
Freitag, 31. Januar 2025
"Wenn wir das damals besser gemacht hätten...

Diskursives und wirkliches Denken.
Das diskursive Denken geschieht in Stufen. Begriffe werden durch logische Opera-tionen zu einander in ein Verhältnis gesetzt. Auf Operation a folgt Operation b, und so weiter. Die Reihe a>b>c>d... ist der Diskurs. Jede einzelne Operation lässt sich überprüfen, ebenso das logische Folgen der einen aus der anderen.
Das wirkliche Denken geschieht in Vorstellungen, als ein Strom von unbestimmten Bildern, die in der Anschauung zu Diesem oder Jenem verdeutlicht werden.
Man soll nicht sagen, dass es so ist. So kann man es sich vorstellen. So muss man es sich vorstellen, wenn man auf etwas hinauswill. Nämlich auf ein Verständnis von der wirklichen Ausbildung der Vernunft. Das ist kein Stufengang, sondern ein systemi-scher Prozess. Es 'ist' vielleicht nicht so, aber 'so kann man es sich vorstellen'...
Die Darstellung dieses Prozesses ist wiederum nur diskursiv möglich - so, als ob er sich als eine Abfolge von unterscheidbaren Etappen vollzöge. Es wird so getan, als ob in einer ersten Etappe ein (!) undeutliches Bild durch Momente, Agentien, Kunst-griffe in sich unterschieden und 'bestimmt' würde.
So nämlich erscheint es der Reflexion eines entwickelten vernünftigen Bewusst-seins, das bereits über ein ganzes Repertoire solcher 'Momente' verfügt: Erinnerun-gen, Ahnungen, Probleme und - Begriffe. Man kann (sic) es so vorstellen, als wür-den sie prozessierend in die je erreichte Ausprägung der Vorstellung eingebracht, in deren Stoff sie zu einander in ein Verhältnis der Wechselbestimmung gebracht wer-den.
Tatsächlich greifen sie ununterbrochen ineinander, sowohl die 'Momente' als die Etappen.
*
Um aber zu beurteilen, ob die mitttlerweile bestimmten Vorstellungen was taugen - und wozu -,
ist der ganze diskursive Apparat unverzichtbar. Und nur in diskursiver
Darstellung kann ich die Resultate meines Denkens im Gedächtnis behalten
- und andern mitteilen, die sie ihrerseits beurteilen können.
Das ist dann wirklich
eine neue Etappe.
PS.- Sowohl der Begriff der Systemik als die Vorstellung von einem Prozess waren zu Fichtes Zeit unbekannt. Er hat ihnen erst den Boden bereitet, aber es wird ihm nicht gedankt.
JE, 30. 12. 21
Donnerstag, 30. Januar 2025
Der Fluch der bösen Untätigkeit.
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Dass Angela Merkel der Merz'schen Wende entgegentritt , ist menschlich verständ-lich, aber sachlich irreführend. Das Problem der wilden Zuwanderung stellt sich heute nicht mehr so, wie es sich 2015 gestellt hat - aber daran ist sie selber nicht ganz unschuldig. Was damals möglich und politisch richtig gewesen wäre, ist heute nicht mehr möglich. Sie ist nicht so energisch an der Sache drangebleiben, wie es nötig gewesen wäre. Dass sie es unterlassen hat, haben andere zu verantworten, und die sollte man heute wieder beim Namen nennen.
Wie war die Situation im Herbst 2015?
Das Problem der historischen Völkerwanderungen hat es immer gegeben, mal akuter und dann wieder schleichend. So krass, dass es kein denkender Europäer weiter verdrängen konnte, hat es sich mit der Zuspitzung des Bürgerkriegs in Syrien gestellt. 'Auf einmal' befanden sich hunderttausende Flüchtlinge in Ungarn. Sie wollten über Österreich nach Deutschland. Dass die nicht alle im kleinen Öster-reich bleiben konnten, war augenfällig. Die deutsche Regierung hätte die inzwischen gottlob offenen Grenzen böswillig schließen müssen, um sie von Deutschland fernzuhalten, und der Republik Österreich zurufen müssen: Seht zu, wie ihr zu-rechtkommt!
Das wäre im Rahmen des um sein Zusammenwachsen bemühten Europas ein nuklearer Sprengsatz gewesen, und es sprang selbst Blinden ins Auge: Dieses Problem war ein kontinentales.
