Donnerstag, 20. Februar 2025

Hokusais Große Welle.

Das berühmte japanische Holzschnittbild »Die große Welle vor Kanagawa« von Katsushika Hokusai zeigt eine riesige, gebogene Welle, die mehrere Boote mit Ruderern zu verschlingen droht. Im Hintergrund ist der schneebedeckte Gipfel des Berges Fuji zu sehen. Die Wellen sind detailliert mit Schaumkronen dargestellt. Links oben befinden sich japanische Schriftzeichen.
aus spektrum.de, 19.02.2025                       Am Holzschnitt von »Die große Welle vor Kanagawa« arbeitete Katsushika Hokusai in der Zeit zwischen 1830 und 18 32.                                                                                   zu Geschmackssachen

Kleine Geschichte einer Welle, die um die Welt ging
Vom Massenprodukt zum zelebrierten Kunstwerk – der ikonische Holzschnitt einer gewaltigen Meereswelle machte den Japaner Katsushika Hokusai unsterblich. Was das Erfolgsgeheimnis war, erzählen unsere Kolumnisten.
 

Es gibt Kunstwerke, die eine Epoche prägen, und es gibt solche, die Zeiten und Kulturen überwinden. »Die große Welle vor Kanagawa«, das berühmteste Werk des japanischen Künstlers Katsushika Hokusai, gehört zweifellos zur zweiten Kategorie. Entstanden Anfang der 1830er Jahre als Teil der Serie »36 Ansichten des Berges Fuji«, hat dieser Holzschnitt nicht nur Generationen von Künstlerinnen und Künstlern inspiriert, sondern er ist auch zu einem Symbol geworden für Naturgewalten, für den Wandel einer Gesellschaft und den Kontakt fremder Kulturen.

Katsushika Hokusai wurde 1760 in Edo, dem heutigen Tokio, geboren. Sein Schaffen erstreckte sich über fast sieben Jahrzehnte, eine außergewöhnlich lange Karriere, in der er unermüdlich experimentierte. Insbesondere die Darstellung von Wellen zieht sich durch sein Werk: Sie tauchen in Landschaftsszenen auf, als Illustration epischer Geschichten, auf Gebrauchsgegenständen und schließlich in jenem Druck, der ihn als Künstler unsterblich machen sollte.

Hokusais Kunst war Teil des so genannten Ukiyo-e. Dabei handelt es sich um ein Genre und eine Kunsttradition, die in Holzschnitten das Leben des städtischen Mittelstands einfing. Darstellungen des Ukiyo-e, was übersetzt »Bilder der fließenden Welt« bedeutet, zeigten zunächst das Vergnügungsviertel in Edo, später auch Natur- und Stadtansichten. Die Holzschnitttechnik machte es möglich, Kunst in hohen Auflagen zu produzieren, sie zu einem erschwinglichen Preis anzubieten und massenhaft zu verbreiten. Dabei war Ukiyo-e ein Geschäft: Verleger beauftragten Künstler, Drucker setzten deren Entwürfe um, und die fertigen Blätter kamen in teils hohen Stückzahlen auf den Markt.

Urvater der Manga-Kunst

Hokusai war sehr innovativ. Er experimentierte mit dem Aufbau und den Techniken westlicher Werke, setzte Farben ein, die aus Europa nach Japan gelangten – darunter das intensive Berliner Blau, das »Die große Welle« dominiert. Neben seinen Landschaftsdrucken machten Hokusai auch seine Manga-Skizzenbücher bekannt, die eigentlich als Lehrwerke gedacht waren. Später erkannte man in ihnen die Vorläufer der modernen Manga-Kunst, auch wenn sie ursprünglich nicht erzählerisch, sondern didaktisch angelegt waren.

Doch Hokusai war nicht nur Künstler, sondern auch ein Meister der Selbstinszenierung. 1817 malte er vor Publikum ein gigantisches Bild, angeblich war es 180 Meter lang. Dargestellt war der heilige Daruma aus dem Buddhismus. Hokusai wechselte, wie viele japanische Künstlerkollegen, während seiner Karriere häufig seinen Namen. Sie sollten jeweils die verschiedenen Phasen seines künstlerischen Schaffens markieren. Am Ende hatte er mehr als 30 Namen geführt.
Wie »Die große Welle« entstand

Anfang der 1830er Jahre ging eine neue Druckserie in Planung: »36 Ansichten des Berges Fuji«. Der Verleger Nishimuraya Yohachi sah nämlich großes Potenzial in einem Sammelwerk mit innovativen Perspektiven auf Japans heiligen Berg. Hokusai, damals bereits in seinen Siebzigern, griff die Idee auf – und schuf die wohl berühmteste Welle der Kunstgeschichte.

Doch was genau macht »Die große Welle vor Kanagawa« so einzigartig? Im Vordergrund türmt sich eine gewaltige Welle auf, ihre Gischtzungen ähneln Krallen. Drei Boote mit Fischern kämpfen gegen die Naturgewalt, während im Hintergrund der Fuji unerschütterlich und erhaben aus dem Wellental aufragt. Die Bewegung der Welle läuft von links nach rechts – untypisch für japanische Bilder, die traditionell von rechts nach links »gelesen« werden. Unter den Farben dominiert Blau, was die Dramatik des Bildes verstärkt, denn so nimmt das Wasser mehr Fläche ein als die kleinen Boote mit den Menschen.

Diese Welle ist sowohl abstrakt als auch naturalistisch wiedergegeben. In ihr sind Naturbeobachtung und stilistische Reduktion miteinander verschmolzen. Aber sie ist mehr als nur ein maritimes Motiv, sie erzählt von der Kraft der Natur, von der Vergänglichkeit und vom Widerstand des Menschen. Und sie spiegelt den Umbruch einer ganzen Gesellschaft wider.

