Freitag, 8. September 2023

60 Jahre Chaos-Theorie.

aus welt.de, 27. 8. 2023               Darstellung einer „Mandelbrotmenge“                zuJochen Ebmeiers Realien   zu Philosophierungen

CHAOS-THEORIE
Was hinter dem „Schmetterlingseffekt“ steckt


von Norbert Lossau, Chefkorrespondent Wissenschaft

Vor 60 Jahren erschütterte der MIT-Meteorologe Edward Lorenz das Weltbild der Physik. Bis dahin ging man davon aus, dass sich künftige Entwicklungen genau vorhersagen lassen, wenn der Anfangszustand des Systems bekannt ist. Lorenz ebnete den Weg für die Chaos-Forschung.

Vor 60 Jahren kam das „Chaos“ in die Welt. Der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) forschende Meteorologe Edward Lorenz veröffentlichte im Jahr 1963 eine Arbeit, die das Weltbild der Physik nachhaltig veränderte. Auch wenn die physikalischen Gesetz-mäßigkeiten für ein Phänomen oder einen Prozess vollständig bekannt sind, lassen sich künftige Entwicklungen in vielen Fällen nicht einmal annähernd vorhersagen. Man spricht dann von chaotischem Verhalten.

In der klassischen Physik ging man davon aus, dass sich alle künftigen Entwicklungen genau vorhersagen lassen, wenn man den Anfangszustand des zu beschreibenden Systems exakt kennt. Doch genau in dieser Bedingung steckt der Schönheitsfehler. Es ist nämlich unmög-lich, den Zustand eines Systems – sagen wir beispielsweise die Position eines Atoms oder die Geschwindigkeit eines Autos – perfekt präzise, ohne jeden Messfehler anzugeben. (Mal ganz abgesehen von der Heisenbergschen Unschärferelation.)

Das haben Wissenschaftler natürlich auch schon vor 1963 gewusst. Doch ging man damals stillschweigend davon aus, dass kleine Unsicherheiten bei den Ausgangsdaten letztlich auch nur zu kleinen Fehlern bei den Vorhersagen führen. Tatsächlich ist es aber so, dass selbst kleine Ursachen große, ja nicht mehr vorhersagbare Wirkungen haben können.

Paradigmenwechsel der Wissenschaft

Diese Erkenntnis hat sich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in der sogenannten „Chaos-Theorie“ manifestiert. Es handelt sich hier aber weniger um eine Theorie zu einem abgesteckten Bereich – wie etwa die Relativitätstheorie –, sondern mehr um einen Paradigmenwechsel, der praktisch alle Bereiche der Wissenschaft betrifft. Um mit dem überall drohenden Chaos umgehen zu können, wurden neue wissenschaftliche Konzepte und Methoden entwickelt. Bis heute ist das „Chaos“ ein sehr aktives Forschungsfeld geblieben.

Einer breiten Öffentlichkeit wurde die Chaos-Forschung im Zusammenhang mit sogenannten Fraktalen bekannt. Fraktale sind mathematische Gebilde, die sich oft in sehr ästhetischen ja bisweilen spektakulären Bildern visualisieren lassen. Wohl jeder hat schon einmal die sogenannte Mandelbrot-Menge gesehen – auch als Apfelmännchen bekannt.


Das berühmte "Apfelmännchen"

Berühmt wurde im Kontext der Chaos-Theorie das Wort „Schmetterlingseffekt“. Es steht dafür, dass auch kleine Ursachen, große und nicht vorhergesehene Wirkungen haben können. Um die Konsequenzen seiner Forschungsarbeiten zum Chaos aufzuzeigen, hatte Lorenz 1972 bei einer Fachtagung einen Vortrag mit dem Titel „Predictability: Does the flap of a butterfly‘s wings in Brazil set off a tornado in Texas?“ gehalten.

Kann also ein einzelner Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen? Im Kern soll hier metaphorisch ausgedrückt werden, dass sich das Wetter niemals auf lange Sicht vorhersagen lässt. Auch mit den besten Computern wird man nicht vorhersagen können, wie das Wetter am 24. August 2059 in Berlin sein wird.

Doch selbst viel simplere Systeme wie ein Stern mit zwei Planeten können bereits chaotisches Verhalten zeigen – sodass sich die Bahnen der Planeten nicht für die fernere Zukunft vorhersagen lassen. Glücklicherweise scheint unser Planetensystem mit den konkreten Umlaufbahnen und Massen von großer Stabilität zu sein. Doch ausschließen, dass irgendwann eine Störung das System ins Chaos stößt, kann die Wissenschaft dennoch nicht. Eine stabile Bahn der Erde um die Sonne war eine von vielen Voraussetzungen für das Entstehen von Leben.

Tatsächlich war der geniale französische Mathematiker und Philosoph Henri Poincaré bereits Ende der 1880er-Jahre auf die mögliche Unschärfe der Vorhersagbarkeit des Verhaltens bei den „Drei-Körper-Systemen“ gestoßen – also beispielsweise einem Stern mit zwei Planeten. Er schrieb schon damals „…es kann passieren, dass kleine Differenzen in den Anfangsbedingungen große Effekte für die künftige Entwicklung haben … eine Vorhersage wird dann unmöglich.“


Nota. - Was es mit den Fraktalen physikalisch auf sich hat, erfahren wir nicht - die sind aber das Auffälligste an der "Chaos"-Theorie: die Fraktale als lauter Varianten desselben Musters.

Und das Wichtigste an ihr wird überlagert: der endgültige Verfall der platonischen Ideen-lehre und des eleatischen Seins, das dahintersteckt. Nicht das Vollkommene, Perfekte und Absolute ist das eigentlich Wahre, das unter den schadhaften Erscheinungen des Werdens verborgen liegt (und vom Denken erst freilegelegt werden muss), sondern umgekehrt ist wahr das Wirkliche, und das ist unvollkommen; vollkommen und ideal sind immer nur die Begriffe, die die Menschen erdenken, um im Wirklichen eine mehr oder minder ungfähre Ordnung wiederzufinden, in der sie sich zurechtfinden können, weil sie sie selber gemacht haben. Wahr sind an den Dingen die Zwecke, die wir an ihnen beabsichtigen - und sie sel-ber nur, sofern sie sich an jenen bewähren.
JE

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