Donnerstag, 13. Februar 2025

Hollands Goldenes Zeitalter.

So ein Sessel ist schon etwas Urgemütliches. Und so ein Pfeifchen erst recht! Kann man gerade der Pracht der Wandbehänge in Pieter de Hoochs Nürnberger „Gesellschaftsstück“ ablesen, dass die holländischen Bürger von ihrem Wohlstand peinlich berührt waren? aus FAZ.NET, 12. 2. 2025        Kann man gerade der Pracht der Wandbehänge in Pieter de Hoochs Nürnberger „Gesellschafts-stück“ ablesen, dass die holländischen Bürger von ihrem Wohlstand peinlich berührt waren?                       zu Geschmackssachen

Simon Schama
Ein Historiker, der schreibt wie gemalt
Auf den Herbst des Mittelalters folgte ein zweiter Frühling der Kulturgeschichte, mit Vor-lauf im Fernsehen: Zum achtzigsten Geburtstag von Sir Simon Schama.
 

Das Buch aus dem Jahr 1987, das den englischen Historiker Simon Schama berühmt machte, ist ein Bravourstück. Die „Interpretation der holländischen Kultur im Goldenen Zeitalter“, die der Untertitel in Aussicht stellt, fasst der Titel in einem geflügelten Wort zusammen: „The Embarrassment of Riches“. Man muss von einem neu beflügelten Wort sprechen: Geläufig bei Gebildeten war die Wendung seit zwei Jahrhunderten; durch Schama wurde sie bei Kennern historischer Literatur als Inbegriff einer erzählenden Epochendeutung fast ebenso sprichwörtlich wie das große Vorbild von Schamas Buch, der „Herbst des Mittelalters“ von Johan Huizinga. Gebräuchlich ist die Beschwörung des „embarras de richesse“, nach einer französischen Komödie von 1726, wo vom Reden die Rede ist: Die „Verlegenheit aus Überfülle“, wie die Übersetzung älterer Wörterbücher lautet, ist eine Herausforderung an die Disposition und setzt ein Stilideal kluger Ökonomie voraus. Schama hat diese Denkfigur sozusagen aus der Literaturkritik herausgenommen und in die Welt der Realien rückübertragen.

Den Holländern sollen die Reichtümer, die sie als Welthandelsmacht anhäuften, peinlich gewesen sein – weil sie als Adressaten calvinistischer Predigten die überfließenden weltlichen Güter nicht ohne Reue genießen konnten. Die Reue konnte den Genuss aber nicht ungeschehen machen oder aus der Welt schaffen: Aus der Spannung zwischen Neugier und Bedenken, Verschwendung und Sparsamkeit entstand nach Schama die Dynamik der holländischen Kultur, der goldene Glanz des so bezeichneten Zeitalters. Den von späteren, ihrerseits kulturprotestantisch geprägten Betrachtern wahrgenommenen Kontrast in der Genremalerei zwischen dem versteckten moralistischen Symbolismus und der schlichten Freude am Beschreiben und Erzählen löste Schama sozialpsychologisch auf.

Man hört das Komödiantische mit

Wenn man den Gedanken referiert, drängt sich die Vermutung auf, dass die beste Form für ihn der Aphorismus wäre. Er soll aber über 700 Druckseiten tragen: Das ist das Bravouröse von Schamas Ansatz, das Kühne und Freche. Er nahm es mit einem der strengsten aller Theoretiker auf, mit Max Weber und dessen These vom Nexus von Kapitalismus und Calvinismus. Allerdings haftet Schamas Buchtitel noch ein Nachgeschmack seiner Herkunft an: Man hört das Komödiantische mit; die Betrachtung der holländischen Weltbetrachtung hat es nicht auf das Herauspräparieren eines tragischen Potentials der modernen Kultur abgesehen, sondern bleibt heiter gestimmt.

