Freitag, 13. Dezember 2024

Apologie des gesunden Menschenverstands.

                                              zu  Philosophierungen

Blindlings auf unsere Sinneseindrücke vertrauen - das tun nur ganz kleine Kinder. Schon Schulkinder wissen, dass manches auch täuschen kann. Aber im täglichen Leben ist das doch die Ausnahme, im Alltag reichen unsere fünf Sinne schon aus. Erst wenn man sich an was Gesuchtes und Ausgefallenes macht, muss man auf der Hut sein; und natürlich in Gesellschaft von Taschenspielern.

Es ist nicht der gesunde Menschenverstand, der den Alltagsmenschen vom Wissen-schaftler unterscheidet.


Es ist dies, dass sich der Wissenschaftler regelmäßig mit Gesuchtem und Ausge-fallenen beschäftigt und zu methodischer Skepsis angehalten ist - weshalb er die stete Konkurrenz der Kollegen braucht, die ihm missgünstig auf die Finger schauen.

Aber Achtung! Das Gesuchteste und Ausgefallenste ist nicht unbedingt das Ver-borgenste. Es ist im Gegenteil regelmäßig das, was allzu flach auf der Hand liegt: das Gewöhnliche, das Selbstverständliche. Wissen heißt - im Unterschied zum Glauben und allen andern Arten des Fürwahrhaltens - für seine Meinungen ge-prüfte Gründe haben. Das Selbstverständliche versteht sich von selbst und braucht keine Gründe. Wenn wir für jedes, buchstäblich
jedes unserer Urteile geprüfte Grün-de bräuchten, würden wir keine vierundzwanzig Stunden durchstehen, vielleicht nicht einmal eine halbe. Wir meistern das tägliche Leben nur, weil wir (ungefähr) neunundneunzig Prozent der Dinge, die wir wahrnehmen, als selbstverständlich behandeln - weil sie im Großen und Ganzen immer so sind und es auf die feinen Unterschiede im Alltag nicht ankommt.

Die Selbstverständlichkeiten unseres Sensoriums sind die Erbschaft von fast vier Milliarden Jahren Anpassung - so wie all unsere Hirnleistungen. So wie unser Denkvermögen, das gewissermaßen ihr Filetstück ist. Davon leben die täglich akribisch kritischen Wissenschaftler ebenso wie der unbefangene gesunde Men-schenverstand. Sie unterscheiden sich nicht in ihrer Substanz, sondern lediglich nach der Art und Weise und nach den Gegenständen, auf die sie angewendet werden.

Was sich wirklich vom gesunden Menschenverstand unterscheidet - allerdings auch nur nach dem Gegenstand und der Art und Weise, wie sie angewendet wird -, ist die Kritische alias Transzendentalphilosophie, die nach den Gründen nicht dieses oder jenes Wissensakts, sondern nach dem Grund unseres Wissen überhaupt
 fragt und sozusagen hinter sich greift. Da muss der gesunde Menschenverstand über seinen Schatten springen.

21. 6. 2016





Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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