Es war richtig, ich möchte sagen: richtigst, dass Frau Merkel nicht telefonisch die Meinung der unmittelbar gar nicht betroffenen andern europäischen Regierungs-chefs eingeholt hat, die hätten sie nur wochenlang auf dem Schlauch stehenlassen, um dann den schwarzen Peter doch ihr selbst zu überlassen. Sie hat es gar nicht erst darauf ankommen lassen, und das war RICHTIGST. Sie hat Tatsachen geschaffen und die waren kein heißer Brei, um den die andern herumreden konnten.
Sie hat sich - für eine Politikerin höchst bedenklich - auf die euphorische Willkom-menskultur ihrer wohlmeinenden Deutschen verlassen, aber jedem nüchternen Be-obachter war klar: Das dauert nicht lang, bis es umkippt. Und es kippte schneller, als selbst Pessimisten befürchtet hatten. Seehofer & Co. fanden die Gelegenheit günstig, Tag für Tag diesen und jenen Punkt auf ihrem provinziellen Konto zu verbuchen. Der Politrentner Merz hat sich unter anderm auch vernehmen lassen.
Der Versuch, Europa durch die Tat zur Einheit zu zwingen, konnte nur glücken, wenn sich Deutschland seiner Berufung zum europäischen Motor bewusst und darin einig gewesen wäre. Das war es unglücklicherweise nicht, denn sie sind ja der Merkel in den Rücken gefallen. Wer heute sagt, diese oder jener wäre "in Wahrheit" für den späteren Aufstieg der AfD verantwortlich, ruft schamlos: Haltet den Dieb!
Sie haben dafür gesorgt, dass eine historische Chance, nein: eine historische Pflicht schändlich versaubeutelt wurde. Da stehen wir heute: Vor dem historische Problem der globalen Migration wird heute wie vor Jahrhunderten wieder nur an den Lan-desgrenzen herumgeflickschustert.
Dass ausgerechnet die, die dafür die größte Verantwortung tragen, sich aufdrängen die, die den Karren aus dem Dreck ziehen, fügt dem Schaden auch noch den Hohn hinzu.
Kant über Witz und Grundkraft.
Unter die verschiedenen Arten von Einheit nach Begriffen des Verstandes gehört auch die der Kausalität einer Substanz, welche Kraft genannt wird. Die verschiede-nen Erscheinungen eben derselben Substanz zeigen beim ersten Anblicke soviel Ungleichartigkeit, daß man daher anfänglich beinahe so vielerlei Kräfte derselben annehmen muß, als Wirkungen sich hervortun, wie in dem menschlichen Gemüte die Empfindung, Bewußtsein, Einbildung, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft, Lust, Begierde usw. Anfänglich gebietet eine logi-sche Maxime, diese anscheinende Verschiedenheit soviel als möglich dadurch zu verringern, daß man durch Vergle-ichung die versteckte Identität entdecke, und nachsehe, ob nicht Einbildung, mit Bewußtsein verbunden, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft, vielleicht gar Verstand und Vernunft sei.
Die Idee einer Grundkraft, von welcher aber die Logik gar nicht ausmittelt, ob es derglei-chen gebe, ist wenigstens das Problem einer systematischen Vorstellung der Mannigfaltig-keit von Kräften. Das logische Vernunftprinzip erfordert diese Einheit soweit als möglich zustande zu bringen, und je mehr die Erscheinungen der einen und anderen Kraft unter sich identisch gefunden werden, desto wahrscheinlicher wird es, daß sie nichts, als verschie-dene Äußerungen einer und derselben Kraft sei-en, welche (komparativ) ihre Grundkraft heißen kann. Ebenso verfährt man mit den übrigen.
Die komparativen Grundkräfte müssen wiederum untereinander verglichen
werden, um sie dadurch, daß man ihre Einhelligkeit entdeckt, einer
einzigen radikalen, d. i. absoluten Grund-kraft nahe zu bringen. Diese
Vernunfteinheit aber ist bloß hypo-thetisch. Man behauptet nicht, daß
eine solche in der Tat angetroffen werden müs-se, sondern, daß man sie
zugunsten der Vernunft, nämlich zu Errichtung gewisser Prinzipien, für
die mancherlei Regeln, die die Erfahrung an die Hand geben mag, suchen,
und, wo es sich tun läßt, auf solche Weise systematische Einheit ins
Er-kenntnis bringen müsse.
