Dienstag, 14. Mai 2024

Der Flow, das Spiel und die Kunst.

                                                                               zu Jochen Ebmeiers Realien

Reife des Mannes: das heißt den Ernst wiedergefunden haben, den er als Kind hatte, beim Spiel.
Nietzsche 

Meine gestrige Bemerkung, wonach Vernunft aus dem Spiel hervorginge, klingt wit-zig, war aber ernstgemeint. 

Nicht in dem unmittelbaren Sinne, dass vernünftige Handlungen spielerisch entste-hen müssten, sondern mittelbar in dem Sinn, dass die Ausbildung von Spiel und Kunst den Mutterboden  gelegt haben, auf dem H. sapiens seine Intelligenz zum gattungsmäßigen Vermögen der Vernunft ausbauen konnte; und in der Lebensge-schichte eines jeden sind sie allerdings die Bedingung, sich dieses Vermögen indivi-duell anzueignen.  

Am 13. dieses Monats veröffentlichte Die Welt einen Beitrag über den Flow, in dem der Autor die glückliche Formulierng fand, dieser "Zustand, in dem Handlung und Bewusstsein verschmelzen, fühlt sich frei an".  

Ebendies ist der Schlüssel zu Spiel und Kunst - und Ursache und Zweck der Ver-nunft. 

Dies  schreibt wikipedia:

Flow (englisch für „fließen, rinnen, strömen“) bezeichnet das als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung (Konzentration) und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit („Absorption“), die wie von selbst vor sich geht – auf Deutsch in etwa Schaffens- bzw. Tätigkeitsrausch oder auch Funktionslust.

Der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi (1934–2021) gilt als Schöpfer der Flow-Theorie, die er aus der Beobachtung verschiedener Lebensberei-che, u. a. von Chirurgen und Extremsportlern, entwickelte und in zahlreichen Beiträgen veröffentlichte. Heute wird seine Theorie auch für rein geistige Aktivitäten in Anspruch genommen.

Flow kann bei der Steuerung eines komplexen, schnell ablaufenden Gesche-hens im Bereich zwischen Überforderung (Angst) und Unterforderung (Lan-geweile) entstehen. Der Flow-Zugang und das Flow-Erleben sind individuell unterschiedlich. Auf der Basis qualitativer Interviews beschrieb Csíkszent-mihályi verschiedene Merkmale des Flow-Erlebens.[1]

 Flow-Zustände können bei entsprechenden Bedingungen in hypnotische oder ekstatische Trance übergehen. Manche Wissenschaftler verstehen den Flow selbst bereits als Trance.[2]

Bevor Mihály Csíkszentmihályi den Begriff des „Flow“ im psychologischen Sinne prägte und genauer untersuchte, war das Phänomen – etwa in der Spielwissenschaft – schon bekannt: So formulierte etwa der Spieltheoretiker Hans Scheuerl[3] in den 1950er Jahren seine berühmten Kriterien für das Wesen des Spiels, bei denen er u. a. das „Entrücktsein vom aktuellen Tages-geschehen“, „das völlige Aufgehen in der momentanen Tätigkeit“ oder „das Verweilen in einem Zustand des glücklichen Unendlichkeitsgefühls“ hervor-hebt, in dem man für immer oder immer wieder verharren möchte. Auch in Friedrich Schillers viel zitiertem Satz „(…) der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“[4] klingt dieses glückhafte Gefühl des völligen Eins-Seins mit sich und der Welt im Spiel bereits durch. Mihály Csíkszentmihályi kommt das Verdienst zu, die Bedeutung des Phänomens auch über das Spiel hinaus erkannt und beschrieben zu haben. Nach Mihály Csíkszentmihályi bedingt das Eintreten von Flow-Gefühl klare Zielsetzungen, eine volle Konzentration auf das Tun, das Gefühl der Kontrolle der Tätigkeit, den Einklang von Anforderung und Fähigkeit jenseits von Angst oder Langeweile in scheinbarer Mühelosigkeit.[5][6]

