Freitag, 3. Mai 2024

Was war noch gleich die Zeit?


aus spektrum.de, 3. 5. 2024                                                  zu  Jochen Ebmeiers Realienzu Philosophierungen
 
Die Lebenszeit ist einzigartig
Zeit vergeht, und mit ihr unser Leben. Udo Marquardts Buch ist eine verständlich geschriebene und interessant zu lesende Reise durch die Geschichte der Zeit und die Versuche, sie zu verstehen.
 

Mit dem Begriff »Zeit« verbinden wir den Ablauf eines Tages, eines Lebens oder auch einer historischen Epoche. Die Zeit bestimmt unser Dasein, wir richten unseren Alltag und unser gesamtes Leben nach ihr aus. Aber wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir von Zeit sprechen? Udo Marquardt ist promovierter Philosoph und legt nun eine Ideengeschichte zum Thema vor. Dabei rekonstruiert er in sechs Kapiteln die Entwicklung unseres Verständnisses des Begriffs »Zeit«.

Was Zeit ist, wissen wir intuitiv, denn sie bestimmt und strukturiert unser Verhalten. Wir erinnern eine Vergangenheit, und wir können uns eine Zukunft vorstellen. Auf einer persönlichen Ebene wissen wir, dass bei einer interessanten Beschäftigung oder im Urlaub die Zeit verfliegt, während sie beim Warten kaum voranschreitet. Dennoch fällt es uns schwer, Zeit genau zu definieren. Vielleicht liegt dies auch daran, dass es »die Zeit« gar nicht gibt, sondern vielmehr gleichzeitig persönliche, gesellschaftliche oder auch naturwissenschaftliche Wahrnehmungen von Zeit existieren.

Zeit und Mensch 

Udo Marquardt
Zeit und Mensch
Facetten einer Kulturgeschichte
Verlag: Schwabe, Basel, 2024, 247 S.
ISBN: 9783796549472 | Preis: 28,00 €

Die wohl bekannteste Aussage dazu stammt von Augustinus, der die Frage, was Zeit sei, mit der Bemerkung »Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht« beantwortet. Ein Kapitel dieses Buchs widmet sich den philosophischen Aspekten der Vergänglichkeit und geht auch auf solche Aporien ein – also die Unmöglichkeit, eine philosophische Frage zu beantworten, ohne sich dabei in Widersprüche zu verwickeln. Hier werden grundlegende Ideen geschildert wie die »Zeit als Pfeil«, wenn wir uns etwa unser Leben vorstellen, das von der Geburt bis zum Tod dauert. Ebenso gibt es das Bild von »Zeit als Kreis«, also als wiederkehrenden Kreislauf, wenn es um die Beschreibung einzelner Wochen und Monate oder der Jahreszeiten geht. Der Autor erläutert die Entwicklung der Gedanken der Philosophen und die Ansichten der Physiker zum Zeitbegriff.

Gemessene Zeit als Struktur des Lebens

In einem historischen Abriss über »Das Messen der Zeit« stellt Marquardt die Bedeutung der Messung dar. Dieser reicht von den astronomischen Beobachtungen in Babylonien und Ägypten bis hin zu verschiedenen Arten von Kalendern, die immer wieder reformiert wurden, um schließlich in den weltweit verbreiteten Kalender zu münden, wie wir ihn kennen. Auf die Tageszeiten können wir vom Stand der Sonne rückschließen, und die Beobachtung von Mond und Sternen dient als Grundlage zur Erstellung von Kalendern. Die immer genauer werdende Messung der Zeit geht einher mit technologischen Entwicklungen. So erfahren wir, wie sich die Zeiteinheiten immer feiner messen ließen, von Wasser- und Sanduhren über mechanische Pendeluhren bis hin zu der Atomzeituhr, die heute die Weltzeit dominiert. Unser modernes Leben ist durch Kalender und Uhren strukturiert, Arbeitszeiten, Fahr- und Stundenpläne, und die Koordination internationaler Zusammenarbeit wäre ohne sie undenkbar. Und spätestens mit dem Beginn der Industrialisierung wurde es wichtig, Arbeitszeit zu messen und zu objektivieren. »Die Uhr gehört wie die Dampfmaschine, die Eisenbahn oder das Telefon zu den Instrumenten oder Maschinen, denen wir unsere moderne Gesellschaft verdanken«, schreibt der Autor und illustriert an zahlreichen Beispielen, dass die Zeitmessung eine wesentliche Grundlage für die Organisation moderner Gesellschaften ist.

So vermittelt der Autor, dass die Zeit zwar etwas Persönliches und Subjektives ist, aber gleichzeitig durch die technische Zeitmessung auch objektivierbar geworden ist. Marquardt schließt daraus, dass wir Zeit nicht nur als organisatorisches Werkzeug betrachten sollten, sondern als das eigentliche Leben – denn unsere individuelle Lebenszeit ist einzigartig und unwiederbringlich. Insgesamt ist sein Buch eine verständlich geschriebene und interessant zu lesende Reise durch die Geschichte der Zeit und die Gedanken, die sich Menschen im Laufe der Jahrtausende über sie gemacht haben.

 

Nota. - Es gäbe keine Zeit, wenn unser Leben keinen Anfang und kein Ende hätte; wenn es nicht verliefe: wenn wir gar nicht lebten.

Ach! Wenn wir nicht lebten, drehte sich die Erde doch um die Sonne und der Mond doch um die Erde. - Wohl; aber niemand wüsste davon und käme auf die Idee, das eine wie das andere zu messen und zu vergleichen. Auf letzteres käme es nämlich an. Denn wenn alles gleich lange dauerte, dann... dauerte nichts und gäbe es keine Zeit.

Haarspaltereien? Ohne gehts in dieser Sachen nicht ab. Man muss jedes Wort drei-mal umdrehen, sonst unterlaufen einem Patzer wie "dass es 'die Zeit' gar nicht gibt, sondern vielmehr gleichzeitig persönliche, gesellschaftliche oder auch naturwissen-schaftliche Wahrnehmungen von Zeit existieren": Von einem, das es nicht gibt, können keine Wahrnehmungen existieren. Einer nimmt dies wahr, ein anderer jenes, und beide nennen sie es jeweils Zeit. 

"Gibt es" das? Ein ganz feines Stöffchen, zarter als der Wind, den man immerhin selber messen kann - während man 'die Zeit' immer nur an etwas anderm wahr-nimmt? Das wäre Wortspielerei. Der springende Punkt ist, dass die Zeit nicht selber Etwas ist, sondern jeweils nur ein Verhältnis zwischen Etwassen. Und in diesem Verhältnis ist eines immer tätig; tätig - gegen das andere, oder womöglich allebeide auf einander. 

So kann man die Erde als tätig auf die Sonne auffassen und den Mond tätig auf die Erde. Und man kann, oder richtiger, man muss alles, was im Weltall als Gestirn vorkommt, als tätig auf alle andern auffassen - wobei dann von auffassen kaum noch die Rede sein kann. Denn das setzte voraus, dass man sie an etwas, nämlich etwas anderm, fixen, messen kann; etwas, das als nicht-tätig wahr nehmbar wäre.
JE

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