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Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 649/B 677
Nota. - Das ist eine von den Stellen, wo Kant die Möglichkeit ins Auge fasst, dass es sich bei den 'Kräften' der Menschen im Grunde um eine einzige handeln könnte, die jeweils nur auf verschiedene Gegenstände verwendet wird - so wie es Fichte schließlich für die Vermögen feststellt; und nicht nur ins Auge fasst, sondern dem Erfahrungswissenschaftler als heuristisches Prinzip nahelegt. Er bezieht auch Lust und Begierde mit ein, um sie im folgenden Satz gleich wieder auszuschließen und sich auf die geistigen Gemütskräfte zu beschränken - nänlich jene, durch die Frei-heit und Selbstbestimmuung möglich werden.
Mhd. diu witze hat übrigens dieselbe Wurzel wie nhd. Wissen, bedeutet aber eher Intelligenz und Klugheit, was noch in unserm Adjektiv gewitzt nachklingt. Kant übersetzt den engl. common sense mit Mutterwitz, und Fichte nennt den Witz eine "sehr ernsthafte Sache".
In der Sache versteht Kant unter Witz das Aufspüren einer "versteckten Identität" in den erscheinenden Gegensätzen - ähnlich wie Lichtenberg: "Ohne Witz wäre eigentlich der Mensch gar nichts, denn Ähnlichkeit in den Umständen ist ja alles was uns die wissenschaftliche Erkenntnis bringt, wir können ja bloß nach Ähnlich-keiten ordnen und behalten."*
Und
wenn wir uns heute einen Witz erzählen, dann lachen wir über eine
unverhoff-te Ähnlichkeit zwischen zwei Phänomenen, die auf den ersten
Blick gar nichts mit-einander zu tun haben - oder umgekehrt über einen
entlarvenden Doppelsinn in ein und derselben Sache: in jedem Fall aber
über eine Synthesis, die der verstandesküh-len Analysis spottet. Eine solche wäre die erwähnte Grundkraft.
*) Sudelbücher, Heft J, N° 936
JE, 26. 12. 21
Der Ablenker.

„Ich bin empört, wenn Behörden im Bund, in den Ländern und den Kommunen nicht alles tun, was rechtlich möglich ist“, sagt der einstweilige Kanzler. Erst gestern las ich irgendwo, seit er ein solcher ist, sei die Zahl der Mitarbeiter im Kanzleramt um zehn Prozent gestiegen, und seit bekannt ist, wie eng seine Einstweiligkeit ter-miniert ist, werden in allen Ministerien rasch noch ein paar dutzend Werktätige be-fördert. Eine durch Überwucherung gelähmte Verwaltung sorgt dafür, dass die Po-litik nichts zuwege bringt?!
Die akute Unmöglichkeit, die wilde Migration lenk- und begrenzbar zu machen, ist ein Epiphänomen. Die Entmachtung der Politik durch die Verwaltung ist das Kern-problem der repäsentativen Staatsform. Aber das ist nicht, was Scholz hat sagen wollen. Er wollte sagen, ich wasche meine Hände in Unschuld. Dabei ist die Büro-kratisierung der Welt das Grundübel der industriellen und zumal der postindust-riellen Zivilisation. Das ist keine administrative, sondern eine politische Aufgabe.
Die politische Formation, der Scholz voransteht, ist von allen Prätendenten am we-nigsten qualiziert, sie zu bewältigen. Seit sie besteht, und puh, das ist lange, galt ihr die Ausdehnung des Öffentliche Dienstes als Generalschlüssel zur sozialen Frage und, wenn ich so sagen darf, als der realexiststierende Sozialismus.
Fast wäre es in Deutschland zu einer ernstlichen Auseinandersetzung über die Her-ausforderungen der digitalen Revolution gekommen. Und fast möchte man meinen, der Klamauk um die Zuwanderung diene zur Ablenkung. Denn ihr vor- und über-geordnet ist die Frage der Zukunft der Arbeit. Aber damit lässt sich weder Stim-mung machen noch lassen sich Stimmen gewinnen.
Es ist, wie gesagt, ein politisches Problem und kein administratives.
Mittwoch, 29. Januar 2025
Philosophieren auf der Metaebene.
Beate Güldner zu Philosophierungen
Alle Philosophie vor Kant redet auf der ersten semantischen Ebene, auf der Objekt-Ebene.
Die Transzendentalphilosophie redet nicht von den Objekten, sondern von
der ersten se-mantischen Ebene. Sie ist eine zweite semantische Ebene: Metà-Ebene.
*
Die Scholastiker redeten vorzugsweise von der intentio, was mit 'Bedeutung' zu übersetzen ist; von den Dingen sei's in dieser, sei's in jener Bedeutung.
Die Bedeu-tungen waren ihr Turnierplatz, nicht die Dinge. Aber so nahe
sie transzendentalen Fragestellungen immer wieder kamen - ergriffen
haben sie sie nie.
