Samstag, 1. Februar 2025

Cimabue II.

Im Zentrum steht Cimabues „Majestà“, eine gewaltige, vor Goldgrund thronende Maria, die Jesus als Herrscher präsentiert, umgeben von sechs strengen Engeln. aus Tagesspiegel, 28. 1. 2025                                                                                                 

Der Louvre feiert seine teuerste Erwerbung:  
Als Cimabue die Kunst revolutionierte
Gefühlsregungen und Muskelspiel: Der italienische Künstler Cimabue fegte um 1300 das Mittelalter in der Kunst hinweg. Und doch blieb er verkannt, seine Neuerungen wurden bisher den Nachfolgern zugeschrieben.
 

Man steht im Louvre und schmunzelt: Dies Madonnenbild dort an der Wand ist für jeden, der auch nur ein Werbeplakat mit der legendär auf der Muschel reitenden Florentiner Venus sah, sofort erkennbar als Werk der italienischen Frührenaissance aus dem Umkreis von Sandro Botticelli.

Aber Obacht! 1813 als Teil des napoleonischen Kunstraubs aus Pisa nach Paris gebracht, galt die Madonna bis um 1840 herum als ein Werk des hochmittelalterli-chen Malers Cimabue. Zeitweise wurde es im Louvre sogar direkt neben dessen gewaltiger „Majestà“ gezeigt, die streng und monumental so gar nichts gemein zu haben scheint mit der intimen Eleganz Botticellis.

Und doch: Die damalige Fehlzuschreibung hat auch manches für sich. Das zeigt die neueste Ausstellung des Louvre: Ohne Cimabues Aufbrechen der Ikonen-Tradition wären Botticelli, die Renaissance, der Barock, wäre die gesamte naturalistische Malerei bis heute nicht denkbar. Auch deswegen wird Cimabue, von dem man nicht einmal das Geburtsdatum kennt und auch sonst wenig weiß, dem nicht einmal mehr als zehn Gemälde sicher zugeschrieben werden, als Begründer der nachanti-ken Malerei des Westens gefeiert.

Und seit Dante den 1302 Verstorbenen in sein nur fünf Jahre später begonnenes Riesenepos Göttliche Komödie aufnahm, gilt er auch als Beispiel für einen Meister, der von seinen Schülern, hier Giotto und Duccio, regelrecht vergessen gemacht wurde. Die moderne Legende vom verkannten Künstler, auch sie nimmt mit Cimabue ihren Anfang.

Der Louvre nun macht sich auf die Spurensuche: Wo kam die Kunst Cimabues historisch her, was machte sie aus, welche Wirkungen entfaltete er? Man muss die heutigen Augen erst einmal trainieren, um diese auf den ersten Blick in Gold erstarrten Madonnen- und Heiligenbilder der Zeit um 1300 lesen zu können. Aber dann enthüllt sich eine Revolution in der Kunst, die bis heute wirkt.

Im Zentrum steht Cimabues „Majestà“, eine gewaltige, vor Goldgrund thronende Maria, die Jesus als Herrscher präsentiert, umgeben von sechs strengen Engeln. Hinzu kommt die noch berühmtere „Stigmatisierung des Heiligen Franziskus“, die Cimabues Schüler Giotto für die gleiche Franziskaner-Kirche in Pisa malte. Beide Werke bestehen aus sehr großen, raffiniert zusammengebundenen Holztafeln. Weil sie, wie einst in der Kirche, frei im Raum stehen, lässt sich endlich auch ihre Rückseite sehen.

Gefühle werden gezeigt in „Christi Geißelung“ von Cimabues Schüler Duccio.

Ein halbes Jahrtausend haben sie nebeneinander auf der Empore über dem Lettner-Einbau in Florenz gestanden. Er trennte den für die Franziskaner-Mönche reservierten Chor von der Gemeinde. Die Prachtseite war zum Volk ausgerichtet, dem damit direkt nebeneinander das starre, hierarchische Alte der Malerei und das emotionale, individuelle, naturnahe Neue gezeigt wurde.

