Freitag, 15. September 2023

Wie und was, oder begreifen und verstehen.

  analog/digital             zuJochen Ebmeiers Realien

Verstehen kann ich ein Handeln: indem ich die Veränderung, die ich beobachte, auf einen vermuteten Zweck beziehe - und den Zweck dem Veränderer zurechne. Eine Maschine kann ich nur per Analogie verstehen: indem ich ihr die Absicht ihres Konstrukteurs bei-messe.

Anders als ein lebendes Subjekt, kann ich eine Maschine begreifen: indem ich die Verän-derungen, die ich an ihr beobachte, einem Komplex von Ursachen und Wirkungen zurech-ne. Per Analogie begreife ich ein Gedankengebäude, indem ich es in einen Komplex von Begriffen und Operationen zergliedere. Die Analogie von Logik und Mechanik ist das of-fene Geheimnis des westlichen Denkens; alias der Vernunft.

Anders wäre die Vorstellung, menschliches Denken maschinell zu imitieren, gar nicht mög-lich geworden. Was die künstlich-intelligente Black Box getan haben muss, könnte ich daher begreifen - an dem, was sie mir liefert. Verstehen könnte ich es gar nicht wollen, denn dazu müsste ich ihr Zwecke und Absichten unterstellen, die sie gar nicht haben kann, weil sie nicht wie wir in der Welt ist. Doch kann ich ihr nicht dabei zuschauen, wie sie etwas tut - und kann es mir nicht einmal vorstellen.

Nachrechnen kann ich ihre Operationen nicht, weil ich gar nicht weiß, wie sie verfährt. Ich kann es nicht einmal, Schritt für Schritt rückwärtsgehend, analysieren: Ich weiß ja nicht ein-mal, welcher ihr letzter Schritt gewesen ist, bevor sie mit ihr Ergebnis ausgespuckt hat. Und wenn ich es könnte, wäre das Verfahren so zeitraubend, dass ich auf ihren Einsatz achsel-zuckend verzichten müsste. Es ist wie in der experimentellen Wissenschaft: Ein Versuch, den ich nicht wiederholen  kann, beweist nichts.

Abstrakte Formen helfen überhaupt nicht: 'Ist das System hinreichen komplex, kann nur es selbst sich steuern.' Aber was heißt 'hinreichend komplex', genauer: Wer beurteilt das? Man möchte meinen, der Satz gilt überhaupt nur für unser Denken: Kein System ist komplexer als das menschliche Hirn, darum kann keine Maschine es steuern. Umgekehrt: Jede Maschi-ne ist prinzipiell durch menschliche Gehirntätigkeit steuerbar. Hat der Satz noch prakti-schen Belang? Am äußersten Ende schon: 'Das schaffen wir nie' ist grundlos. So viel zum Ersten Satz.

Der Zweite Satz entwertet ganz den Dritten Satz: Um ein komplexes System vollständig zu beschreiben, muss ich es vollkommen verstehen. Das kann ich aber nur, wenn es dümmer ist als ich. Doch dann gibt es keinen Anlass, es 'durch Formalisierung vereinfachen' zu wollen.

Durch Formalisierung kann man gar nichts vereinfachen, jedenfalls keinen operativen Vor-gang. Denn der besteht nicht aus der Abfolge einzelner Schritte. In der Schule lernten wir das Modell eines Otto-Motors kennen. Man konnte zusehen, wie er arbeitet - unter der Vor-aussetzung, dass man eine arbeitende Energie von außen hinzufügt: Man dreht an einer Kurbel, die gehörte zum Modell. Aber nicht die Kraft, die das Modell überhaupt erst zu einem Modell von Etwas macht.

Nun wäre aber die Kraft auch nur eine Formalie, würde sie nicht in eine Richtung einge-setzt. Und die kann nur eine Absicht sein: ein Wille. Der lässt sich aber schlechterdings nicht formalisieren - nicht in Begriffe zerlegen -, sondern nur anschauen bei seiner Tätig-keit. Nur analog, nicht digital - und da schließt sich der Kreis: Digitalität ist kein Accessoire von Künstlicher Intelligenz, sondern ihr Wesen. Wenn man also das innere Funktionieren der Black Box doch einmal vollständig beschreiben könnte, würde man dennoch nichts an ihr verstehen - weil sie keine Zwecke hat, die sie selber verstehen müsste. Sie könnte uns sicher eine Liste drucken, aus der hervorgeht, wie sie's macht. Aber was sie macht, könnte sie uns nicht sagen, weil sie's nicht weiß.

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