Donnerstag, 30. Mai 2024

Tierische Intelligenzen zum Xten.

Schwarzkopfmeise sitzt in Schneelandschaft auf Ast mit roten Beeren 
aus spektrum.de, 29.05.2024        Schwarkopfmeisen in den Wälder Nordamerikas           zu Jochen Ebmeiers Realien

Meisen bilden Erinnerungen als neuronalen Barcode
Schwarzkopfmeisen können sich Tausende von Futterverstecken merken. Jedes Versteck erhält dabei einen einzigartigen »Barcode« im Gehirn, der beim Wiederfinden reaktiviert wird. Lässt dies Rückschlüsse auf das menschliche Gedächtnis zu?

Dank dem episodischen Gedächtnis können wir uns an die großen und kleinen Dinge erinnern, die unser Leben füllen: zum Beispiel an die Geburt eines Kindes oder einfach daran, wo wir am Tag zuvor unser Auto geparkt haben. Episodische Erinnerungen kombinieren das Was, Wo und Wann eines Ereignisses. Auch Tiere besitzen diese Fähigkeit – so merken sich etwa Eichhörnchen und einige Vogelarten genau, wo sie im Herbst die unzähligen Samen versteckt haben, die ihnen durch den Winter helfen.

Es wird angenommen, dass episodische Erinnerungen im Hippocampus gebildet werden, aber die genauen neuronalen Mechanismen sind immer noch unklar. Im Fokus der Forschung standen bisher vor allem die Ortszellen, die eine räumliche Kartierung der Umgebung ermöglichen. Sie sind immer dann aktiv, wenn ein Mensch oder ein Tier einen bestimmten Ort betritt. Die Neuronen feuern unterschiedlich – je nachdem, was das Tier sieht, was seine Ziele sind und so weiter. So können die Zellen zwischen verschiedenen Ereignissen unterscheiden, auch wenn diese am selben Ort stattfinden. Allerdings müsste der Hippocampus seine »Karte« somit ständig aktualisieren, damit episodische Erinnerungen in Ortszellen realisiert werden können.

Forschende um Dmitriy Aronov von der Columbia University in New York kamen in einer in »Cell« veröffentlichten Studie auf eine alternative Idee: Vielleicht entstehen episodische Erinnerungen unabhängig von Ortszellen? Um dem auf den Grund zu gehen, führten sie Experimente mit Schwarzkopfmeisen (Poecile atricapillus) durch. Die Vögel ziehen im Winter nicht weg und müssen daher im Herbst Futterverstecke anlegen, um nicht zu verhungern. Sie sind Meister des episodischen Gedächtnisses und können sich an die Plätze Tausender von Leckerbissen erinnern, die sie in Rinden oder Astlöchern verstecken. Wie sie das schaffen, stellte die Wissenschaft bisher vor Rätsel.

Die Fachleute bauten eine Indoor-Arena mit 128 Versteckmöglichkeiten. Mit Hilfe von Videokameras zeichneten sie auf, wann die Schwarzkopfmeisen Sonnenblumenkerne versteckten und wiederfanden. Dank winziger implantierter Elektroden konnten Aronov und seine Kollegen genau nachvollziehen, was dabei in den Neuronen des Hippocampus vor sich ging. Sie fanden Überraschendes: Die Ortszellen veränderten ihre Signale nicht, wenn die Vögel neue Erinnerungen bildeten. Stattdessen feuerten jedes Mal, wenn eine Meise einen Samen versteckte, einige Nervenzellen kurzzeitig in einem einzigartigen Muster – wie ein Strichcode. Dieses Muster wurde reaktiviert, wenn das Tier den Samen wiederfand, selbst nach langen Zeiträumen. »Die Barcodes waren selbst für benachbarte Verstecke völlig unterschiedlich«, sagt Selmaan Chettih, Erstautor der Studie. »Sie sind unglaublich präzise«, fügt er hinzu.

Jeder Barcode repräsentiert ein einmaliges Ereignis

Jeder Barcode repräsentierte ein einmaliges Ereignis. Auch wurde der Code gelöscht, sobald die Meise den Samen gefunden hatte. »Höchstwahrscheinlich vergessen die Vögel es dann, da sie sich nicht mehr daran erinnern müssen«, sagt Vladimir Pravosudov, ein Evolutionsökologe an der University of Nevada in Reno. »Mit Hilfe der Barcodes lässt sich womöglich eine Erinnerung speichern, die viele einzelne Ereignisse beinhaltet. Gleichzeitig verhindert der Code, dass sich die Ereignisse gegenseitig stören oder ineinander verschwimmen«, sagt Chettih.

Da episodische Erinnerungen sowohl bei Vögeln als auch bei Menschen vom Hippocampus abhängen, könnte bei uns ebenfalls ein solcher Barcode existieren, glaubt Chettih. Pravosudov stimmt zu: Es handele sich wahrscheinlich um einen Artgrenzen überschreitenden, allgemeinen Mechanismus. Womöglich können in naher Zukunft entsprechende Studien bei Menschen stattfinden. »Es gibt bereits Labore, die Aufzeichnungen aus dem Hippocampus bei menschlichen Patienten mit Schläfenlappenepilepsie machen«, sagt Chettih und fügt hinzu: »Während die neuralen Prozesse, die dieser Art von Gedächtnisbildung zu Grunde liegen, noch undurchsichtig sind, ... sind Barcodes eine viel versprechende Möglichkeit.«

 

Eichelhäher
aus derStandard.at, 27. Mai 2024

Kluge Rabenvögel
Eichelhäher können auf "mentale Zeitreise" gehen
Die Waldvögel mit den schmucken blau-schwarz gestreiften Federn sind wahre Erinnerungskünstler und verfügen über ein episodisches Gedächtnis, wie Tests zeigen

