Vor Jahren nannte ich mich in einem online-Profil arglos einen Libertär-Konser-vativen. Was inzwischen wie ein Pleonasmus klingt, war damal noch ein Paradox.
Im Deutschen ist 'libertär' nie in die Umgangssprache vorgedrungen. In den roma-nischen Sprachen ist libertaire oder libertario eine Umschreibung für die sit venia verbo politische Philosophie des Anarchismus - dessen politische Praxis bekannt-lich der bombenschmeißende Terror war, mit dem der Libertäre nicht unbedingt identifiziert werden wollte: Sein Bekenntnis galt vielmehr der Freiheit der Person als oberstem Maßstab des gesellschaftlichen Zusammenlebens, mit der das Bomben-schmeißen ja nicht ohne weiteres vereinbar ist.
Historisch ist libertario natürlich ein Derivat von liberal. Als liberales hatten sich in den von den napoleonischen Besatzungstruppen in Cádiz eingeschlossenen Kon-stituierenden Cortes des spanischen Königreichs die den Grundsätzen der franzö-sischen Revolution verpflichteten Anhänger einer konstitutionellen und parlamen-tarischen Monarchie bezeichnet - im Gegensatz zu den reales, der royalistischen Minderheit. Die von ihnen verabschiedete Ver-fassung, die freilich nie in Kraft ge-treten ist, war die erste demokratische Verfassung Europas; die die Franzosen ja nicht zuwege gebracht hatten.
Als liberales galten indes später auch die Anhänger der Königin Maria Cristina, die von Madrid aus einen strikt bürgerlichen Zentralismus in dem spanischen Flicken-teppich einzuführen versuchte - und damit die jahrzehntelangen Karlistenkriege von Zaun brach. Der klerikalkonservative Karlismus war, wie Karl Marx bemerkte, neben dem Anarchismus die einzige wirkliche Volksbewegung Spaniens, und seine eigentlichsten Gegner mochten mit Maria Cristinas und ihrer Tochter und Nachfol-gerin Isabella nicht in einen Topf getan werden.
Daher ihre Selbstbezeichnung als libertarios.
Damit hat die amerikanische Bezeichnung libertarian, wie sie jetzt für den neuge-wählten Präsidenten Argentiniens verwendet wird, weder historisch noch politisch irgendetwas zu tun. Entstanden ist sie auch dort als eine Korruptionsform von li-beral, aber gut hundert Jahre später, und in die entgegengesetzte Richtung.
In den Vereinigten Staaten ist liberal seit Franklin D. Roosevelts New Deal ein Etikett für das, was in Europa zur selben Zeit als sozialdemokratisch galt: Die Freiheit des Individuums ist nur dann die Grundlage des politischen Systems, wenn die Individuen auch über die sachlichen Mittel verfügen, sich ihrer Freiheit der Wahl zu bedienen. Der Chefideologe der damals als New Liberalism auftre-tenden politischen Strömung, die seither mehr oder minder die ideologische Grundlage der vormals eher populistisch-rassistischen Demokratischen Partei ausmacht, war der Philosoph und Pädagoge John Dewey.
In krassem Gegensatz zur amerikanisch Pioneer-Tradition ist ein amerikansicher liberal ein Befürworter staatlicher Verantwortung, wo immer Markt und bürgerli-cher Gemeinsinn nicht hinreichen - ein Befürworter von Big Government, wie es die republikanische Gegenseite nennt.
Libertarians nennen
sich dort seither die verbliebenen Vertreter des dogmatischen Alten
Liberalismus, denen alle staatliche Intervention in
zivilgesellschaftliche, na-mentlich marktbedingte Vorgänge als
Teufelszeug gilt. Die republikanische Popu-listen sind in dem Punkt hin- und hergerissen.
Während der europäische Libertäre so weit links stand, dass er sich ganz außerhalb des politischen Spektrums sah, wo um die Macht im Staat gerungen wird, ist der ge-genwärtige amerikanische libertarian so
weit rechts, dass er den Staat ganz abschaf-fen würde, wenn sich ohne
Staatsgewalt das Privateigentum schützen ließe; denn zu diesem Zweck ist
ihm der Staat gerade noch gut genug.
12. 12. 23
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