Montag, 6. Oktober 2025

Staunen ist er Anfang des Reflektierens.

                                                            zu Philosophierungen

Am Anfang der Philosophie, meinten die alten Griechen, stünde das Staunen - und die mussten es wissen, denn sie hatten das Philosophieren erfunden.

Der Neugeborene staunt über nichts, denn neu ist ihm Alles. Alles ist ihm gegeben, und so nimmt er es wahr. Er muss schon recht vieles wahrgenommen haben, eh er an diesem oder jenem stutzig wurde: Es passt nicht in die gewohnte Reihe. Die muss sich schon als selbstverständlich angelagert haben, ehe etwas aus der Reihe tanzen konnte; aber dann staunt er. 

Bei der östlichen Weisheit ist das anders. Sie erwächst wie die Zwiebel aus einem Kern in immer neue Schalen, die keinen Sprung darstellen, sondern minutiöses Übergehen. Ihre Weisheit wächst ohne Stufen, eines kommt aus dem andern. Das mag man bewundern, aber zum Staunen findet sich kein Anlass.

Westliches Philosophieren stammt nicht aus dem Zusehen organischen Werdens, sondern aus der Unruhe vor dem Zwiespalt: hier Heraklits ewiger Wandel, dort das unabänderliche Sein der Eleaten. Seit Plato ist Philosophie ein Arbeiten an diesem Gegensatz: das eine dem andern vor- und überordnen, ober beide miteinander ver-mitteln? 

Und Heraklit behielt Recht: Polemos wurde zum Vater aller Dinge. Die Realge-schichte Europas gab den Ausschlag

Das macht den substanziellen Unterschied zwischen östlicher Weisheit und west-lichem Philosophieren aus: Probleme aufsuchen und austragen, oder metaphorisch hinwegschwärmen? Reflektieren ist das Prinzip dieser, und rauschhaftes Dämmern das der andern. 

Letzteres passte besser zur asiatischen ewigen Wiederkehr desselben. Solange, bis auch der fernste Osten dem Sog des Weltmarkts und der Globalisierung erlag. Was dabei herauskommen mag, wird man sehen. Doch auf keinen Fall werden es Ge-lehrte auf Papier entscheiden.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Blog-Archiv

Angst.

  eingeschlossen aus derStandard.at, 11. 10. 2025                                                                                      zu   ...