Tyrannenmörder zu Philosophierungen Ich schätze Stefan Schleims Beiträge so, dass ich einige von ihnen in mein Blog übernommen habe. Ich habe daher gewisse Erwartungen an ihn. In diesem Fall wird er ihnen nicht gerecht, und ich muss mich wundern.
Mir
kam daher der Verdacht, er habe sich's absichtsvoll leicht gemacht.
Frau Soh-mens Beitrag ist so unbedarft, dass er ihn nicht im Ernst zum
Ausgang einer phi-losophischen Erörterung nehmen konnte. Das hat er auch
nicht getan, denn phi-losophisch sind seine Einlassungen nur zum Schein.
Die Frage nach dem freien Willen ist so, wie er sie darstellt, eine Frage der prak-tischen Lebensklugheit.
Der
normale Sterbliche fragt sich im wirklichen Leben nicht, ob seine
Entscheidung frei, sondern ob sie richtig war. Für die Richtigkeit hat
er einen doppelten Standard: erstens seinen eigenen Vorteil, zweitens
sein sittliches Urteil. Zwischen denen muss er abwägen, nicht zwischen
frei oder fremdbestimmt. Frei würde er sich fühlen, wenn er ungeniert
seinem Vorteil den Vorzug gäbe; durch sein sittliches Urteil fühl-te er
sich eher eingeengt. Bizarrerweise fühlt er sich aber auch leichter,
wenn er letz-terem gehorcht. Und wäre leichter nicht auch freier?
Ebensowenig
ist die philosophische Frage der Willensfreiheit ein praktisches
Pro-blem für den Strafjuristen, da hat er Recht. Der muss in einem
konkreten Fall ein Urteil fällen und nicht im Seminar einen Vortrag
halten. Statt abstrakt um den frei-en Willen, geht es da um die Frage
persönlicher Zurechenbarkeit. Im Seminar hat er sein Fach allerdings studiert,
und in Sachen Rechtsdogmatik geht es allerdings um die Willensfreiheit
als doktrinalen Grundsatz, denn ohne sie wäre die Frage der
Zu-rechenbarkeit ja gar nicht zu formulieren.
Und an dieser Stelle schwillt mir langsam der Hals. Philosophische Fragen seien nicht praktisch? An sich selbst sind sie das nicht. Aber praktische Fragen sind viel-leicht durch Umstände bedingt, die ihrerseits nicht nur, aber auch philosophisch zu beurteilen sind.
Was
für ein Rechtssystem wir uns geben, ist natürlich ein praktische Frage.
Und praktisch sei alles, was... durch Freiheit möglich ist, sagt Kant
(der in oben erwähn-ten Seminaren nicht zu knapp vorkommen dürfte). Wir
haben uns unser Rechtssys-tem - unsere politische Verfassung - aus Freiheit gegeben, weil sie nur so vernünftig sein kann; doch vernünftig kann ein Rechtssubjekt nur handeln, wenn es in seiner Willensentscheidung frei ist. Wie kann Stephan Schleim über Freiheit schreiben, ohne dass das Wort Vernunft ein einziges Mal vorkommt?
Als liberum arbitrium
war die Willensfreiheit jahrhundertelang ein theologisches Thema - kein
rechtliches, kein philosophisches. Nicht um Strafe ging es, sondern ob
man der Vergebung würdig sei. Da geht es um Schuld wohl auch, doch nur unter manchem andern. Besondere Virtuosen auf dem Gebiet waren die Jesuiten, ihr Lieblingsfach was Kasuistik: nicht das abstrakt-Allgemeine, sondern die tausend denkbaren Einzelfälle.
Freiheit, Vernunft und Gleichberechtigung gehören zusammen. Philosophisch mag man streiten darüber, wie. Doch ein freiheitlicher Rechtsstaat ist nur möglich, wo sie als ein und einziger Grund-Satz
verfassungsmäßige Geltung haben. Nur wer frei ist, dem kann Vernunft
angemutet werden, und nur von dem, der vernünftig ist, kann man
Rechenschaft verlangen; und wenn alle vernünftig und alle
rechenschafts-pflichtig sein sollen, müssen sie alle frei sein - und in dieser und jeder andern Hin-sicht gleich berechtigt.
Das gedankliche Fundament der westlichen Zivilisation ist das Subjekt.
Es muss als frei gedacht werden, weil es sonst nicht vernünftig sein
könnte; und als vernünftig, weil es anders nicht als frei gedacht werden
kann. Ob es faktisch so ist, kann im Einzelfall geprüft werden. Doch
dass es so sein soll, ist der Maßstab, an dem die Einzelälle zu prüfen sind.
Das ist nicht theoretisch, sondern ist in öffentlicher Hinsicht das Praktischste, was es gibt.
Vernunft setzt mich auch insofern frei, als ich meine Meinungen und also auch die kogniti-ven Ergebnisse meiner Sozialisation reflektieren kann. Das ist auch für den Staatsanwalt ein praktischer Gesichtspunkt.
Kommentar zu Ohne freien Willen gibt es keine Vernunft. JE, 29. 5. 21