aus spektrum.de, 8. 12. 2024 zu Philosophierungen, zu Realien?
F1F2F3F4F5F6F8F10F12 = 11!
Dass man in mathematischen Fachartikel auf Formeln stößt, ist nicht weiter über-raschend. Im Titel kommen sie allerdings nicht so oft vor. Und dass dort aus-schließlich eine Formel zu finden ist, fand ich so außergewöhnlich, dass ich mir ein wenig genauer angesehen habe, worum es hier geht.
Die Zahlen Fn auf der linken Seite der Gleichung sind die Fibonacci-Zahlen aus der gleichnamigen Reihe. Sie beginnt mit F1 = 1 und F2 = 2 und jede weitere Zahl ist die Summe der beiden vorherigen. Die ersten zehn Fibonacci-Zahlen lauten also beispielsweise: 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34 und 55. Auf der rechten Seite der Formel steht 11! Das Ausrufezeichen ist hier nicht als Ausdruck der Begeisterung gemeint, sondern steht als mathematisches Symbol für die Rechenoperation der Fakultät. In diesem Fall bedeutet 11!, dass die ganzen Zahlen von 1 bis 11 miteinander multipliziert werden. Das Ergebnis ist laut der Formel identisch mit dem Produkt der entsprechenden Fibonacci-Zahlen.
Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die Gleichung korrekt ist – aber das ist nicht das, worum es in dieser Arbeit geht. Die von den Forschern untersuchte Frage lautet: Wenn man eine beliebige Auswahl an Fibonacci-Zahlen miteinander multipliziert, was ist dann das größtmögliche Ergebnis, das als Fakultät dargestellt werden kann? Die Antwort, so der im Artikel geführte Beweis, ist die Formel aus dem Titel.
Das Problem klingt trivial, es steckt aber mehr dahinter als man auf den ersten Blick sehen kann. Die Zahlen der Fibonacci-Reihe werden natürlich immer größer, da sie aus der Addition der vorangegangenen Zahlen entstehen. Die Fakultätswerte werden ebenfalls immer größer, aber sie wachsen deutlich schneller, da hier multipliziert wird. Hinzu kommt, dass auch die Primfaktoren auf beiden Seiten der Gleichung übereinstimmen müssen. Das und das unterschiedlich schnelle Wachstum von Fibonacci-Zahlen und Fakultätswerten machen es immer schwieriger, die Gleichung zu erfüllen, je größer die Zahlen werden. Die beiden Autoren konnten zeigen, dass die Formel aus dem Titel tatsächlich die ist, die die größte mögliche Lösung darstellt.
Florian Luca scheint nicht nur ein Fan von Fibonacci-Zahlen zu sein, sondern seine Forschungsergebnisse generell gerne als Titel von Arbeiten zu verwenden. Einer seiner Artikel aus dem Jahr 2024 heißt zum Beispiel »F₄F₅⁶F₇F₈⁴F₉F₁₀²F₁₂⁵F₁₄F₁₅⁻¹F₁₈F₂₄F₃₀ = 36!«. Darin geht es um ein ähnliches Thema, aber mit einer kleinen Variation. Auch diese Arbeit ist interessant – und wer möchte, kann gern selbst nachlesen, worum es dabei geht.
Ich persönlich finde aber vor allem die Tatsache spannend, dass es in beiden Fachartikeln um die Begrenzung der Unendlichkeit geht. Die Reihe der Fibonacci-Zahlen hat kein Ende; es gibt per Definition keine größte von ihnen. Gleiches gilt für die Fakultät – und trotzdem ist 11! die Grenze, wenn es um den in der Formel dargestellten Vergleich mit den Fibonacci-Zahlen geht. Dass wir in der Mathematik bis in die Unendlichkeit (und tatsächlich sogar darüber hinaus) zählen können, ist eine der Eigenschaften, die sie so mächtig macht. Und genau deswegen finde ich es immer wieder besonders erstaunlich, wenn ich auf Gleichungen stoße, die zeigen, dass Zahlen mit bestimmten Eigenschaften nicht über eine konkrete Grenze hinauswachsen können. Die Unendlichkeit ist faszinierend, aber es ist beruhigend, dass sie nicht überall ist.
Nota. - Wenn es so wäre, dass die Welt in den Formeln der Mathematik begründet ist, könnte nichts, was mathematisch ausgedrückt werden kann, nicht wirklich sein. Wenn in der wirklichen Welt etwas vorkommt, was sich in den Formeln der Mathe-matik nicht ausdrücken lässt, kann es nur eine Sinnestäuschung sein.
Das ist die Grundlage westlicher Vernunft.
Nein, das war es, bis die Transzendental- alias Kritische Philosophie den Unter-schied zwischen denken und vorstellen bemerkt hat. Nachdem die Menschen auf dem Erdenrund im Lauf der Jahrtausende ihre ganz verschiedenen Vorstellungen mit einander in tätigem Alltag vergesellschaftet, verglichen und zu einem brauch-baren Geflecht verallgemeinert hatten, war ein System von Begriffen daraus ge-worden, die unter einander in einem Verhältnis stehen, das, weil es unhintergehbar ist, als logisch gilt. Es bewährt sich im täglichen Verkehr.
Freilich nur, solange er sich im Reich des Alltäglichen hält! Was nach 'oben' oder nach 'unten' darüber hinaus geht - geht darüber hinaus. Das alltäglich-Wirkliche ist schlechterdings endlich, so wie meine und deine Tage gezählt sind; und kann ja wohl nicht endlich sein, weil zu Jedem immer nur Eins hinzugefügt werden muss, um jede Grenze zu übersteigen. Ich kann mir dieses nur denken, aber nicht vorstel-len - oder, wenn Sie so wollen, wohl vorstellen, aber im Ernst nicht denken.
Die Welt ist eben gedacht...* oder vielleicht vorgestellt? Wenn man das wüsste.
Ist aber das eine dem Wahren näher als das andere? Es ist in diesem wie in jenem Fall eine Fiktion; allerdings eine unverzichtbare.
Doch vorstellen konnten wir schlechterdings; aber denken erst unter Vorausset-zungen.
*) Die Dinge haben sich durch den Widerstand, den sie meinen Launen leisten, als real zu erkennen gegeben, nicht aber die Welt: Die muss ich mir als deren Horizont dazudenken.
JE
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