Thomas Bohl, Kurator der Ausstellung und Direktor der Gemäldegalerie des Louvre, sieht darin noch mehr: „Wenn man genau auf Cimabues Gemälde sieht, dann erkennt man, das fast alle Neuheiten, die bisher seinen Schülern und Nachfolgern des späten 13. Jahrhunderts zugeschrieben wurden, schon von diesem fantastischen Maler erfunden wurden.“

Schon zu Cimabues Zeiten bewirkte die um 1250 entstehende neue Aristotelische Theologie, welche sich die antiken Autoren kritisch vornahm, eine neue Seh-Weise. Der Künstler brach bereits mit der Tradition, indem er etwa das Jesuskind seine Hand um die Gesetzesrolle geradezu krallen lässt.

Beim Folterer der aus dem Fogg Art Museum in Cambridge, Massachusetts, ausgeliehenen „Geißelung Jesu“ schimmern die Muskeln angespannt. Auf der „Verspottung Christi“, die der Louvre 2023 für fast 23 Millionen Euro aus französischem Privatbesitz erwarb, ist in den Gesichtern des Mobs die Wut regelrecht herausgestellt.

Giottos „Stigmatisierung des Heiligen Franziskus“ nimmt die Ideen von Cimabues neuem Realismus auf.

Die Vorstellung dieser spektakulären Neuerwerbung ist der eine Grund für die Ausstellung. Der andere besteht in dem auf viele Jahre hin angelegten Restaurierungsprogramm des Louvre: Endlich sollen die Monumentalgemälde, die oft seit Jahrzehnten oder sogar noch nie restauriert wurden und die Säle so sehr prägen, angegangen werden. Cimabues „Majestà“ war das erste dieser Werke. Nun lässt sich sogar das Durchschimmern der Gewänder von Maria wieder sehen.

Dabei scheint das Selbstbewusstsein der Restauratoren erheblich zu sein. Ihre Arbeit erinnert an die konsequente Bereinigung von Notre Dame beim jüngsten Wiederaufbau. Ähnlich wie die Pariser Kathedrale erstrahlt nun auch Cimabues „Majestà“ wie neu. Die katastrophale Restaurierung von Leonardo da Vincis Abendmahl in Mailand scheint vergessen zu sein. Damals wurden auf der Suche nach den einzig „dem Meister“ zuzuschreibenden Farbtupfern alle späteren Zeitschichten beseitigt.

Das krasse Ergebnis hatte dazu geführt, dass etwa in der Berliner Gemäldegalerie sogar auf Verschleiß angelegte Schutz-Firnisse als historische Schicht bewahrt werden. Zugleich schien die Debatte damit vorläufig beendet. Sie könnte unter Restauratoren und Kunsthistorikern nun wieder aufflammen, nachdem die Pariser Restauratoren dem niedlichen Jesus-Köpfchen an der Spitze des Gemälderahmens derart zu Leibe gerückt sind, dass nur noch ein fast unlesbares Fragment übrig geblieben ist.

Darüber hinaus erstaunt, in welch immens kurzer Zeit um 1300 die Ablösung von einer jahrhundertealten Tradition vor sich ging. Hier noch die ikonenhaft strengen Kruzifixe oder die von der National Gallery of Art in Washington entliehene grandiose Madonna Kahn, dort die erzählenden Bilder Cimabues mit schmalen Bändern, auf denen arabische Buchstaben nicht mehr als Grafik, sondern als lesbare Dokumente der sich ständig wandelnden Sprache eingesetzt sind.

Wenn Cimabue dieser kritische Naturalismus nicht gelang, dann zerstörte er der Legende nach lieber das teure Bild und fing es neu an. Auch das ist eine sehr moderne Haltung.  

 

 

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