Donnerstag, 27. Februar 2025

Folgt die natürliche Auslese einem natürlichen Zweck?

Fluoreszierende Bakterien
aus scinexx.de, 27. 2. 2025           Fluoreszierende Bakterien der Art Pseudomonas fluorescens können durch über Genera-tionen hinweg wirkende Selektion die Fähigkeit zur schnelleren Evolution entwickeln.                    zu Jochen Ebmeiers Realien

Ist Evolution doch nicht „blind“?
Selektion fördert die Fähigkeit zu zukünftigen Anpassungen
 
Kein Zufall: Die Evolution könnte weniger zufällig und „blind“ ablaufen als lange gedacht. Denn ein Experiment enthüllt, dass die natürliche Selektion nicht nur die jeweils bestangepassten Organismen begünstigt – sie fördert auch die Fähigkeit zu schnelleren zukünftigen Anpassungen durch „Hypermutati-on“. Dies widerspricht der traditionellen Vorstellung einer zufälligen Entwick-lung und deutet auf eine in gewisser Weise „gezielte“ Evolution hin, wie die Forschenden in „Science“ berichten.

Schon Charles Darwin erkannte die Selektion als treibende Kraft der Evolution. Demnach begünstigt die natürliche Auslese die Organismen, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind. Sie produzieren mehr Nachkommen und geben damit ihre vorteilhaften Anpassungen an die nächste Generation weiter. Vorteile bringt dabei nur die Anpassung, die unter den gegenwärtigen Bedingungen einen Überlebens-vorteil darstellt. Die Evolution kann künftige Entwicklungen nicht vorhersehen – sie ist „blind“ für zukünftige Veränderungen. So jedenfalls die klassische Annahme.

Experiment
Ablauf des Experiments: Bakterielle Abstammungslinien (verbundene Knotenpunkte) müssen sich wiederholt an zwei abwechselnde Bedingungen anpassen. Viele Linien schaffen dies nicht und sterben aus. Die letzten überlebenden Stämme entwickeln aber besonders schnell mutierende Sequenzen in einem Schlüsselgen, die die Anpassung beschleunigen. 

Bakterien im Selektionstest

Doch jetzt stellt ein Experiment dies in Frage. Denn es belegt, dass die Evolution womöglich weniger zufällig agiert, als es die klassische Sichtweise vorsieht. Konkret haben Michael Barnett und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für Evoluti-onsbiologie in Leipzig untersucht, ob sich die Selektion auch auf die Evolvierbarkeit auswirken kann. Damit überprüften sie eines der meistdiskutierten Konzepte in der Biologie: die Frage, ob die Evolution auch gezielt Mechanismen fördern kann, die zukünftige vorteilhafte Veränderungen begünstigen.

Für ihr drei Jahre laufendes Experiment nutzte das Team verschiedene Linien des Bakteriums Pseudomonas fluorescens, das in der Natur im Boden, auf Pflanzen und im Wasser, aber auch auf verdorbenen Lebensmitteln vorkommt. Die Mikroben produzieren eine Substanz, die unter UV-Licht leuchtet. Im Test setzten die Forschenden die Bakterienpopulationen abwechselnd zwei verschiedenen Umweltbedingungen aus. Linien, die sich nicht anpassen konnten, wurden aussortiert und durch erfolgreiche Linien ersetzt.

Selektion auf zwei Ebenen

Der Clou dabei: Durch diesen Ablauf wirkt die Selektion auf zwei Ebenen. „Bei den Individuen begünstigt sie diejenigen mit gerade passenden Phänotypen“, erklären Barnett und sein Team. „Bei den Stammeslinien haben diejenigen Vorteile, deren Merkmale die Entstehung adaptiver Phänotypen begünstigen.“ Wenn die Selektion auch auf dieser Ebene wirkt, müssten die Bakterien im Laufe des Experiments demnach eine verbesserte Fähigkeit schneller Anpassung und Mutation entwickeln.

Und tatsächlich: Im Laufe der Generationen bildete sich eine Bakterienlinie heraus, die sich besonders schnell an die wechselnden Bedingungen anpassen konnte. Ihre Zellen entwickelten schneller die Mutationen, die sie für die jeweilige Umwelt brauchten. „Obwohl die Selektion im kleinen Maßstab schnell wachsende Zellen begünstigt, waren die erfolgreichsten Bakterienlinien diejenigen, die die zu den zukünftigen Bedingungen passenden phänotypischen Varianten erzeugen konnten“, berichten Barnett und seine Kollegen.

Hypermutation als Anpassungs-Turbo

Die Ursache für diese „Anpassung ans schnelle Anpassen“ zeigte sich im Genom dieser Bakterienlinie: Im Laufe der Generationen hatten ihre Zellen einen hypermutierbaren DNA-Abschnitt entwickelt. Dieser Genort besitzt eine bis zu 10.000-mal höhere Mutationsrate als normal und kann daher sehr schnell die Funktion eines zentralen Regulatorgens verändern. Dieses wiederum wirkt auf weitere Gene, die die für die Anpassung wichtigen Merkmale steuern, wie die Forschenden erklären.

Für die Bakterien bedeutet dies: In den Populationen mit diesem hypermutierbaren Locus steigt die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest einige Zellen die Mutationen tragen, die beim Wechsel der Bedingungen günstig sind. Dadurch überlebt die Population als Ganzes, obwohl sie sich bei jedem Wechsel aufs Neue umstellen muss. Der hypermutierbare Locus ist darauf optimiert, diese Merkmalsveränderung schnell und umkehrbar auszulösen.

Evolution kann eine „Voraussicht“ entwickeln

Die Selektion hat demnach dafür gesorgt, dass diese Bakterienlinie auf zukünftige Veränderungen vorbereitet ist. „Indem wir die Evolution eines hypermutablen Locus nachweisen, zeigen wir, dass es bei der Anpassung nicht nur um das Überleben in der Gegenwart geht, sondern auch um die Verfeinerung der Fähigkeit, sich in der Zukunft anzupassen“, sagt Barnett. Damit stellt das Experiment die klassische Annahme in Frage, nach der die Evolution ohne Voraussicht abläuft.

„Unsere Ergebnisse bieten einen faszinierenden Einblick in die Art und Weise, wie die Evolution eine Art ‚Voraussicht‘ erlangen kann“, ergänzt Barnetts Kollege Paul Rainey. Die natürliche Auslese kann demnach die genetische Architektur so verändern, dass Organismen ihre Anpassung beschleunigen können. Diese Fähigkeit zur schnelleren Evolution könnte beispielsweise erklären, warum sich viele Krankheitserreger so schnell an Medikamente oder neue Wirte anpassen können. (Science, 2025; doi: 10.1126/science.adr2756)

Quelle: Science, Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie; 27. Februar 2025 - von Nadja Podbregar

 

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