Mittwoch, 8. Mai 2024

Es ist unglaublich wenig, was eine Definition leistet.

                                                               zu Philosophierungen

Man schreibt sehr viel jetzt über Nomenklatur und richtige Benennungen, es ist auch ganz recht, es muß alles bearbeitet und auf das Beste gebracht werden. Nur glaube ich, daß man sich zu viel davon verspricht, und zu ängstlich ist den Dingen Namen zu geben die ihre Beschaffenheit ausdrücken.

Der unermeßliche Vorteil den die Sprache dem Denken bringt besteht dünkt mich mehr darin, daß sie überhaupt Zeichen für die Sache, als daß sie Definitionen sind. Ja ich glaube daß grade dadurch der Nutzen den die Sprachen haben wieder zum Teil aufgehoben wird. Was die Dinge sind, dieses auszumachen ist das Werk der Philosophie. Das Wort soll keine Definition sein, sondern ein bloßes Zeichen für die Definition, die immer das veränderliche Resultat des gesamten Fleißes der For-scher ist, und es in so unzählichen Gegenständen unsres Denkens ewig bleiben wird, daß der Denker daher gewöhnt wird sich um das Zeichen, als Definition gar nicht mehr zu bekümmern, und diese Unbedeutlichkeit auch endlich unvermerkt auf solche Zeichen überträgt die richtige Definitionen sind.

Und das ist auch dünkt mich sehr recht. Denn da einmal nun die Zeichen der Be-griffe keine Definitionen sein können, so ist fast besser gar keines derselben eine Definition sein zu lassen, als auf das Ansehen einiger Zeichen hin, die richtige Defi-nitionen sind, so vielen andern die es nicht sind einen falschen Kredit zu verschaf-fen. Das würde eine Herrschaft der Sprache über die Meinungen bewirken die alle den Vorteil wieder raubte den uns die Zeichen verstatten. Es ist aber nicht zu be-fürchten, die sich selbst überlassene Vernunft wird immer die Worte für das neh-men was sie sind.

Es ist unglaublich wenig was ein solches definierendes Wort leistet. Das Wort kann doch nicht alles enthalten und also muß ich doch die Sache noch besonders kennen lernen. Das beste Wort ist das das jedermann gleich versteht. Also sei man ja behut-sam mit der Wegwerfung allgemein verstandener Wörter, und man werfe sie nicht deswegen weg weil sie einen falschen Begriff von der Sache gäben!  

Denn einmal ist es nicht wahr, daß es mir einen falschen Begriff gibt, weil ich ja weiß und voraussetze, daß das Wort diene die Sache zu unterscheiden, und für das andere, so will ich aus dem Wort das Wesen der Sache nicht kennen lernen. Wer hat beim Metall-Kalch je an Kalch gedacht? Was kann es schaden die Kometen Kome-ten das ist Haar-Sterne zu nennen, und
was würde es nutzen sie Brand- oder Dampf-Sterne zu nennen? (Sternschnuppe.)

Es läßt sich selten viel in die Namen eintragen, so daß man doch erst die Sache kennen muß. Parabel, Hyperbel, Ellipse sind Namen dergleichen sich die Chymie weniger rühmen kann, denn 
[sie] drücken Eigenschaften dieser Linien aus, aus denen sich alle die übrigen herleiten lassen, welches freilich mehr reiner Natur der Wissen-schaft wohin diese Betrachtungen gehören als einem besonderen Witz der Erfinder dieser Namen zuzuschreiben ist. Aber was hilft eben diese Weisheit, man braucht sie wie den Namen Zirkel und Kreis oder Muschel-Linie, die keine Definition sind. Der Dispüt hat würklich etwas Ähnliches mit den puristischen Bemühungen der Sprachmelioristen, und Orthographen. Man hofft zu viel von guten und fürchtet zuviel von schlechten Wörtern. Die Richtigkeit des Ausdrucks ist es nicht allein sondern die Bekanntheit und der Wert eines Worts steht also gewissermaßen in der zusammengesetzten Verhältnis aus der jedesmalen Richtigkeit und der Bekanntheit. Freilich Regeln für die Wörterfertigung festzusetzen ist immer sehr gut, denn es kann ein Fall kommen, wo man sie gebraucht. Es ist würklich gut den Dingen griechische zu geben. Hätte man für die ganze Chemie hebräische Namen oder arabische wie Alkali pp, so würde man am besten dabei fahren je weniger man von dem Namen versteht.
________________________________________________________
Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft K, N° 19


Nota I. - Zu Lichtenbergs Zeit herrschte in Deutschland - und zwar bis zum Er-scheinen der Kritik der reinen Vernunft unbestritten - die rationalistische Metaphy-sik der Wolff-Baumgarten'sche Schule. Deren ganze Arbeit bestand darin, die ganze Welt in Begriffe zu fassen: Ihre Schriften bestehen buchstäblich aus einer Aneinan-derreihung von Definitionen. Das hinterließ seine Spuren im deutschen Geistesle-ben bis heute. Die derzeitige Popularität des 'analytischen' amerikanischen logischen Atomismus knüpft an einheimische Wurzeln an.
22. 8. 16 


Nota II. -  Lichtenberg, der Physikprofessor in Göttingen war, war ein findiger Kopf und war den heutigen Begriffsfetischisten schon damals weit voraus. Nicht zuletzt, weil er sich von Anbeginn mit den damals eben erschienen Kant'schen Kritiken beschäftigt hat; und zwar, anders als modebewusste Zeitgenossen, nicht auf der Suche nach einer neuen Rechtgläubigkeit, sondern kritisch, wie es sich gehört.  

Dass er im deutschen Mutterboden Wurzeln geschlagen hätte, kann man nicht eben sagen. An ihn kann jeder nur auf eigne Rechnung anknüpfen
JE, 19. 9. 21


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Blog-Archiv

Pausen sind gut und nötig; der Pausenhof ist ein Übel.

                                                          aus Levana, oder Erziehlehre Die Schule ist ein Ort, der Kinder in einer so ...