkeit beim Sammeln des Materials und bei Genauigkeit in der Befolgung der geltenden Regeln und natürlich mit etwas Fleiß schon zu Er-gebnissen kommen werde, die immerhin der Überprüfung durch die Kollegen standhalten. 

Ob Genie ausreicht, um diese Bedingungen im Einzelfall auch mal zu übersprin-gen? Eine wahre Einsicht kann einem im Traum kommen, ganz ohne Begabung. Dass sie wahr ist, kann der Traum nicht bezeugen: Das muss die Wissenschaft schon erst noch prüfen.

Ebenso wenig wie ein Kunstwerk lässt sich ein Stück Wissenschaft individuell be-stimmen. Kunst und Wissenschaft sind en gros regulative Instanzen im Lebenszu-sammenhang einer Kultur, en détail sind sie die spezifische Tätigkeit eines Berufs-standes. Der steht in Konkurrenz und Austausch miteinander; rechtfertigen und bewähren muss er sich auf längere Sicht vor einer Öffentlichkeit, die ihm einen Markt bietet. Wissenschaftler oder Künstler ist keiner für sich allein, sondern wenn, dann für den Rest der Welt.

Das ist es zugleich, was gegebenenfalls ihr Selbstvertrauen rechtfertigt: Als Ange-hörige eines streitbaren Standes weiß sich ein jeder unter ständiger Beobachtung durch seinesgleichen, und wo er sich vergreift, werden die andern schon laut schrei-en, bevor er es selber merkt. Wissenschaftlich  werden sie durch Teilhabe an einer unablässig prozessierenden Kritik. 

Und nicht durch eine zünftige Ausbildung noch durch genaues Befolgen der zünf-tigen Regeln. Die wird man wohl brauchen, um der Kritik der Andern standzuhal-ten. Doch nicht auf sie kommt es an, sondern eben - auf die prozessierende Kritik.

mein Kommentar zu Goethes Farbenlehre, 7. 9. 18

 

 

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