Der Autor selbst schwelgt geradezu in den Verlegenheiten, die seine Auffassung des Sujets zaghafteren Kollegen bereitet hätte. Mit der Üppigkeit des Abbildungsapparats harmoniert der illustrative Schreibstil, Schamas Freude am Bildhaften, Sprechenden, Frappanten. In dieser Manier schrieb er in der Folge einerseits weitere kulturhistorische Problemwälzer, mit entgrenztem oder eingegrenztem Thema, über das Verhältnis von Landschaft und Erinnerung oder über die Beziehung von Rembrandt und Rubens, andererseits zwei mehrbändige Nationalgeschichten, „A History of Britain“ und, nach zwei Bänden (2013 und 2017) noch unvollendet, „The History of the Jews“.

Über „Der zaudernde Citoyen“ (im Original: „Citizens“), zum zweihundertsten Jahrestag der Französischen Revolution publiziert, schrieb Thomas Nipperdey in der F.A.Z.: „Gestik und visuelle Symbole, von den Bildern Davids oder dem Föderationsfest bis zur Jakobinermütze, Reden und Sprache, Gefühle, persönliche Begegnungen und Reaktionen, Kopf und Bauch, das sind ganz zentrale Punkte der Erzählung, Glanzstücke dieses glanzvollen Buches.“

Die Schule von Sir John Plumb

Schama, 2018 zum Ritter geschlagen, lehrt seit 1993 an der Columbia-Universität in New York. Begonnen hatte er seine akademische Karriere in Cambridge als Schüler von Sir John Plumb. Dieser war seinerseits ein Schüler von George Macaulay Trevelyan, der in Cambridge den prestigereichsten historischen Lehrstuhl bekleidete, aber nach dem Urteil mancher Kollegen als Fortsetzer der klassischen liberalen Geschichtsschreibung großen Stils außer­halb des geschichtswissenschaftlichen Fort­schritts stand. Auch Plumbs wissen­schaftlicher Ehrgeiz schien mit dem Abbruch seiner Biographie von Sir Robert Walpole, dem Premierminister der postrevolutionären Prosperität unter den ersten Hannoveranern, erschöpft. Er hatte jedoch eine ganze Reihe von Schülern, die sowohl als Fachhistoriker als auch mit Büchern für ein großes Publikum enorm einflussreich geworden sind. Sie verbindet mit ihrem Lehrer ein Interesse an der materiellen, dinglichen und sinnlichen Seite der liberalen politischen Kultur: Linda Colley, David Canna­dine, John Brewer. Simon Schama ist der Berühmteste aus diesem Kreis.

Mark Mazower verglich in der „New York Review of Books“ den zionistischen Enthusiasmus von Schamas Geschichte der Juden mit Trevelyans Buch über Garibaldis Siegeszug durch Italien, dessen Parteilichkeit der Autor selbst fröhlich eingestanden hatte. Wie die Holländer des siebzehnten Jahrhunderts ihre Befreiung von der spanischen Herrschaft in der biblischen Saga von der Errettung des Volkes Israel prophetisch vorweggenommen sahen, so wiederholte sich in Schamas Augen die Geschichte des erfindungsreichen, tapferen Küstenvolkes hinter dem Deich in der Gründung des Staates Israel.

Der Kulturgeschichte der Trevel­yan-Schule wurde von manchen Fachhistorikern eine bedenkliche Nähe zu populären Bildmedien vom Panorama bis zum Kino bescheinigt. Schama schlug diese Kulturkritik in den Wind, indem er seine britische und seine jüdische Geschichte als Fernsehserien konzipierte und die Bücher nachlieferte. Schon „Rembrandts Augen“ von 1999 las sich, wie Wilfried Wiegand in seiner Rezension in der F.A.Z. bemerkte, „über weite Strecken wie der Drehbuch-Entwurf so einer Serie, bis hin zu Überraschungsauftritten des Autors“.

„Embarras de richesse“, schrieb Albert Einstein 1918, „ist einer der bösartigsten Gegner, die dem Theoretiker das Leben sauer machen.“ Dem Historiker macht die Überfülle der Quellen das Schreiben süß. Sir Simon Schama feiert heute seinen achtzigsten Geburtstag.

 

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