Schon bei Kant gerät in der transzendentalen Sichtweise das Ding-an-sich
arg in Zweifel, in der Folge wurde es ganz ausgetrieben. Das kam den
Scholastikern gar nicht in den Sinn. Ihre dogmatische Prämisse waren
Aristoteles' Entelechien. Die hatten, wie später die
Leibniz'schen Monaden, "keine Fenster". Man durfte sie bei-seitelassen,
ohne in logische Verlegenheit zu geraten.
Mit andern Worten, die Scholastiker redeten nicht von den Dingen, aber auch nicht von der ersten semantischen Ebene. Sie hielten auch keine Meta-Rede. Sie redeten - wie eine zeitgenössische philosophische Richtung - lediglich von 'den Wörtern und ihrer Verwendung'. Ihre 'Ebene' schwebt irgendwo im Niemandsland. Darum wirkt die eine heute so gegenstandslos und die andere so scholastisch; raten Sie, welche wie.
4. 5. 18
Dienstag, 28. Januar 2025
Cimabue im Louvre.
aus FAZ.NET, 28. 1. 2025
Cimabue im Louvre
Als Kaiser Napoleon den „Ochsenkopf“ stahl
Er
gilt als Erfinder der italienischen Frührenaissance: Eine fulminante
Ausstellung im Louvre wirft neues Licht auf den Maler Cimabue.
Von Cimabue wurden nur wenige dokumentarische Spuren überliefert. Umso größer war in der Vergangenheit die Versuchung, Legenden um sein Leben zu ranken. Durch Zu- oder Abschreibungen blieb auch der schmale Werkkorpus lange Zeit im Unklaren. Heute herrscht über etwa zehn Tafelgemälde Einigkeit, außer-dem stammen eine Freskengruppe in Assisi und Mosaike in Florenz und in Pisa von Cimabue.
Es gibt nur vier Dokumente, in denen der Maler zu Lebzeiten erwähnt wurde, entweder unter seinem tatsächlichen Namen Cenni di Pepo oder unter dem Spitznamen Cimabue, mit dem er schließlich in die Kunstgeschichte einging. Womöglich könnte dieser buchstäbliche „Ochsenkopf“ den Eigensinn und die Beharrlichkeit des Künstlers bezeichnen. Dokumentiert wurde, dass er aus Florenz stammte, sich um 1272 in Rom aufhielt, 1301 in Pisa lebte und 1302 starb. Das Geburtsjahr des Florentiners, 1240, nennt erst Giorgio Vasari, der dreihundert Jahre später seine berühmten Viten mit Cimabue beginnen lässt.
Eine Fliege auf der Nasenspitze
Vasari zufolge malte der junge Giotto eines Tages heimlich eine Fliege auf die Nase einer Figur des Meisters. Cimabue hielt sie für echt und wollte sie wegscheuchen. Mit diesem Späßchen hatte Giotto den Lehrer metaphorisch aus dem Feld geschlagen. Indirekt erzählt die Anekdote, dass die von Cimabue eingeführte realistischere, naturalistischere Art der Darstellung die symbolisch-schematische Malerei der mittelalterlichen Ikonen endgültig abgelöst hatte. Diesen Weg in die Renaissance zeigt die Ausstellung im Louvre unter dem Titel „Cimabue neu sehen – Zu den Ursprüngen der italienischen Malerei“.

Die Schau versammelt etwa vierzig Werke um zwei hauseigene Tafelgemälde des Florentiner Meisters, die in den vergangenen Jahren eingehend im Labor des Louvre untersucht und perfekt restauriert wurden: die monumentale Maestà, die Cimabue für die Kirche San Francesco in Pisa geschaffen hatte und Napoleon 1813 in den Louvre verschleppen ließ, außerdem ein kleines Tafelgemälde, das die „Verspottung Christi“ zeigt.
Letzteres gehörte zu einem Andachtsdiptychon mit Szenen der Passionsgeschichte und wurde erst 2019 in einem Auktionsinventar in Frankreich als ein Cimabue erkannt. Der Louvre hatte die Tafel – als nationales Kulturgut eingestuft – nach der Versteigerung zum erzielten Preis von gut 24 Millionen Euro erworben. Die beiden Bildwerke wurden bei der Restaurierung von Übermalungen und Schichten oxidierten Lacks befreit, die mit den Jahrhunderten die Farben verdunkelt hatten. Feine Nuancen, Details und Inschriften sind nun sichtbar geworden. Durch die eingehende Befassung mit den beiden Gemälden konnten neue Erkenntnisse zu Cimabues künstlerischen Innovationen gewonnen werden, die nun in der vom Louvre-Kurator Thomas Bohl ausgerichteten Ausstellung und dem begleitenden Katalog vorgestellt werden. Immerhin versammelt die Schau sechs Werke des toskanischen Meisters.