Eichelhäher gehören zu den Rabenvögeln. Und das bedeutet, dass die sowohl optisch wie auch akustisch auffälligen Singvögel, die ihresgleichen und andere Tiere vor möglichen Feinden warnen, zu ziemlich außergewöhnlichen Intelligenzleistungen imstande sind. Einige der Eigenschaften dieser nicht gerade wohltönenden Alarmisten des Waldes ("screaming jay") waren der Forschung bereits bekannt. So sind die Männchen laut dem Rabenvogelfachmann Cord Riechelmann dazu in der Lage, die Futtervorlieben der Weibchen zu erkennen, ohne dass die Weibchen ihnen ihre Laune mitgeteilt hätten. Das können nicht alle männlichen Vertreter der Spezies Homo sapiens von sich behaupten.

Zu diesem erstaunlichen Vermögen, das darauf schließen lässt, dass die Männchen ihre Partnerinnen als Individuen mit eigenen Stimmungen und Innenleben wahrnehmen, kommt nun eine weitere kognitive Glanzleistung hinzu: Die gefiederten Schlaumeier können auf "mentale Zeitreise" gehen, wie der Psychologie-Dissertant James Davies (Universität Cambridge) argumentiert. Das bedeutet, dass die gefiederten Intelligenzbestien mental in die Vergangenheit zurückblicken und sich vergangene Ereignisse wieder ins Gedächtnis rufen können. Diese Fähigkeit gilt als Basis des episodischen Gedächtnisses und wurde Tieren lange abgesprochen. Das hat auch damit zu tun, dass diese Form der Rückerinnerung bislang eng an die Sprache geknüpft schien.

Meister des Merkens

Bleibt die Frage, wie die Forschenden um James Davies auf diese Eigenschaft der Eichelhäher stießen, deren Name davon herrührt, dass die Vögel pro Saison 3000 bis 5000 dieser Baumfrüchte pro Saison sammeln und verstecken. Dafür wieder müssen sich logischerweise so einiges merken. Und zufälliges Merken wiederum ist eben eine Voraussetzung der "mentalen Zeitreise" – also etwa, wenn wir uns bewusst an den letzten Supermarktbesuch zurückerinnern und uns dabei zufällig wieder einfällt, welche Farbe die Bluse der Frau an der Kasse hatte. Ende der zweckdienlichen Abschweifung und zurück zum eigentlichen Experiment.

Bei den Tests sahen die sieben teilnehmenden Eichelhäher (drei Weibchen, vier Männchen) zunächst, wie die Forschenden einen Mehlwurm unter einen Becher in einer Reihe von vier identischen Bechern legten. Im Anschluss erhielten sie dann für die richtige Identifizierung des Bechers mittels Ziehen an einem Fadens, der mit dem Bescher verbunden war, eine Belohnung. Die Eichelhäher wurden also darauf trainiert, sich den richtigen Becher zu merken.

EichelhäherWo ist der Wurm? Einer der sieben Eichelhäher beim Gedächtnistest.

Beim eigentlichen Test änderte sich dann die Gedächtnisprüfung: Die Eichelhäher sahen zwar wieder, wie Futter unter einen der Becher gelegt wurde, die nun alle eindeutige visuelle Merkmale (verschiedene bunte geometrische Figuren) aufwiesen. Danach wurden die Vögel aber für zehn Minuten von den Bechern getrennt.

Episodischer Gedächtnisbeweis

In dieser Pause stellten die Forschenden die Becher um und ordneten sie neu an. Trotz der veränderten Position der Becher und der Zeitverzögerung identifizierten die Vögel den Becher mit dem Mehlwurm immer noch in 70 Prozent der Fälle korrekt anhand der visuellen Merkmale. Obwohl die visuellen Unterschiede zwischen den Bechern während des Trainings unwichtig waren, waren die klugen Vögel in der Lage, diese Unterschiede beim Test zu bemerken und sich später daran zu erinnern – ganz ähnlich wie das beim episodischen Gedächtnis des Menschen passiert.

Die Schlussfolgerung des Teams um James Davies im Fachblatt PLoS One: Da die Eichelhäher in der Lage waren, sich an Details zu erinnern, die zum Zeitpunkt der Erinnerung keinen besonderen Wert oder keine besondere Bedeutung hatten, ist davon auszugehen, dass sie zufällige Informationen innerhalb eines erinnerten Ereignisses aufzeichnen, abrufen und darauf zugreifen können. Diese Fähigkeit ist charakteristisch für jenen Modus des menschlichen Gedächtnisses, bei dem wir vergangene Ereignisse (oder Episoden) geistig "wiedererleben" – das sogenannte '"episodische Gedächtnis".

Für die Forschenden ist offensichtlich, dass die Eichelhäher diese fortgeschrittene Form der Erinnerung dank ihres ständigen Gedächtnistrainings in freier Natur erworben haben. Dabei erinnern sie sich nicht nur an die eigenen Eichelverstecke und das jeweilige Haltbarkeitsdatum der versteckten Früchte. Ihr Gedächtnis hilft den Intelligenzbestien natürlich auch dabei, die Futterverstecke ihrer Artgenossen zu plündern, die sie beim Verstecken beobachtet hatten.

Originalpublikation:

PLoS One: "Eurasian jays (Garrulus glandarius) show episodic-like memory through the incidental encoding of information"

 

Nota. - Einer meiner Lieblissprüche heißt: Intelligenz ist Gedächtnis plus Humor. - Kann man Schwarzkopfmeisen oder Eichelhähern das Lachen beibringen?
JE

 

 

 

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