aus FAZ.NET, 11.02.2025 Werner Tübke, Drei
Frauen aus Cefalù, 1983 zu Geschmackssachen
Faszinierende DDR-Kunst:
Als Erich Honecker für Deutschland ritt
Die
Kunst der untergegangenen DDR musste sich immer wieder neu gegen den
politischen Druck des Regimes behaupten. Daraus entstand ihre
einzigartige Qualität. Das zeigt eine Ausstellung in Potsdam.
Ein DDR-Bauwerk, das über der Mauerkrone aufragt, scheint nach links wegzukippen, der rote Stern über dem Dach wirkt harmlos wie ein Windrad. Von rechts schiebt sich ein großer grüner Halbmond ins Bild. Plenkers war ein durchaus regimetreuer Maler, seine Ausstellung in Westberlin wurde durch den Staatlichen Kunsthandel der DDR finanziert. Auf seinem Bild sieht man davon nichts.
Zwei Jahre zuvor hatte Ralf Kerbach sein Dreierporträt „Dresdner Freunde“ vollendet. Kerbach war bereits 1982 nach zahlreichen Schikanen durch die Staatssicherheit nach Westberlin übergesiedelt, sein Bild hält eine Begegnung fest, die so nicht stattgefunden hat. Es zeigt die Künstlerin Cornelia Schleime und den Schriftsteller Sascha Anderson mit Kerbach selbst an einem Tisch. Der Maler hat seinen Blick abgewandt, während Anderson ihn durchdringend anschaut.
Cornelia Schleime, die einen Hummer als Kopfputz trägt, blickt als Einzige den Betrachter an. Schleime verließ im Herbst 1984 die DDR, beinahe ihr gesamtes Frühwerk ging dabei verloren. Sascha Anderson wurde 1991 von Wolf Biermann als Stasi-Informant enttarnt. Er hatte auch seine Dresdner Freunde Ralf Kerbach und Cornelia Schleime jahrelang bespitzelt.

Die Kunst der DDR war nicht sauber geteilt zwischen Oppositionellen und Konformisten. Ein vom Staat geförderter Maler wie Plenkers konnte einen kritischen Blick auf die Mauer werfen, ein Dissident wie Kerbach einen Spitzel idyllisieren. Am krassesten zeigt sich die Nichtidentität von Leben und Arbeit in der Malerei von Wolfgang Mattheuer. Mattheuer war von 1965 an Kunstprofessor in Leipzig und ein kulturelles Aushängeschild des Arbeiter- und Bauernstaats. 1974 gab er seine Lehrtätigkeit auf.
Im selben Jahr entstand „Freundlicher Besuch im Braunkohlerevier“. Drei fußlose Männer mit Pappkartons anstelle der Köpfe laufen durch eine Tagebaulandschaft. Der vorderste hält eine Rolle Papier und einen Blumenstrauß in den Händen. Auf die Kartons sind grinsende Gesichter gemalt. Ein Arbeiter, der ihnen entgegenkommt, schaut missmutig aus dem Bild. Das Gemälde nimmt ganze Filmreihen über den Alltag der späten DDR vorweg, etwa Andreas Dresens „Gundermann“; es entstellt den Parteiapparat zur Kenntlichkeit. Mattheuer aber hörte nicht auf, bunte und heitere neben ätzenden und traurigen Symbolbildern zu malen. 1977 vertrat er sein Land auf der Documenta 6. 1988 trat er aus der SED aus. Zu jener Zeit galt er der Stasi längst als Staatsfeind.

Der „Freundliche Besuch“ gehört ebenso wie „Fremde Zeichen“ und „Dresdner Freunde“ zur Sammlung des Software-Unternehmers Hasso Plattner. Im Kunsthaus Minsk in Potsdam, das Plattner vor dem Abriss rettete, indem er das einstige Edelrestaurant zum Schaufenster für seine Kollektion machte, wird der Blick auf deren Bestände jetzt ein weiteres Mal scharf gestellt. Der Trick, den die Ausstellung „Im Dialog“ dabei anwendet, ist ein alter Kuratoren-Kniff: Sie hängt zusammen, was nicht zusammengehört.
Hier ist es etwa Arno Rinks Porträt des Kunstkritikers Henry Schumann in der Werkstatt des Malers von 1968 und ein im Jahr darauf entstandenes Atelierbild von Mattheuer, auf dem ein brüllender Bürger mit Hut auf einer feisten Kirmes-Taube vor trostloser Leipziger Stadtlandschaft im Fensterrahmen vorbeireitet. Für den heutigen Betrachter ist das Erich Honecker, der auf dem „Grauen Fenster“ das Gespenst des Sozialismus durch die Lüfte treibt.

Henry Schumann war auch der Autor eines Interviewbands, in dem Ende 1976 zwanzig vielversprechende Künstler der DDR vorgestellt wurden. Der Band, dessen Seiten im Parterre des „Minsk“ ausliegen, versammelt heute wenig bekannte Namen wie Hartmut Bonk und Fritz Eisel, aber auch Größen wie Bernhard Heisig und Werner Tübke. Von Tübke, der auf die Frage nach seiner Ablehnung der modernen Kunst antwortet: „Moderne? Ich kenne keine Moderne“, zeigt die Ausstellung neben einer „Kreuzabnahme“ die „Drei Frauen aus Cefalù“ und „Der Narr und das Mädchen“, allesamt Vorstudien zu seinem Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen.
Den Auftrag hatte er im Vorjahr erhalten; 1976 machte er sich an die Arbeit, im Folgejahr fuhr er mit Mattheuer, Heisig und Willi Sitte nach Kassel. Wenn man Tübkes Bilder nach einigen Jahren Pause neben Werken jüngerer Künstler wie Cornelia Schleime oder Johannes Heisig (des Sohnes von Bernhard) wiedersieht, wird das Hermetische, gegen Erfahrung Abgedichtete seiner Virtuosenkunst deutlich, der im Reagenzglas des Ateliers gezüchteten Synthesen aus Goya und Altdorfer, Bosch und van Eyck.

Bei Schleime („Styx I und II“) spürt man dagegen die Bitterkeit des Heimatverlusts, während in Heisigs Dresdner Interieurs der Einfluss von Beckmann und Francis Bacon sichtbar ist – und die Auseinandersetzung mit dem ätzenden Expressionismus von Heisig père. Dieser selbst ist mit einem Agitpropbild von 1972 vertreten („Angela Davis und ihr Richter“), dessen antiamerikanisches Pathos so schrill wirkt, dass es schon wieder Ausdrucksqualitäten besitzt; nur hat es noch nicht den richtigen Dialogpartner gefunden. Man müsste es neben eine Warhol-Dose hängen, dann käme seine Hysterie zu ihrem Recht.
Die DDR ist Geschichte. Aber die Geschichten, die ihre Malerei erzählt, sind vielleicht doch die wichtigere Hälfte der deutschen Nachkriegskunst: weil sie die Spuren eines Kampfes tragen, der mehr war als ein Ringen ums Ich. Gewiss, es gibt auch die Heroen des Westens, das Trio Richter, Penck, Baselitz; aber auch sie stammen, kein Zufall, ursprünglich aus dem Osten. Als Mattheuer, Tübke, Heisig und Sitte zur Documenta eingeladen wurden, zogen alle drei ihre Teilnahme zurück. Das wäre ein schöner Dialog geworden. Er fand nicht statt.
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