Außergewöhnliche Leihgaben
Das künstlerische Umfeld in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, als Cimabue seine Ausbildung begann, wird durch außergewöhnliche Leihgaben veranschaulicht. Die „Kreuzigung“ von Giunta Pisano (um 1250), der als Lehrmeister Cimabues gilt, wurde vom Nationalmuseum in Pisa trotz ihrer Fragilität nach Paris geschickt. Die Gestaltung der Gesichtszüge und des Körpers der Jesusfigur sind noch stilisiert und schemenhaft.
Gern hätte man sie im Vergleich neben Cimabues „Triumphkreuzen“ aus Arezzo (um 1270) und Florenz (um 1287) gesehen, die leider nicht verliehen wurden. Mehrere Maestà-Darstellungen – darunter die „Kahn-Madonna“ und die „Mellon-Madonna“ aus der Washingtoner National Gallery oder eine Jungfrau mit Kind des anonymen Meisters von Bigallo – zeigen, dass der byzantinische Stil und die maniera greca der orientalischen Ikonenmalerei für die religiösen Gemälde der toskanischen Künstler noch bis über die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts hinaus Vorbild standen. Die Andachtswerke galten als Acheiropoíeta, als nicht von Menschenhand geschaffen.
Ein Hauch von Weltlichkeit
Cimabue führte in den hieratischen Darstellungsstil der religiösen Szenen etwas Weltliches ein. Zu seiner Zeit wurde das Renommee der Künstler wichtig, die deshalb nach Originalität suchten. Seine etwa vier auf drei Meter große Maestà, die in leuchtenden Farben neu erstrahlend im Mittelpunkt der Ausstellung steht, wird auf 1280 datiert. Die Franziskaner-Brüderschaft in Pisa hatte Cimabue als damals wichtigsten Maler der Toskana mit der Ausführung beauftragt. Durch die jüngsten Untersuchungen, die Reste von Eisenhalterungen zutage brachten, ergab sich, dass die monumentale Tafel auf dem Lettner der Kirche San Francesco hing.

Cimabue erfand für das geläufige Thema eine neue Darstellungsweise, ließ Volumen der Körper entstehen, malte in fast realistischer Anatomie etwa die Hände und gab seinen Figuren, der Jungfrau mit dem Kind und den sechs umgebenden Engeln, einen emotionalen Ausdruck. Ein Vergleich mit anderen Gemälden, die von den Achtzigerjahren des dreizehnten Jahrhunderts an das Thema „Jungfrau und Kind“ behandeln, macht deutlich, wie Cimabues Einfluss die Darstellungsweise veränderte, lebendiger werden ließ und etwa seinen Nachfolger Duccio beeinflusste.
Zum ersten Mal werden in der Ausstellung die drei bekannten kleinformatigen Tafelgemälde des einst aus acht Bildern bestehenden Andachtsdiptychons (etwa 1285 bis 1290) zusammen gezeigt. Alle drei wurden in jüngerer Zeit wiederentdeckt. Die „Geißelung Christi“ tauchte 1950 auf und befindet sich heute in der New Yorker Frick Collection, während „Jungfrau und Kind mit zwei Engeln“ aus der National Gallery in London 1999 entdeckt wurde. Bei der vom Louvre kürzlich erworbenen „Verspottung Christi“ treten durch die Restaurierung nun die Farben in ihrer ganzen Subtilität hervor.
Erst jetzt sieht man, wie ausdrucksstark die Gesichter der aufgewiegelten Volksmenge gemalt wurden. Cimabue gab seinen Figuren mit blauen, violetten und orangefarbenen Tuniken die Kleidung seiner Zeit und legte trotz Kleinformat Wert auf realistische anatomische Details. Neue Erkenntnisse zur Optik ließen ihn erste perspektivische Darstellungen verwenden. Dante Alighieri, der 1265 in Florenz geboren wurde und den „Ochsenkopf“ Cenni di Pepo durchaus gekannt haben könnte, erwähnt den Maler im elften, den Hochmütigen gewidmeten Gesang des Purgatoriums seiner „Göttlichen Komödie“ als einst größten Meister, dessen Stern jedoch sank, als er von seinem Schüler Giotto übertroffen wurde.