Der Psychologe Siegbert A. Warwitz hat sich empirisch mit dem Phänomen des Flow-Erlebens in verschiedenen Altersstufen, bei unterschiedlichen Men-schengruppen, Tätigkeiten und Beanspruchungsgraden auseinandergesetzt.[7] Dabei kam er zu dem Ergebnis: Das „Urbild des Menschen im Flow ist das spielende Kind, das sich im glückseligen Zustand des Bei-sich-Seins befin-det.“[8] Das in seinem Spiel voll aufgehende Kind spielt nicht nur Robinson, sondern es ist Robinson. Das heißt, dass es sich mit der gespielten Figur total identifiziert und in ihr aufgeht. Das Spiel erfüllt nach Warwitz bereits alle we-sentlichen Kriterien, die für das Flow-Erleben charakteristisch sind:[9]

  • Das Kind fühlt sich den selbst gestellten Anforderungen gewachsen (Schwierigkeit der Aufgabe und Lösungskompetenz befinden sich im Gleichgewicht).
  • Es konzentriert die Aufmerksamkeit auf ein begrenztes, überschaubares Handlungsfeld (die Tätigkeit läuft im Nahbereich ab).
  • Auf die Aktivitäten erfolgen klare Rückmeldungen (der Handlungserfolg wird sofort erkennbar).
  • Handeln und Bewusstsein verschmelzen miteinander (eine Außenwelt existiert nicht).
  • Das Kind geht voll in seiner Tätigkeit auf (es überhört das Rufen der Mutter).
  • Das Zeitgefühl verändert sich (es lebt ganz im Hier und Jetzt).
  • Die Tätigkeit belohnt sich selbst (es bedarf keines Lobes von außen).

Dieses Gefühl der „Weltvergessenheit“ kann sich in vergleichbarer Weise bei dem Wissenschaftler einstellen, der unter „Vergessen“ der Bedürfnisse nach Essen oder Schlafen in langen Nachtarbeiten fast fanatisch eine ihn faszinie-rende Problemlösung verfolgt. Ihm kann der Techniker, der Bastler in seiner Werkstatt verfallen, der über seiner Versessenheit bei der Gestaltung eines ihn fesselnden Produktziels Familie und Freunde vernachlässigt. Ein beson-ders intensives Flow-Erleben fand Warwitz bei den Menschen, die sich bis an die Grenze ihrer physischen, psychischen und mentalen Möglichkeiten ver-ausgaben. Er erklärt das so, dass die extreme Herausforderung durch eine außerordentliche Tätigkeit deshalb eine intensive Ausschüttung von Glücks-hormonen bewirkt, weil der Handelnde spürt, dass seine Leistungsfähigkeit auch einer unglaublich schwierigen Aufgabe noch gewachsen ist. Diese Wir-kung zeigt sich sehr deutlich bei Ausnahmemenschen wie Grenzgängern, Artisten oder Extremsportlern, die im Glücksrausch ihrer Höchstleistungen auch gravierende Verletzungen ihrer Gesundheit, extreme Strapazen „ver-gessen“ und beispielsweise trotz abgefrorener Zehen in einer Art übermäch-tiger Glückseuphorie ihre ambitionierten Ziele weiter verfolgen. Nach War-witz kommt das extreme Flow-Erleben eher unter asketischen Bedingungen zustande, die hohe Eigenleistungen erfordern, als im bequemen Luxusmilieu.[1][6][7]

Für die Musikerszene wurde das Flow-Erleben von dem Musikpädagogen Andreas Burzik beschrieben.[10][11] Im Gegensatz zur kurzzeitig aufge-putschten Erregung des Kick entsteht hier eine länger andauernde Euphorie, eine Form von Glück, auf die der Einzelne Einfluss hat.

Körperliche Anzeichen

Es verdichtet sich die naheliegende Vermutung, dass das Empfinden eines Flow-Zustands von einer Veränderung von psychophysiologischen Variablen wie der Herzfrequenz, der Herzfrequenzvariabilität oder der Hautleitfähigkeit begleitet wird. Bisher gibt es einzelne Studien, die einen Zusammenhang von Flow-Empfindungen und psychophysiologischen Messungen untersuchten, aber es liegen noch keine abschließenden Resultate vor.[12]

Eine Tätigkeit im Flow erleben

Diagramm zum Flow zwischen Über- und Unterforderung. Stress, Überforderung und Angst liegen über der roten Linie. Langeweile, Unterforderung und Routine liegen unter der blauen Linie.[13] Der Flow liegt genau dazwischen, und wenn Fähigkeiten und Anforderungen zusammen steigen, wird der Bereich des Flow größer. Der Flow ist wie ein sich ausdehnender Strahl zwischen der roten und blauen Linie, und nicht allein die grüne Linie.

