Freitag, 17. Oktober 2025

Tafelkultur.

„Gastmahl im Garten eines italienischen Palastes“. Gemälde von Sebastian Vrancx (1573-1647) aus welt.de, 8. 10. 2025   Gastmahl im Garten eines italien. Palastes, Sebastian Vrancx (1573-1647)   zu Geschmackssachen

„Die Kraft des gemeinsamen Essens“ – Von Faustkeilen, Penisbechern und Raviolidose
Interessant ist hier nicht, was gegessen wurde, sondern wie: Mit uralten Funden, antiken Artefakten und modernen Alltagsgegenständen zeigt eine neue Ausstellung, was unser Miteinander zu Tisch seit 300.000 Jahren prägt – einige Exponate sind kurios.

Von Martin Klemrath  

Seit Jahrtausenden spielt das gemeinsame Essen für den Menschen eine wichtige Rolle. Dabei geht es um weit mehr als die bloße Nahrungsaufnahme, es ist immer auch ein symbolisches Ritual, Ausdruck etwa von Zugehörigkeit oder Wertschätzung. Und es bietet ein perfektes Forum für Kommunikation: plaudern, diskutieren, sich-aussprechen, verhandeln – all das geht beim Essen besser.

Nicht umsonst spielen Staatsbanketts und andere Einladungen zum Essen und Trinken seit jeher eine wichtige Rolle in der internationalen Politik und Diplomatie. Unvergessen ist etwa, wie Bundeskanzler Helmut Kohl Gäste aus aller Welt ins Hotel-Restaurant Deidesheimer Hof in der Pfalz führte, um ihnen dort sein Leibgericht, den legendären Saumagen, zu servieren. Oder die Wein-Diplomatie von Konrad Adenauer, der sich damit 1949 die Kanzlerschaft sicherte und auf seiner Frankreich-Reise 1962 den Präsidenten Charles de Gaulle erfreute.

Interessant und aufschlussreich ist bei historischen und modernen Esskulturen nicht nur, was gegessen wurde, sondern vor allem auch wie. Und mit letzterem befasst sich jetzt eine Sonderausstellung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). „Mahlzeit! Wie Essen uns verbindet“ ist bis zum 13. September 2026 im Museum für Archäologie und Kultur in Herne (Nordrhein-Westfalen) zu sehen. 300 Exponate zeigten die Vielfalt der Esskulturen weltweit von der Steinzeit bis heute.

Zu sehen sind archäologische Funde aus der Region, aber auch Kunstwerke, Fotografien und audiovisuelle Medien. Mitmach-Stationen für Erwachsene und Kinder sorgten für spielerischen Spaß. Mithilfe von Virtual-Reality-Brillen können die Besucher sogar zu Gästen eines opulenten, aristokratischen Festessens im 18. Jahrhundert werden.

„In Herne geht es um die Kraft des gemeinsamen Essens und Trinkens, um Rituale, Regeln, Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die seit Jahrtausenden am Tisch entstehen und die uns bis heute prägen“, so LWL-Direktor Georg Lunemann.

Eine „Eberkopfterine“ steht in der Ausstellung in Herne Eine „Eberkopfterine“ steht in der Ausstellung in Herne 

Das gemeinsame Speisen fungiere dabei seit jeher als sozialer Klebstoff, könne aber auch gesellschaftliche Unterschiede markieren, erläuterte der Kurator der Schau Matthias Bensch. In der Ausstellung wird das immer wieder auch veranschaulicht durch das kontrastreiche Gegenüber archäologischer Funde und historischer Sammlungsstücke: Antike Trinkgefäße, glänzendes kurfürstliches Silber oder kunstvoll gearbeitetes Porzellangeschirr stehen einfachen Holztellern und Schöpfkellen oder austauschbarer Teller-Massenware aus heutigen Küchenschränken gegenüber.

Zahlreiche Alltagsgegenstände in den Vitrinen schlagen ebenfalls die Brücke in die Gegenwart: Ein abgegriffener Henkelpott zeugt von den robusten Mahlzeiten eines Bergmanns unter Tage, ein Coffee-to-go-Becher von der hektischen Kaffeekultur der Gegenwart. Und eine Raviolidose erzählt vom Einzug des Convenience-Essens in die Familienküchen der Nachkriegsjahre. Dieser kam einer kleinen Revolution gleich. Hintergrund waren das Wirtschaftswunder und die Reiselust der Deutschen. Generationen sind seither mit dem Gericht aufgewachsen.

Ein besonderes Exponat ist laut der neuen Museumsleiterin Melanie Wunsch ein Faustkeil aus Bad Salzuflen. Mit einem Alter von rund 300.000 Jahren ist er der älteste westfälische Fund überhaupt und diente seinerzeit als Multifunktionswerkzeug. Viel später erst entwickelten sich daraus spezialisierte Tischgerätschaften wie Gabeln oder Messer.

Auch Kurioses werde gezeigt, so Kurator Bensch. „Aus einem Trinkgefäß in Penisform hat vermutlich eine Klostervorsteherin im 16. oder 17. Jahrhundert getrunken, vielleicht um ein für die Zeit revolutionär anmutendes feministisches Statement zu setzen.“

„Mahlzeit! Wie Essen uns verbindet“, bis zum 13. September 2026 im LWL-Museum für Archäologie, Europaplatz 1, 44623 Herne, geöffnet Dienstag, Mittwoch und Freitag von 9.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag von 9.00 bis 19.00 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11.00 bis 18.00 Uhr, Eintritt Erwachsene 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, Besucher bis 17 Jahre frei. 

 

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