
aus derStandard.at, 26. 7. 2025 zu öffentliche Angelegenheiten, zu Philosophierungen
Das Internet ist tot. Die meisten Online-Interaktionen sind KI-generiert – von Menschen produzierter Inhalt und Kommunikation wurden zurückgedrängt. Das Netz, wie wir es kennen und täglich nutzen: eine Illusion voller Bots und computer-generierter Bytes.
Das besagt zumindest die "Dead Internet Theory". Eine Theorie mit verschwö-rungstheoretischem Ansatz, die sich erstmals 2021 in diversen Internetforen ver-breitet hat und dem Internet ein Todesdatum irgendwo zwischen 2016 und 2017 bescheinigt – seit fast zehn Jahren soll das World Wide Web also ein Spielplatz KI-generierter Interaktionen sein.
Doch durch die rapide Entwicklung der Künstlichen Intelligenz scheint der Begriff einer "Verschwörung" in den Hintergrund zu rücken und die Theorie einen realen Anstrich zu erhalten.
94 Prozent der Menschen in Österreich nutzen täglich das Internet – das geht aus dem im STANDARD berichteten und für Österreich durch A1 angewendeten D21-Digitalindex hervor. Kurzum: Eine Person in Österreich zu finden, die sich nicht durch Internetdienste informieren oder helfen lässt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Gleichzeitig zeigt der Bericht, dass rund 57 Prozent der digitalen Welt skeptisch ge-genüberstehen – 30 Prozent sehen in der Digitalisierung gar eine regelrechte Ge-fahr für die Demokratie.
Eine Skepsis und augenscheinliche Gefahr, die durch die schier unaufhaltsame Welle der Künstlichen Intelligenz nicht sofort abnehmen wird. Schließlich stehen wir mittlerweile oft vor dem Problem, dass KI und ChatGPT keine rein lustigen Spielereien mehr sind – KI ist allgegenwärtig, aber vor allem nicht mehr immer als solche erkennbar.
Während der jüngsten Proteste in Los Angeles verbreiteten sich zahlreiche irre-führende Fotos, Videos und Texte in sozialen Medien. Sie griffen alte Verschwö-rungstheorien auf, unterstützten US-Präsident Donald Trumps Maßnahmen und vermittelten fälschlich den Eindruck, die gesamte Stadt sei von Gewalt betroffen.
Auch bereits 2016, zum ersten Wahlsieg des momentanen US-Präsidenten, hat eine Studie herausgefunden, dass mindestens 400.000 Bots die politische Diskussion zur damaligen US-Präsidentschaftswahl auf Twitter aufgemischt haben. Diese Bots produzierten ungefähr 20 Prozent aller zum Thema passenden Tweets – über drei Viertel davon waren rein positive Botschaften über Trump. Beweise dafür, dass sich KI und Falschinformationen gezielt für eigene Zwecke einsetzen lassen.
Doch nicht nur im politischen Kontext sind Bots, Falschinformationen und schwer als solche erkennbare KI-Inhalte zu finden. Wer sich einmal auf der Plattform Tik-tok herumgetrieben hat, dem fiel beim schnellen Scrollen durch die Kurzvideos wo-möglich auf, dass da bei weitem nicht alles menschengemacht ist. Eine KI-generier-te Stimme hier, eine synthetische Person dort. Unten zwar oft klein als "KI-gene-riert" gekennzeichnet oder zumindest mit dem passenden Hashtag versehen, beim schnellen Scrollen jedoch leicht zu übersehen – selbst vermeintlich kreative Platt-formen scheinen von KI überschwemmt zu werden.
Doch schon lange vor Tiktok und Deepfake-Videos war Social Media nicht mehr ausschließlich von echten Menschen bevölkert. Bereits 2018 enthüllte eine Recher-che der New York Times, wie eine obskure amerikanische Firma namens Devumi über 3,5 Millionen Social-Media-Bots verkauft hatte – automatisierte Accounts, die täuschend echte Profile imitierten, inklusive Name, Profilbild und Biografie. Diese Bots verbreiteten rund 200 Millionen Tweets und wurden unter anderem von Pro-minenten, Influencern und Unternehmen gekauft, um Reichweite und Einfluss künstlich aufzublasen.
Ist das Internet also tatsächlich tot? Mit derart verallgemeinernden Aussagen ist höchste Vorsicht geboten. Schließlich können wir nicht alle Inhalte im Netz hand-fest auf deren Authentizität prüfen – einige durchgeführte Studien und wissen-schaftliche Untersuchungen deuten allerdings auf eine Tendenz zu einem zumindest "halbtoten" Internet hin.