Japan im Wandel

Hokusai wurde in einer Zeit geboren, in der das Tokugawa-Shogunat auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Doch als er rund ein Dreivierteljahrhundert später »Die große Welle« schuf, hatte das System zu bröckeln begonnen. Die Außenwelt drängte auf die Öffnung Japans, westliche Einflüsse fanden über Umwege ins Land, wirtschaftliche Spannungen führten zu Unruhen.

Die 1830er Jahre waren von Hungersnöten und Bauernaufständen geprägt. Der Samurai Ōshio Heihachirō rief 1837 in Osaka zum Widerstand auf. Sein Aufstand wurde zwar schnell niedergeschlagen, aber der Shogun war blamiert. Gleichzeitig wuchs der außenpolitische Druck: Russische, amerikanische und britische Schiffe tauchten an Japans Küsten auf. 1825 hatte die Regierung eine Weisung erlassen, alle fremden Schiffe zu vertreiben. Spätestens als China 1842 den Opiumkrieg gegen Großbritannien verlor, erkannte man, dass Isolation langfristig keine Option war.

Inmitten dieses Wandels erschien »Die große Welle vor Kanagawa«. Es war die Momentaufnahme eines Landes zwischen Abschottung und Öffnung. Historiker wie Mark Ravina von der University of Texas in Austin sehen in der Perspektive des Bildes eine symbolische Andeutung: Statt vom Land aus auf den Fuji zu blicken, sieht man Japan erstmals vom Meer aus, als ob der Betrachter ein Fremder wäre. Die Kunsthistorikerin Christine Guth, die an den Universitäten von Pennsylvania, Harvard, Stanford und Berkeley tätig war, interpretiert die Welle in ihrem Buch »Hokusai's Great Wave« als Ausdruck einer neuen maritimen Identität, die mit Japans bevorstehender Öffnung zusammenhing.

Hokusais Welle eroberte die Welt

Nach Hokusais Tod 1849 begann »Die große Welle« ihren Siegeszug um die Welt. In Europa wurde sie zum Symbol der Japan-Begeisterung des 19. Jahrhunderts, des Japonismus. Künstler wie Vincent van Gogh studierten Hokusais Drucke intensiv. Der Niederländer schrieb an seinen Bruder Theo: »Wenn ich mir Hokusai ansehe, fühlt es sich so an, als ob die Welle eine Klaue sei, und das Boot wird von der Klaue erfasst.«

Eine Lithografie auf gelbem Hintergrund zeigt eine schwarze, halbkreisförmige Illustration. In der Mitte des Halbkreises befindet sich eine kleine Szene mit einem Schiff auf dem Meer. Darunter folgt eine dramatische Meereslandschaft mit einem Mann auf einem Boot sowie der handschriftliche Text »Les drames de la mer« von Paul Gauguin. Inspiriert | Der französische Künstler Paul Gauguin (1848–1903) schuf 1889 dieses Werk: Er nannte es »Les drames de la mer«. Inspiriert hatte ihn eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe (1809–1849) und vermutlich Hokusais Welle.

Auch Paul Gauguin ließ sich inspirieren. In seiner Lithografie »Die Dramen des Meeres« von 1889, die auf einer Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe beruht, finden sich deutliche Anklänge an Hokusais Wellenmotive. Doch während in Europa die Wertschätzung für Ukiyo-e wuchs, galten die Drucke in Japan weiterhin als bloße Massenware.

In Frankreich erhielt »Die große Welle« schließlich einen neuen Namen: »La vague«. Der Kunstkritiker Edmond de Goncourt (1822–1896) prägte die Bezeichnung, die das Werk endgültig aus seinem japanischen Kontext herauslöste. Fortan war es nicht mehr nur ein lokales Kunstwerk, sondern ein universelles Symbol.

Eine Ikone der Spätmoderne

Im 20. Jahrhundert setzte sich die globale Karriere von Hokusais Werk fort. In den USA wurde sie zum kulturellen Symbol – mit zynischem Beigeschmack: 1953 erschien eine Gedenkbriefmarke mit der Welle zum 100. Jahrestag der von Commodore Matthew Calbraith Perry erzwungenen Öffnung Japans. Gleichzeitig tauchte das Motiv in der Popkultur auf. Zeichner zitierten es in Comics, auf Buchcovern, es erschien als Werbebild, auf Postern, T-Shirts, Socken und als Lego-Set. Mit dem Internet wurde der Holzschnitt schließlich allgegenwärtig: kopiert, parodiert, neu interpretiert.

Doch was macht »Die große Welle« so zeitlos? Eine Idee lautet: Das Bild lässt verschiedene Deutungen zu. Es kann eine Naturgewalt symbolisieren oder einen Wandel, eine Bedrohung oder Harmonie, Isolation oder Globalisierung. »Die große Welle« ist der Spiegel einer jeden Zeit, in der Menschen sie betrachten – eine Balance zwischen Natur und Kultur, Wasser und Land, Japan und der Welt.

Katsushika Hokusai starb 1849 mit 88 Jahren, aber sein Werk lebt weiter. Seine »Welle« hat den Sprung über die Jahrhunderte und Kulturen hinweg geschafft. Was als Massenprodukt begann, ist heute eines der bekanntesten Kunstwerke überhaupt, ein Bild, das die Welt immer wieder neu lesen kann.

Große Welle (Symbolbild)

Nota. - Ich behaupte dreist, dass van Gogh der japanischen Ästhetik ganz fremd geblieben ist.
JE

 

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