Um in den Zustand des Flow zu gelangen, muss man sich einer Tätigkeit voll hingeben, muss die An-forderung die volle Konzentration beanspruchen.[14] Sie darf jedoch nicht so hoch sein, dass man überfordert ist, denn dann ist die „Mühelosigkeit“ nicht mehr gegeben. Das Flow-Erlebnis wird durch diese beiden Faktoren Mindestanforderung und Anforderungsgrenze (in der Grafik als Linien) beschränkt. Durch das Eintreten in eine solche Phase ent-steht eine Selbst- und Zeitvergessenheit, da die Aufgabe ganze Aufmerksam-keit erfordert.

Csíkszentmihályi hebt die Bedeutung des Spielerischen in Flow-Handlungen hervor – nicht etwa im Sinne von „trivial oder nicht ernst zu nehmen“, son-dern in dem Sinne, dass „der Mensch, der sie vollzieht, kreativ und gestal-terisch wirkt, [...] darin aufgeht und darin seinen freien Ausdruck findet“.[15] Zugleich betont er das Erfordernis, die Erwartung eines Erfolgs der Hand-lung loszulassen[16] und frei zu sein von Sorge und Angst um sich selbst oder das eigene Ansehen.[17] Nach Csíkszentmihályi verlangt Flow einerseits ein Streben nach Kontrolle, andererseits ein Bewusstsein dessen, dass die Situa-tion in ihrer Gesamtheit unvorhersehbar und unberechenbar ist.[18] Warwitz betont, dass sich das Flow-Erleben „verflüchtigt“, wenn die Kontrolle über das Geschehen verloren geht oder verloren zu gehen droht: Der Akteur fällt aus dem glückhaften Flow. In gefährlichen Situationen kann die emotionale Befindlichkeit dabei in Angst oder sogar Panik umschlagen.[19]

Flow ist ein Zustand und keine Technik. Für das Erleben des Flowzustands müssen Störelemente, die ablenken, beseitigt sein. Der Flowzustand kann ein-zeln, aber auch gemeinsam in einer Gruppe erlebt werden. Das Erreichen ist an keine bestimmte Tätigkeit gebunden.[20] ...

Evolutionstheoretische Erklärung

Die größte Wahrscheinlichkeit, einen Flow-Zustand zu erleben, haben Men-schen in Situationen, die sie weder über- noch unterfordern, in denen sie weder Disstress noch Langeweile ausgesetzt sind. Die Evolutionäre Emo-tionsforschung begründet dieses Phänomen mit folgender Argumentations-kette aus der Stammesgeschichte des Menschen:[35]