Ahrefs – eine Firma, die hauptsächlich eine Suchoptimierung für Unternehmen, Marketer und Content-Creators anbietet – hat erst im April eine Analyse von 900.000 Webseiten veröffentlicht und dabei festgestellt, dass rund 74 Prozent neu aufgesetzter Webseiten zumindest einen Teil an nicht menschlich geschaffenem Content inkludieren. Knapp 2,5 Prozent sind laut Ahrefs sogar gänzlich computer-generiert, ungefähr 47 Prozent weisen eine "substanzielle KI-Nutzung" auf.
In eine ähnliche Richtung geht auch der jährlich durchgeführte Bericht der US-Firma Imperva von 2024. Das Unternehmen für Cybersicherheit untersuchte und erforschte die Art des automatisierten Internetverkehrs – hauptsächlich automati-sierte Bot-Angriffe. Dabei kam es zum Schluss, dass circa 49,6 Prozent jeglichen Internetverkehrs nicht menschlich sind – laut Imperva kratzen wir zumindest massiv an der Schwelle zum toten Internet.
Das flächendeckend womöglich größte Problem zeigt jedoch eine andere umfas-sende Studie von Amazon Sciences: die Flut an maschinell übersetzten Texten im Netz. Laut einer Analyse von über sechs Milliarden geschriebenen Sätzen im Inter-net, in über 90 Sprachen, stellte sich heraus, dass in vielen weniger vertretenen Sprachen große Teile des Webs aus automatisierten Übersetzungen englischer Originaltexte bestehen.
Dabei durchlaufen sie oft mehrere maschinelle Übersetzungsschritte – ein Prozess, der zu erheblichen Qualitätsverlusten führt: von Englisch nach Französisch, von Französisch nach Deutsch, von Deutsch nach Kroatisch, oft stilistisch künstlich, inhaltlich unpräzise oder gar schlicht falsch – ein Stille-Post-Prinzip. Das ist insbe-sondere kritisch, weil KI-Modelle wie ChatGPT genau aus diesen verzerrten Daten lernen. Stichwort "AI-Slop".
Stichwort "AI-Slop" – also minderwertige, oft automatisiert generierte Texte, die ohne redaktionelle Kontrolle massenhaft ins Netz gelangen. Geraten solche Texte in Trainingsdaten zukünftiger KI-Modelle, entsteht ein Kreislauf der Qualitätsver-chlechterung: Maschinen lernen von maschinellem Unsinn.
Natürlich sind all diese Zahlen und Studien mit Vorsicht zu genießen und sollen die "Dead Internet Theory" nicht zur Wahrheit erklären. Die Erkenntnisse lehren uns jedoch eines: Sobald wir uns online bewegen, gilt es, die eigenen Sinne zu schärfen.
Das Internet ist demnach nicht tot – aber es ist dabei, seine Echtheit zu verlieren. Was als menschlicher Marktplatz der Ideen begonnen hat, wird mehr und mehr zu einer Spielwiese für die KIs. Zwischen Bots, Deepfakes, synthetischen Stimmen und automatisierten Übersetzungen wird es zunehmend schwieriger, das Echte vom Künstlichen zu unterscheiden.
Die "Dead Internet Theory" mag überspitzt sein, doch die Zahlen und Entwick-lungen der letzten Jahre deuten klar darauf hin: Wir stehen nicht vor einer digitalen Apokalypse, sondern mitten in einem schleichenden Wandel, bei dem der Mensch im Netz leiser wird – und der Algorithmus übernimmt. Die Frage ist nicht mehr, ob KI das Internet verändert. Sondern wie viel Mensch noch übrigbleibt.
Nota. - Mit jedem Tag, da KI Content generiert, und das tut sie aus dem und haupt-sächlich für das Internet, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei ihrer Suche auf Daten stößt, die sie selber eingegeben hat. Und da ihr Wirken im Internet wohl noch ein wenig rasanter wächst, als der menschliche Internet-Zugriff in den 2000er Jahren, wird schließlich der Tag kommen, wo sie selbst ihre eigene wichtigste Quelle ist. Sie mag die im Wortsinne phantastischsten Ergebnisse erbringen, ohne dass menschliche Intelligenz die Chance hätte, wenigstens ihre Wahrscheinlichkeit zu überprüfen; ganz zu schweigen von ihrer Wahrheit.
Ist es aber statthaft, KI als ein Ganzes zu betrachten? Da sie sich selber im Internet nicht identifizieren lässt, ist sie nicht einmal das. Sie geht in der anonymen Masse der User unter. Sie ist nicht nur Ursache ihrer selbst, sondern weiß es nicht einmal. Das www "ist" ja auch schließlich nur virtuell.
Da kriegt man eine Gänsehaut.
PS. In der Sprache der Scholastik ist causa sui - Grund seiner selbst - Attribut des ens perfectissimum - des vollkommenen Seins; und das wiederum ist GOtt selbst.
JE
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