  • Die Natur ist in einem ständigen Wandel begriffen. Lebensumstände und Verhaltensweisen, die sich eine Zeitlang als günstig für das Überleben und die Fortpflanzung bestimmter Lebewesen (d. h. Individuen, Mitglieder einer Population) erwiesen haben, verlieren dadurch ihre Vorteile. Die Lebewesen sind gezwungen, sich neue Fertigkeiten anzueignen oder neue Lebensräume aufzusuchen. Anderenfalls drohen sie zu sterben, bevor sie Nachkommen in die Welt gesetzt haben. Je nach angeborener emotionaler Ausstattung reagieren die Lebewesen unterschiedlich auf diese Herausforderung. Die Bandbreite der Reaktionen lässt sich anhand zweier Extremtypen beschreiben:
  • „Konservative“ Lebewesen leiden unter einem schwachen Selbstvertrauen. Am wohlsten fühlen sie sich daher in Standardsituationen. Schon kleine Abweichungen vom Gewohnten bereiten ihnen Disstress und vermitteln ihnen das Gefühl der Überforderung. Dauernd haben sie Angst davor, ihre eingespielten Verhaltensweisen bzw. angestammten Lebensräume aufgeben zu müssen. Aufgrund dieser Versagens­angst entwickeln sie auch keine Bereitschaft, sich neue Fertigkeiten anzueignen, um mit den geänderten Gegebenheiten besser zurechtzukommen. Wegen ihrer Unflexibilität laufen diese Lebewesen mit wachsender Änderung ihrer Umwelt Gefahr zu sterben, bevor sie ihre Gene an die nachfolgende Generation vererben können. Konservative Lebewesen können sich nur solange am Leben erhalten und fortpflanzen, wie sie in einer sehr statischen Umwelt leben, wo sie sich auf ihre bewährten Fähigkeiten verlassen können.
  • Explorative“ Lebewesen hingegen fühlen sich schnell unterfordert und verfallen in Langeweile, wenn sie keine Gelegenheit haben, Neues zu erleben. Dafür sind sie auch bereit, Mühen und Anstrengungen auf sich zu nehmen. Ständig suchen diese Lebewesen nach neuen Reizen und wechseln deshalb auch ohne zwingenden äußeren Grund häufig ihren Lebensraum. Mit ihrer Rastlosigkeit und ihrem unstillbaren Hunger auf neue Herausforderungen eröffnen sich ihnen zwar manche Chancen, die konservativen Lebewesen vorenthalten bleiben. Vor lauter Überdruss setzen sie diese Chancen aber leicht wieder aufs Spiel und gehen dadurch unnötige Risiken für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ein. Explorative Lebewesen profitieren von ihrer Neugier und ihrem Übungseifer nur solange, wie sie in sehr dynamischen Umwelten leben, wo sie schneller als ihre konservativeren Artgenossen Antworten auf die geänderten Bedingungen finden.
  • In der jüngeren menschlichen Stammesgeschichte waren gemäßigt dynamische Umweltbedingungen häufiger als extrem statische oder extrem dynamische Bedingungen (vgl. Massenaussterben und Evolution). Lebewesen, die ihre Leistungspotenziale im selben Tempo angepasst haben wie sich die Umwelt änderte, können dementsprechend als „gemäßigt explorativ“ bezeichnet werden. Diese Lebewesen empfanden weder gleich Langeweile, wenn sich ihre Umgebung kaum änderte, noch schreckten sie vor den Mühen zurück, sich neue Fertigkeiten anzueignen oder einen neuen Lebensraum aufzusuchen. Lebewesen, die von ihren Gefühlen zu einem „gemäßigt explorativen“ Verhalten motiviert wurden, hatten somit die größten Chancen, ihre Gene zu vererben. Sie waren einem schwächeren Selektionsdruck ausgesetzt als rein konservative oder rein explorative Lebewesen.

Aus diesen Gründen erleben heutige Menschen in Situationen, die ein „mitt-leres“ Maß an Anstrengung erfordern, am ehesten einen Flow-Zustand. Men-schen, die dagegen schon bei sehr kleinen oder erst bei sehr großen Anstren-gungen in einen Flow geraten, sind eher selten. Sie gehören zu Minderheiten, deren stammesgeschichtliche Vorfahren das Glück hatten, trotz ihres unge-wöhnlichen Emotionshaushaltes nicht selektiert zu werden. Das Gefühl des Flow kann somit als „Belohnung“ der Natur für ein evolutionär „sinnvolles“ Explorationsverhalten interpretiert werden.

 aus wikipedia

Der Schlüssel, von dem ich oben sprach, ist eine Metapher. Ein Begriff ist er nicht, zugegeben, aber Begriffe sind auch erst am Platz, wenn wir uns schon auf dem Bo-den den Vernunft befinden. Spiel und Kunst liegen aber noch in seinem Grund-stock, engl. basement; ihr Indifferenzpunkt ist eben der Flow. Er treibt sie alle. Denn sie alle sind um ihrer selbst willen. Nicht, wohlbemerkt, um des Flows willen! Sie stellen sich nicht ein, damit er gelingt, sondern er stellt sich ein, wenn sie gelin-gen. Davon weiß das Individuum gar nichts (bevor es nicht dies Blog besucht).

Und wie Sie oben lesen konnten, ist das zwar kein biologisches Objektivum, aber auch keine  Hirnweberei, sondern lässt sich individuell sogar physiologisch beschrei-ben.

 

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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